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Kurz vor der Oberfläche und mitten im Cyberkrieg

Petra Reski in ihrem Fischerboot

Und ja, das Erste, was ich nach meiner Rückkehr nach Venedig getan habe, war ein kleiner Bootsausflug.

In den letzten Monaten haben sich am Rumpf unseres Bootes bereits handtellergroße Austern angesiedelt, wie jedes Jahr müssen wir das Boot jetzt zur Inspektion in die Werft bringen, um es von Algen und Muscheln befreien zu lassen: Alles, was sich in der nährstoffreichen Lagune befindet, wird vereinnahmt. Das gilt im Übrigen auch für die Fluttore von Mose, die mit Algen, Seepocken und Muscheln, mit Austern und Schnecken zuwachsen - und sich deshalb zu einem unfassbar ergiebigen Fischgrund und riesigen Problem für die Instandhaltung des monströsen Flutsperrwerks entwickelt haben.

Und während wir uns Sorgen machen um den ansteigenden Meeresspiegel, der Ende des Jahrhunderts um die 70 Zentimeter betragen wird, was zusammen mit dem Absinken von Venedig einen Anstieg von einem Meter ergibt, passiert hier: nichts. Ganz im Gegenteil soll die Zahl der Kreuzfahrtschiffe wieder erhöht werden:

Wie der europäische Chairman von CLIA, dem Weltverband der Kreuzfahrtindustrie, erklärte, werden dieses Jahr 400 000 Kreuzfahrtpassagiere Venedig besuchen, Ziel seien aber eine Million, so viel wie in der Vor-Covid-Zeit. Erreicht werden soll dies dank, natürlich, noch größeren Kreuzfahrtschiffen. Und damit wächst auch die Wahrscheinlichkeit, dass es in dem schmalen Kanal für Erdöltanker, über den Kreuzfahrt- und Containerschiffe ein und ausfahren, zu einem Unfall wie dem im Suezkanal kommen könnte. Forscher betonen immer wieder, dass dieser Kanal zur verheerenden Erosion des zentralen Teils der Lagune geführt hat - weshalb er als Killer der Lagune gilt. Nichtsdestotrotz soll er jetzt wieder tiefer gegraben werden.

Im Grunde hat der Hafen von Venedig keine Zukunft, aber das will niemand von den mächtigen Interessengruppen hören. "Wäre ich ein Arzt, würde ich sagen: Sie müssen ihren Lebensstil ändern", sagte Luca Zaggia, Forscher des italienischen Wissenschaftsrats, und stieß damit auf taube Ohren. Hier gilt nur das ewige “Mehr, mehr, mehr”.

Was ich nicht ahnen konnte, war, dass die Russen schuld sind, an den Bettwanzen (Öffnet in neuem Fenster): »In den sozialen Medien tauchten unscharfe Fotos aus dem Transportalltag auf, mit kleinen schwarzen Pünktchen drauf. Punaises de lit!« raunt unheilvoll der Pariskorrespondent der Süddeutschen Zeitung und zitiert einen französischen Minister: »Nun, wie es den Anschein macht, war diese Aufregung gezielt aufgeblasen worden von russischen Quellen. "Die Polemik um die Bettwanzen", sagte Frankreichs Europaminister Jean-Noël Barrot in einem Fernsehinterview, "ist künstlich verstärkt worden von Konten in den sozialen Medien, von denen wir wissen, dass sie russisch inspiriert oder russisch sind." Sie hätten dafür auch Presseartikel gefälscht.«

Kurz: Bei den Bettwanzen handele es sich um einen eindeutigen Fall hybrider Kriegsführung. Mit dem Ziel der Destabilisierung demokratischer, offen pluralistischer und damit leicht verwundbarer Gesellschaften. Die Airbnb-Besitzer können aufatmen. Wer etwas über Bettwanzen verbreitet, ist ein russischer Propagandist.

Auch ich habe auf meinem Facebook-Konto über die Bettwanzen in unserer Wohnung berichtet (Öffnet in neuem Fenster), und da liegt der Verdacht natürlich nahe, dass sich hinter meiner vorgeblich deutsch-italienischen Identität die einer russischen Geheimagentin verbirgt. Und dass die Kunden, die in ihren Rezensionen auf booking.com (Öffnet in neuem Fenster) darüber berichteten, von den Bettwanzen aufgefressen worden zu seien, keine Amerikaner waren, sondern russische Hacker.

“Die Täter operieren entweder anonym oder bestreiten Beteiligungen an Vorfällen und Konflikten. Sie gehen dabei äußerst kreativ und koordiniert vor, ohne die Schwelle zu einem offiziellen Krieg zu überschreiten”, warnt (Öffnet in neuem Fenster) das deutsche Verteidigungsministerium.

Ich hätte mir alles vorstellen können, nicht aber, mich mitten im Cyberkrieg zu befinden. Mit Bettwanzen.

Jetzt aber zum Positiven: Langsam habe ich das Gefühl, wieder aus der Tiefe aufzutauchen - wie immer, wenn ich ein neues Buch geschrieben habe.

https://www.droemer-knaur.de/buch/petra-reski-all-italiana-9783426447680 (Öffnet in neuem Fenster)

Das heißt, ich bin noch nicht ganz an der Oberfläche angekommen - ich korrigiere noch das Manuskript - aber das Ende ist in Sicht, hurra, hurra, hurra! Ich erzähle eine Entwicklungsgeschichte: die Italiens und meine eigene. Von 1989 bis heute, ganz persönlich und somit radikal subjektiv.

Alles begann mit einem Sprachkurs in der Toskana, wo ich mich vormittags den Feinheiten der entfernten Vergangenheit, dem passato remoto, widmete und nachmittags auf einer Vespa durch die Gegenwart fuhr:

Wie Sie sehen, konnte ich mich zur Blondine in mir erst später in Italien bekennen können, da fuhr ich auch schon besser Vespa, wie man hier sieht:

Mein Buch ”All’italiana. Wie ich versuchte, Italienerin zu werden” (Öffnet in neuem Fenster) erscheint am 2. September, ich freue mich sehr darauf!

Herzlichst grüßt Sie aus Venedig Ihre Petra Reski

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