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Heute in einer Woche wird in Italien gewählt. Die Politiker sind unterwegs, landauf, landab, und versprechen das Blaue vom Himmel. Wobei das, angesichts des zweitheißesten Sommer (Öffnet in neuem Fenster) (nach 2003) in der Geschichte der italienischen Wetteraufzeichnung, nicht unbedingt eine Verheißung ist. Aber Ökologie interessiert hier ja niemanden, außer den Betroffenen. Etwa diejenigen, die gerade Opfer der Überschwemmungen (harmloses Wort für das, was da passiert (Öffnet in neuem Fenster)ist!) in den Marken wurden.

Ja, der Witz ist, dass die einzigen Themen, über die nicht geredet wird, die sind, die über die Zukunft Italiens bestimmen werden: Die Klimakatastrophe und die Mafia.

Mafia ist natürlich das absolute No Go. Wir erleben hier gerade eine Zeitreise. 30 Jahre zurück, mindestens. Dass wir auf dem Weg zurück sind, hat sich bereits deutlich unter der Regierung Draghi mit der Justizreform seiner Ministerin Cartabia (Öffnet in neuem Fenster) gezeigt. Bald wird es wieder so sein, wie in den Siebzigerjahren, als der Boss Gerlando Alberti in Mailand verhört wurde und fragte: "Mafia? Was soll das sein? Eine Käsesorte?"

Der ehemalige Generalstaatsanwalt von Palermo, Roberto Scarpinato (Öffnet in neuem Fenster), ist als Kandidat für die Fünfsterne-Bewegung angetreten - für mich das einzig positive Zeichen in diesem unterirdischen Wahlkampf. Ich habe Scarpinato oft interviewt - besonders natürlich im Zusammenhang Mafia+Deutschland. Folglich ist er der einzige "Politiker", der jetzt in diesem Wahlkampf über die Rolle der Mafia spricht (Öffnet in neuem Fenster) - die von allen anderen Parteien verschwiegen wird, allen voran natürlich von den "Brüdern Italiens": 

"In der Gunst der Öffentlichkeit steht die Mafia und die paramafiöse Bourgeoisie, eine der Hauptstützen eines großen und vielfältigen sozialen Blocks, der in der Lage ist, das nationale politische Gleichgewicht zu beeinflussen. Es ist kein Zufall, dass Personen, die wegen Beihilfe zur Mafia und anderer schwerer Straftaten verurteilt wurden, als politische Protagonisten auf den Plan treten. In den Sälen des Senats wird das Gedenken an General Gianadelio Maletti (Öffnet in neuem Fenster) gefeiert,  ein führendes Mitglied des Geheimdienstes, der verurteilt wurde, weil er die Ermittlungen zum Massaker auf der Piazza Fontana (Öffnet in neuem Fenster)in Mailand am 12.12.1969 behindert hat. Dies geschieht im Sinne einer schleichenden Normalisierung der Erben des neofaschistischen Extremismus, der in den 1970er und 1980er Jahren die Hauptfigur der Strategie der Spannung war".

In einem Land wie Italien, das sich auf dem internationalen Korruptionsindex (Öffnet in neuem Fenster)auf Platz 42 befindet (Deutschland auf Platz 10, auch nicht so toll) ist Scarpinato auch der einzige, der davon spricht, wie es hier zur "Normalisierung" der Korruption kam. In den deutschen Medien, die ja in der Regel nur leider nur copy+paste aus den italienischen Leit(d)medien verbreiten, fiel unter den Tisch, dass die Regierung Conte gestürzt wurde, um ihr Antikorruptionsgesetz zu Fall zu bringen (Öffnet in neuem Fenster): Korruption zahlt sich in Italien aus, weil unzählige Verbrechen bereits verjährt sind, bevor es zu einem endgültigen Urteil kommt.  Um zu verstehen, wie Korruption in italienischen Medien dargestellt - und verharmlost wird, ist interessant, was Scarpinato erklärte (Öffnet in neuem Fenster)

