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Ankunft im Ruhrgebiet.

Taxifahrer:  Aoooh, lange Fahrt gehabt, oder?

Ich: Ja, von München.

Er: Dafür sehense aber noch gut aus!

Ich: Danke, bin seit heute morgen um zehn unterwegs.

Er: Is ja praktisch wie ne Schicht. Könnse sich ersma ausruhen. Wie isses so in München?

Ich: War nur einen Tag da.

Er: Wohnense nich da?

Ich: Nein, ich lebe in Italien, in Venedig.

Er: Ey! Wusst ich’s doch! Habse doch schon mal gefahrn, Sie sind doch die mit den Blumen für die Mutter!

Ich: Ach ja, ich muss noch Blumen holen, stimmt.

Er: Wie isses denn so da drüben?

Ich: Wo, drüben?

Er: Ja, da in Italien! Wie isses so mit Essen? Fleisch? Eigene Zucht?

Ich: Also Venedig ist ja im Wasser, da isst man eher Fisch.

Er: Ach so, ja klar. Is alles son bisschen so wie im Märchenbuch, oder?

Jedes Mal, wenn ich im Ruhrgebiet bin, kehre ich in meine Kindheit zurück. Als ich durch die Stadt ging, sah ich Massen von Kastanien auf der Straße liegen, stopfte mir die Taschen voll und dachte daran, dass früher (früher!) keine einzige Kastanie auf der Straße liegen blieb, weil wir Kinder uns um die Kastanien geprügelt haben ... Ich habe dann eine gefunden, die ich noch aus der Schale herauslösen konnte, sie war ganz glatt und ohne einen Kratzer, und als ich sie in der Hand hielt, war ich wieder ein Kind.

Als am Tag nach der Wahl in nahezu allen deutschen Medien die Bestürzung nachzulesen war, dass die Italiener wieder mal nicht so gewählt haben, wie man es in Deutschland von ihnen erwartet hätte, habe ich für Focus Online einen Kommentar verfasst: 

https://www.focus.de/politik/ausland/rechtsruck-in-italien-medien-vermitteln-falsches-bild_id_154528924.html?fbclid=IwAR0Iu4b6q_2R4259tZJncUBK2szWQ8i-NBrUIvnlEakwvURr7XmdUJTvChg (Öffnet in neuem Fenster)

Dass es sich für Meloni auszahlt, Kreide gefressen zu haben, konnte man in Deutschland auch an Feststellungen wie dieser von Giovanni Di Lorenzo nachvollziehen: "Meloni ist moderater als alle Redner und Rednerinnen, die ich von der AfD verfolge" (Öffnet in neuem Fenster). In Italien indes gibt es glücklicherweise noch Stimmen, die Melonis Tarnung misstrauen. So schreibt (Öffnet in neuem Fenster) der italienische Philosoph Paolo Flores D'Arcais über Meloni: "Entscheidend ist, dass sie eine ehemalige Neo-Postfaschistin ist, die versucht, sich als vorzeigbare Rechte zu tarnen. Die Sängerin und Schauspielerin Elodie hat die Wahrheit gesagt: Giorgia Meloni ist ein Mann von 1922."

Soweit ich es überblicken kann, hat in den unzähligen deutschen Kommentaren  niemand auf das Problem aufmerksam gemacht, dass Melonis Aufstieg und Sieg vor allem ein Verdienst des neoliberal geprägten Partito Democratico ist - dem es gelungen ist, in den letzten neun Jahren fünf Mal an der Regierung zu sitzen, ohne die Wahlen gewonnen zu haben: Die Wähler haben diese Partei stets abgestraft, aber eingedenk der Möglichkeiten, die parlamentarischen Mehrheiten wie Hemden zu wechseln, gelang es dem Partito Democratico dennoch, an der Macht zu bleiben. Zuletzt in der "All-in"-Regierung Draghi. Eine Häutung blieb für den Partito Democratico stets aus. Ob sie jetzt eintritt, wage ich zu bezweifeln. 

