Zum Hauptinhalt springen

Wie überall bringt der Ukrainekrieg auch in Italien einiges ins Wanken. Darunter die Tageszeitung "Il Fatto Quotidiano" - die Furio Colombo (Öffnet in neuem Fenster), renommierter Journalist, Mitbegründer und Leitartikler dieser Tageszeitung,  nun unter großem Mediengetöse verließ (Öffnet in neuem Fenster), weil der Chefredakteur seiner Meinung  nach dem Soziologieprofessor, Terrorismusexperten und selbsternanntem Russland-Experten Alessandro Orsini (Öffnet in neuem Fenster) zu viel Platz einräume (Öffnet in neuem Fenster)

Den Italienern ist Orsini als Putinversteher bekannt: In der Talkshow "Carta Bianca", der Talkshow von Bianca Berlinguer, Tochter von Enrico Berlinguer, sagte er: "Ich betrachte das [den Krieg] nicht aus einer politischen, sondern aus einer humanitären Perspektive. Ich würde lieber Kinder in einer Diktatur aufwachsen sehen als sie durch Bomben sterben zu lassen, die im Namen der Demokratie abgeworfen werden. Auch in Diktaturen kann ein Kind glücklich sein", woraufhin die Rai den Mitarbeitervertrag mit ihm kündigte - und der Fatto Quotidiano Orsini als Helden der Meinungsfreiheit unter seine Fittiche nahm. 

Seither feuert Orsini in zahllosen Talkshows staccatohaft sein Arsenal ab, mit: "Man muss den Mut haben, zuzugeben, dass Putin bereits gewonnen hat". Oder: "Hitler hatte nicht die Absicht, den Weltkrieg zu beginnen" (Er sei erst durch die Allianz seiner Gegner dazu gezwungen worden - worin Orsini eine Parallele zur Rolle der Nato sehen will) Und: "Dies ist ein verlorener Krieg. Entweder wir geben Putin, was er will, oder er nimmt es sich trotzdem. Oder: "Zelensky ist eine Gefahr für den Frieden. Er muss aufgegeben werden. Politisch ist er inkompetent" - und weil all das noch nicht reicht, tourt Orsini auch noch durch italienische Theater mit einem Programm unter dem Titel:  "Ukraine: Alles, was sie uns nicht sagen". 

Mit seinen Provokationen gehört Orsini zur typischen Fauna des italienischen Fernsehens, in der die Aufmerksamkeit demjenigen gehört, der am lautesten schreit. Tatsache ist aber auch, dass selbst die New York Times feststellte (Öffnet in neuem Fenster), dass sich der Ukrainekrieg zunehmend verkompliziere und Amerika für die daraus resultierenden Konsequenzen nicht bereit sei: "Beabsichtigen die Vereinigten Staaten, Putin als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen? Oder ist es das Ziel, einen größeren Krieg zu vermeiden - und wenn ja, wie lässt sich dies erreichen, wenn man sich damit brüstet, US-Geheimdienstinformationen zur Verfügung zu stellen, um Russen zu töten und eines ihrer Schiffe zu versenken?"

Kurios ist, dass in diesen Tagen der zu den Fünfsternen gehörende Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Senats zurücktreten musste, weil er als Putinversteher gilt - und durch Stefania Craxi ersetzt wurde, Tochter des Sozialistenchefs Bettino Craxi, die heute zu Forza Italia gehört, sich als "überzeugte Atlantikerin" definiert und sich nur ungern daran erinnern lässt, wie sie Putin dafür lobte, "Russland seinen Stolz und seine Identität zurückgegeben zu haben", die Sanktionen gegen Russland abzulehnen und die Besetzung der Krim zu rechtfertigen,  weil "sie immer russisches Land war". 

Putinversteher sind  hier also immer dann nützlich, wenn sie der richtigen Partei angehören.

Die Italiener sind aus guten Gründen der Nato gegenüber stets skeptisch, verbirgt sich dahinter doch die jahrzehntelange massive amerikanische Einflussnahme auf die italienische Innenpolitik: Andreotti galt mit seiner Democrazia cristiana als Bollwerk gegen die Gefahr des Eurokommunismus, verkörpert durch die KPI (Öffnet in neuem Fenster), der mitglieder- und wählerstärksten kommunistischen Partei Westeuropas nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Und mit Andreotti im Bunde auch die Mafia - die den Amerikanern schließlich bereits bei der Landung der Alliierten gute Dienste geleistet hatte, wofür sie mit Schlüsselpositionen belohnt wurde: Bosse als Bürgermeister. 

Und damit wären wir beim dreißigsten Jahrestag des Attentats auf Giovanni Falcone angelangt.