Die geschichtliche Erfahrung zeigt, dass Mafia und Korruption von den Anfängen des Einheitsstaates bis heute die kriminellen Machenschaften führender Teile der herrschenden nationalen Klassen sind, die über eine bedeutende politische Verhandlungsmacht und die Fähigkeit verfügen, die gesellschaftliche Wahrnehmung von Phänomenen durch die Medien zu beeinflussen. In Bezug auf die Korruption war die vorherrschende Haltung immer entweder leugnend ("die Justiz erklärt der Politik den Krieg"), rechtfertigend ("die Kosten der Demokratie") oder verharmlosend ("ein paar schwarze Schafe inmitten einer riesigen Herde von makellosen Schafen"). Die Entwicklung der Gesetzgebung in den letzten Jahren ist durch eine lange Reihe von Maßnahmen gekennzeichnet, die auf die eine oder andere Weise darauf abzielen, das Risiko und die strafrechtlichen Kosten von Wirtschaftskriminellen, die in korrupte Vorgänge verwickelt sind, zu minimieren. Kein Wunder also, dass das Thema Korruption von der Wahlagenda der Parteien verschwunden ist, mit einzelnen Ausnahmen wie der Fünfsterne-Bewegung.

Scarpinatos ehemaliger Kollege, der Antimafia-Staatsanwalt Nino Di Matteo (Öffnet in neuem Fenster) sagte denn auch: "Die Lage ist ernster als vor 30 Jahren. Als Bürger bin ich beunruhigt und würde mir wünschen, dass unser Land wieder die Fähigkeit erlangt, sich angesichts solcher Situationen zu empören". (In dem Zusammenhang fällt mir wieder der Aufruf "Empört Euch!" (Öffnet in neuem Fenster) ein, Titel des Essays des ehemaligen französischen Widerstandskämpfers Stéphane Hessel) Und wer sich das Video mit dem kurzen Interview mit Di Matteo (Öffnet in neuem Fenster) ansieht, wird sehen, dass Nino Di Matteo mit seiner Höffnung, dass Italien wieder die Fähigkeit sich zu empören erlangen möge, im Publikum einen Nerv trifft. 

Bei dieser Wahl sind auch die "Auslandsitaliener" wahlberechtigt: Vier Millionen Italiener leben dauerhaft im Ausland, über drei Millionen sind wahlberechtigt: Ihnen stehen eigene Kandidaten zur Verfügung. Einen davon kenne ich persönlich, er heißt Marcello Pilato (Öffnet in neuem Fenster) und lebt in München. Marcello (Öffnet in neuem Fenster) ist Sohn italienischer Emigranten - und lebt seit 15 Jahren in Deutschland, erst in Berlin und jetzt in München. Kaum jemand kennt die Situation der Auslandsitaliener besser als er. 

Und dazu gehört übrigens auch, dass die Stimmen der Auslandsitaliener sich extrem leicht für Wahlfälschungen eignen, wie es in Deutschland zuletzt die Wahlfälschungsaffäre um den italienischen Senator Nicola di Girolamo bewies, der nur durch die Stimmen der ’Ndrangheta in Deutschland 2008 in den italienischen Senat für Berlusconis "Popolo della Libertà" eingezogen ist - und der im Frühjahr 2010 als Protagonist des Geldwäscheskandals der sogenannten Fastweb-Affäre festgenommen wurde. 

Das sind die dunklen Zeiten - die nur scheinbar hinter uns liegen. Denn wenn sich jetzt alle entweder dem vermeintlichen (und von den italienischen Medien herbeigeschriebenen) Rechtsruck Italiens beugen oder gar sich der Wahl enthalten, befinden wir uns genau wieder in der gleichen Situation, die zur Entstehung der Fünfsterne führte. 

Marcello gehört zu den Urgesteinen der Fünfsterne (Öffnet in neuem Fenster) in Deutschland. Er hat mich bei der Auseinandersetzung mit der Mafia in Deutschland sehr unterstützt. Er ist ein deutscher Italiener. Und damit ein echter Europäer. 