Hier wird das absurde italienische Wahlrecht (Öffnet in neuem Fenster)übrigens sehr gut erklärt.

Aber die Wahlen in Italien habe auch Gutes hervorgebracht. Etwa, dass "Coraggio Italia" die (von Reskis Republik bereits dokumentierte (Öffnet in neuem Fenster)) Partei des venezianischen Bürgermeisters Brugnaro in dem Bündnis "Noi moderati" ("Wir Gemäßigte") es in Venedig, wo es für ihn ja eigentlich ein Heimspiel hätte sein sollen, nur auf mickrige 3,6 Prozent gebracht hat - ihn wohl nicht mal seine engsten Verwandten gewählt haben. Ansonsten bleibt Venedig ein "roter Fisch in einem blauen Meer", (Öffnet in neuem Fenster) wie die Nuova Venezia so schön schrieb, weil hier nicht die Brüder Italiens siegten, sondern - knapp - der Partito Democratico. Wobei für den venezianischen PD das gleiche gilt, wie schon angesprochen: Auch ihre Häutung stet noch aus. Folglich würde ich eher von einem toten als von einem roten Fisch reden. 

Bürgermeister Brugnaro, ein Zeitarbeit-Unternehmer, der in wenigen Jahren auf wundersame Weise zum Milliardär aufgestiegen ist und die Stadt Venedig in Geiselhaft genommen hat, ist ja selbsternannter Stadtrat für Kultur. Folglich herrscht er unter anderem über die städtischen Museen Venedigs, also über den Dogenpalast, Museo Correr, Ca’ Pesaro, Ca’ Rezzonico, Palazzo Mocenigo, daes Museum für Naturgeschichte, das Carlo-Goldoni-Museum und das Fortuny-Museum. Für Brugnaro bedeutet Kultur vor allem Geld: Zuschüsse, Subventionen, Spenden. Inhalte bleiben da auf der Strecke, etwa der 300. Geburtstag des venezianischen Malers Bernardo Bellotto (Öffnet in neuem Fenster), der in Deutschland auch unter dem Namen Canaletto fungiert (in Italien ist als Canaletto eher sein Onkel (Öffnet in neuem Fenster) bekannt, de facto haben beide den Namen Canaletto benutzt, quasi als Markenzeichen). Bellottos 300. Geburtstag wird aufwändig in Warschau (Öffnet in neuem Fenster) (wo Bellotto arbeitete und starb) und selbst in Darmstadt (Öffnet in neuem Fenster) gedacht: Das Hessische Landesmuseum würdigt den Künstler mit der großen Ausstellung »Remember Venice!«, bei dem das große Konvolut der Bellotto-Zeichnungen zu sehen ist. Mein bescheidener Beitrag besteht in dem zu diesem Anlass produzierten Podcast. An Bellottos Geburtsort Venedig hingegen passiert: nichts.

Und zum Schluss noch eine schöne Nachricht: Die italienische Übersetzung von „Als ich einmal in den Canal Grande fiel“ (in Italien erschienen unter dem Titel "Venezia, atto finale" (Öffnet in neuem Fenster)- "Venedig, letzter Akt") wurde für die Vorauswahl des Internationalen Literaturpreises der Stadt Como ausgewählt (Öffnet in neuem Fenster)- in der Kategorie "Veröffentlichte und unveröffentlichte Sachbücher". Von den 243 Autoren, die sich für den Sachbuchpreis beworben hatten, wurden 56 ausgewählt. Angesichts der hochkarätigen Jury unter dem Vorsitz des Schriftstellers Andrea Vitali (Öffnet in neuem Fenster) ist es für mich eine Ehre, diesen ersten Schritt geschafft zu haben!

In diesem Sinne grüßt Sie herzlich aus Venedig, Ihre Petra Reski

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