Und wieder werden wir lesen, dass die Messstationen sizilianischer Seismographen die Bombenexplosion am 23. Mai 1992 als kleines Erdbeben mit Epizentrum bei Capaci verzeichneten, als die 572 Kilo schwere Bombe in einem Abflussrohr unter der Autobahn explodierte. Wieder wird das Trompetensolo  um 17.56 Uhr und 48 Sekunden für die Gedenkminute erklingen, wie immer wird an der Magnolie in der Via Notarbartolo die Nationalhymne gesungen, wie immer werden Politiker Reden halten. Und wie immer werden sich Antimafia-Staatsanwälte diesem Schaulaufen fernhalten, weil sie sich daran erinnern, wie Giovanni Falcone zu Lebzeiten systematisch diskreditiert, isoliert und in seiner Arbeit behindert wurde. 

Bevor die Gedenkfeier beginnt, wäre es gut, sich zu vergegenwärtigen, wie die Situation für die Mafia in Italien zur Zeit aussieht: In Sizilien läuft zur Zeit ein Wahlkampf, der vor allem von zwei Protagonisten bestimmt wird: von dem wegen Mafiabegünstigung vorbestraften ehemaligen Regionalpräsidenten Totò Cuffaro (mit dem ich mal per pizzino kommuniziert (Öffnet in neuem Fenster) habe) und dem wegen Mafiabegünstigung vorbestraften ehemaligen Forza-Italia-Gründer und Senator Marcello Dell'Utri (Öffnet in neuem Fenster)

Silvio Berlusconi, der mit seiner Forza Italia der Allparteienregierung Draghis angehört, durfte sich allen Ernstes für das Amt des Staatspräsidenten bewerben, obwohl gegen ihn auch heute noch Ermittlungen der Staatsanwaltschaft von Florenz laufen, weil er verdächtigt wird, zu den Auftraggebern der Attentate gegen Falcone und Borsellino zu gehören. Der einzige, der Berlusconis Kandidatur kritisierte (Öffnet in neuem Fenster), war der Bruder des ermordeten Staatsanwalts Borsellino.

Die wenigen verbliebenen Antimafia-Staatsanwälte, die, sofern sie nicht bereits pensoniert sind, auf die Verbindung zwischen Politik und Mafia hinweisen - werden sabotiert und isoliert: Zuletzt Nicola Gratteri, dessen Kandidatur für die Leitung der nationalen Antimafia-Staatsanwaltschaft scheiterte und dessen Leibwache massiv erhört wurde, nachdem weitere Attentatspläne gegen ihn bekannt wurden. 

Der italienische Verfassungsgerichtshof ist vornehmlich damit beschäftigt, die wirkungsvollsten Antimafia-Gesetze abzuschaffen, darunter die Hochsicherheitshaft und die lebenslange Haft für Mafiosi: Das italienische Verfassungsgericht erklärte 2020 die lebenslange Haft für Mafiosi als verfassungswidrig  – falls es das italienische Parlament bis Mai 2022 nicht schaffen sollte, den Artikel 4 des italienischen Strafvollzugsrechts zu reformieren. Und in dem Zusammenhang ist es nicht uninteressant zu erwähnen, dass die Justizministerin Marta Cartabia ehemalige Präsidentin des italienischen Verfassungsgerichts ist.

Und so hat sich bis heute die, wie der inzwischen auch pensionierte Antimafia-Staatsanwalt Roberto Scarpinato (Öffnet in neuem Fenster) seit Jahren beklagt, das beschwichtigende Narrativ durchgesetzt, derzufolge Giovanni Falcone und Paolo Borsellino ermordet wurden, weil sie als aufrechte Richter, deren Arbeit  in den Urteilen des Maxiprozesses gipfelte, das Symbol eines Staates waren, der der Cosa Nostra einen tödlichen Schlag versetzt und den Mythos ihrer Unbesiegbarkeit erschüttert habe. Die Täter, die Drahtzieher des mafiösen Übels, sind identifiziert und verurteilt. Sie haben die altbekannten Gesichter derjenigen, die in der kollektiven Vorstellung bereits zu absoluten und allumfassenden Mafia-Ikonen geworden sind: Totò Riina, Bernardo Provenzano und andere solche Figuren; meist Ex-Bösewichte, die sich in einem unbeholfenen Italienisch ausdrücken und deren physiognomische Züge im Sinne Lombrosos (Öffnet in neuem Fenster) ihr inneres grausames Wesen offenbaren.