Und jetzt zu den schönen Dingen: Heute stelle ich die italienische Übersetzung (Öffnet in neuem Fenster)meines Venedigbuches in der schwimmenden Bibliothek vor, wir sind total ausgebucht! Werde nächste Woche davon berichten! 

Und zum Schluss noch eine Italienerin, die auf Facebook folgende Rezension veröffentlichte (Öffnet in neuem Fenster), die mir fast die Tränen in die Augen getrieben hat. Hier die Übersetzung:

VENEDIG, WIE (EIN BISSCHEN, UND VIELLEICHT MEHR ALS EIN BISSCHEN) ITALIEN.

Ich habe es gerade erst zu Ende gelesen, aber von den ersten Zeilen an war mein erster Gedanke der der Dankbarkeit. Deshalb richte ich heute aus mehreren Gründen meinen Dank an #PetraReski (Öffnet in neuem Fenster). Mit ihrem wunderschönen Buch nimmt Petra uns an die Hand und führt uns in ein Venedig, das nicht das von Postkarten oder Filmen ist, sondern das Venedig derer, die darin leben und sehen, wie es Tag für Tag von der Gier derer ausgelöscht wird, die es zu einem touristischen Ort machen (oder machen wollen), zu einem "Schlafplatz" und einem "Essplatz", in dem Gondeln und Gondoliere, der Canal Grande und der Markusplatz die Protagonisten einer Kunstwelt für den Gebrauch und den Konsum unersättlicher Unterhaltung sind. Die Autorin erzählt uns auch von ihrem Privatleben, das in engem Zusammenhang mit ihrer persönlichen Entdeckung Venedigs steht, und durch ihre Erzählung entdeckt auch der Leser Venedig, und man kann nach einigen Seiten nicht umhin, den gleichen Zorn, den gleichen Ärger, ich würde sogar sagen, den gleichen Groll gegenüber denjenigen zu empfinden, die Venedig dazu verdammen, ein Freilichtmuseum zu werden, in dem die Bewohner eine Art Störfaktor darstellen: Weil sie im Weg stehen, wenn man seine Schönheiten bewundern will. Der Widerstand der Einwohner, die ihr immer noch eine Seele, einen Hauch von Leben, das Gesicht einer Stadt mit all ihren jahrhundertealten Merkmalen geben, ist ergreifend und bewegend. In erster Linie ist es natürlich das Wasser, Segen und Fluch, Kreuz und Freude, Element der Verteidigung und gleichzeitig der Bedrohung, schwer zu vereinbaren mit dem MOSE, das weit davon entfernt ist, eine Lösung zu sein, und daher zu einem riesigen Verstärker des Problems der Stadt wird. Und damit die ganze Politik - hoppla, Politik ist ein großes Wort, sogar kleingeschrieben, aber das versteht jeder, der es verstehen will -, Politik, die vom Geld getrieben ist und sich nur für Posten interessiert. Deshalb sehe ich in diesem "letzten Akt" in gewisser Weise sinnbildlich die große und reale Gefahr beschrieben, der ganz Italien ausgesetzt ist und die sich noch zu verschärfen droht, mit ihrer Last an Geschichte, an vernachlässigter Schönheit, an einer schutzlosen, unsicheren Umwelt, die der Verwahrlosung, wenn nicht noch schlimmer, dem wirtschaftlichen Interesse preisgegeben ist, und nichts anderem. Mit gebührenden und wesentlichen Unterschieden könnte jeder von uns die von Reski für ihr Venedig beschriebenen Entwicklungen in seiner eigenen Stadt nachzeichnen und leider mehr als einen Berührungspunkt finden. Danke, Petra, du vorbildliche und unbeugsame Italienerin. Diejenigen, die glauben, dass der Massentourismus eine Quelle des Wohlstands und des Wohlbefindens ist, sollten ihre Augen öffnen. Die Werkzeuge, um zu sehen, wie völlig falsch diese Gleichung ist, sind alle vorhanden. Eines davon ist Dein, unser Buch: Venedig, letzter Akt.

In diesem Sinne grüßt Sie herzlich aus Venedig, Ihre Petra Reski

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