Das ist das, was wir glauben sollen. Dahinter aber verbirgt sich das, was Giovanni Falcone als "gioco grande" bezeichnete, das "große Spiel": Als die Attentate gegen Falcone und Borsellino begangen wurden, hatte der italienische Staat seine Glaubwürdigkeit schon lange verloren - nicht nur, weil den Attentaten bereits andere vorausgegangen waren, die zu dem gehörten, was man in Italien die "Strategie der Spannung" nennt, und wohinter sich Geheimdienste, Mafia und Politiker verbergen, sondern auch, weil hunderte italienischer Politiker zur Freimaurerloge P2 (Öffnet in neuem Fenster) gehörten: Minister, Generäle und Richter, die erst einen Staatsstreich planten und sich dann damit begnügten, die Demokratie zu untergraben. Parallel zu Falcone und Borsellinos Ermittlungen deckten Mailänder Staatsanwälte den Korruptionsskandal Mani pulite (Öffnet in neuem Fenster) auf: „Saubere Hände“. Hunderte von Politikern, Unternehmern, Verwaltungsbeamten und Geschäftsleuten bereicherten sich an öffentlichen Geldern: Folglich ist nicht schwer zu verstehen, dass für die Protagonisten des "großen Spiels" nicht die Mafia das Problem war und ist, sondern diejenigen, die ihr im Weg stehen. 

Und deshalb wurde auch nicht bekannt, dass der ehemalige Informant der italienischen Geheimdienste Elio Ciolini im März 1992 die Attentate vorausgesagt hatte. Er stand im Verdacht, mit rechtsextremen Gruppierungen und einigen Protagonisten der Geheimloge Propaganda Due zusammenzuarbeiten und saß im Gefängnis wegen Betrugs. Aus der Zelle heraus hatte er an den Untersuchungsrichter einen Brief geschrieben, mit dem Betreff: »Neue Strategie der Spannung«. Darin kündigte er Ereignisse an, welche die öffentliche Ordnung destabilisieren würden: Attentate an öffentlichen Orten, Morde an Politikern mit dem Ziel der politischen Neuordnung. Ciolini wurde als Schmierfink bezeichnet, als Wichtigtuer, als irrer Verschwörungstheoretiker – und hatte fast alle Attentate jenes Jahres präzise vorausgesagt, einschließlich der Morde an den beiden Richtern und der darauf tatsächlichfolgenden politischen Neuordnung: 1994 wurde Berlusconi zum Ministerpräsidenten gewählt. 

Und wer sich jetzt sagt: Ach ja, Italien, der sei daran erinnert, dass die alleinige Mafiazugehörigkeit in Deutschland bis heute kein Strafbestand ist. Und weil das nicht reicht, gelten die Speicherfristen für die polizeilichen Ermittlungssysteme in Deutschland auch für Mafiamitglieder: Nach einer bestimmten Frist wird die Mafiamitgliedschaft getilgt - ganz so als könne man aus der Mafia aussteigen wie aus einem Golfclub.

Wollten Sie vielleicht alles nicht so genau wissen. Deshalb hier noch die schöne Nachricht darüber, dass die italienische Übersetzung jetzt auf dem Markt ist. Online zu bestellen hier (Öffnet in neuem Fenster) und hier (Öffnet in neuem Fenster) und hier (Öffnet in neuem Fenster) und hier (Öffnet in neuem Fenster). Zu der Frage, ob der italienische Titel oder der deutsche "Als ich einmal in den Canal Grande fiel" (Öffnet in neuem Fenster) besser ist, gibt es bereits ganze Denkschulen. 

Es war eine schwere Geburt - nicht wegen des Übersetzens (hier auch noch mal mein Dank an meinen pingeligen Übersetzer Stefano Porreca, der selbst Begriffe wie "Rudis Resterampe" mit "mercatino dell’usato" elegant umschifft hat), sondern weil man sich keine Freunde macht, wenn man die italienische Politik an allen Seiten  angreift. Aber egal: Es ist vollbracht, hurra, hurra, hurra!

Um so mehr habe ich mich über den warmherzigen Empfang meines Buches bei der Buchvorstellung gefreut, erst vorab auf dem Festival für Journalismus (Öffnet in neuem Fenster)in Verona:

und dann am Erscheinungstag in Venedig, als ich mein Buch im Sitz des Kulturschutzbundes Italia Nostra vorstellen durfte - und übrigens, was in Italien bei Buchvorstellungen unüblich ist, eine Passage meines Buches tatsächlich vorlas. Danach wurde mir das Buch praktisch aus den Händen gerissen - und jetzt hoffe ich, dass es, wie die deutsche Ausgabe auch, sein Eigenleben entwickelt. 

Von dem Sitz von Italia Nostra hat man übrigens auch einen fantastischen Blick auf Venedig:

Und zum Schluss möchte ich Ihnen nicht vorenthalten, dass der Espresso (Öffnet in neuem Fenster) heute über die Kuriosität berichtet, dass die zuständige Meldestelle nie eine Antimafia-Akte über Brugnaro angelegt hat, obwohl einem von Brugnaros Partnern Vermögenswerte wegen Mafiaermittlungen beschlagnahmt wurden. 

Just to say. 

In diesem Sinne grüßt sie herzlich aus Venedig Petra Reski mit einem Grazie mille an die stetig wachsende Gemeinschaft der Ehrenvenezianer, die meine Arbeit unterstützen!

1 Kommentar

Möchtest du die Kommentare sehen?
Werde Mitglied von Reskis Republik und diskutiere mit.
Mitglied werden