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"Ich glaube, dass dieses Land weder in der Lage ist, bestimmte Prozesse zu führen, noch sich der Wahrheit zu stellen. Inzwischen gibt es eine kollektive Amnesie, eine kulturelle Normalisierung in Bezug auf die Massaker, die selbst eine offene Debatte verhindert. Und ich glaube, das Spiel ist verloren", sagte der ehemalige Generalstaatsanwalt von Palermo, Roberto Scarpinato (Öffnet in neuem Fenster), anlässlich des inszenierten Gedenkens an das Attentat auf Falcone. 

Man muss schon mit viel Blindheit geschlagen sein , um die Widersprüche nicht zu sehen. Etwa, als die Sendung Report wieder weitere Belege für die Beteiligung rechtsextremer Kräfte (Öffnet in neuem Fenster)am Attentat auf Falcone vorbrachte - woraufhin die Staatsanwaltschaft von Caltanisetta (federführend in den Ermittlungen zum Attentat auf Falcone) für die Wohnung des Report-Journalisten einen Durchsuchungsbefehl (Öffnet in neuem Fenster) erließ, der von der römischen Staatsanwaltschaft aber schnell wieder abgeblasen wurde. 

Oder als Mario Draghi, der, seitdem er im Amt ist, das Wort "Mafia" kein einziges Mal ausgesprochen hat und jetzt plötzlich, nachdem er an einer Gedenkveranstaltung zu Ehren von Falcone teilgenommen hat, die Mafia entdeckte und die - nicht sehr überraschende - Feststellung machte, dass die ‘Ndrangheta auch in Norditalien vertreten sei, etwa in Südtirol, im Piemont, in Ligurien, im Veneto. Dort habe sich die "Unternehmermafia" festgesetzt, was, ähem, eine eher banale Feststellung ist - da es die vornehmste Eigenschaft der 'Ndrangheta ist, unternehmerisch tätig zu sein. In Südtirol jedoch löste das große Aufregung aus - obwohl die Fakten, wie ich in meinem Radiobeitrag (Öffnet in neuem Fenster) für den deutschsprachigen Dienst von RAINEWS sagte, in jedem parlamentarischen Antimafiabericht nachzulesen sind. 

Draghi verstehe vielleicht etwas von Finanzen (Öffnet in neuem Fenster), sagte der Antimafia-Staatsanwalt Nicola Gratteri, nicht aber von der Justiz und der Bekämpfung der Mafia. Tatsache ist, dass sich die Regierung Draghi vor allem mit einer Justizreform hervorgetan hat, die nicht dazu dient, Antimafia-Gesetze anzuwenden, sondern sie abzuschaffen. Und jetzt hat die Regierung Draghi auch noch 28,6 Millionen Euro für den Bau von "Liebeswohnungen" (case dell'amore) in Gefängnissen bereitgestellt, in denen sich Hochsicherheitsgefangene jeden Monat für 24 Stunden mit ihren Ehefrauen, Freundinnen oder Geliebten treffen können. Ohne jede Überwachung. "Stellen Sie sich vor, wie viele Nachrichten in diesen 24 Stunden nach draußen geschickt werden können", sagte Nicola Gratteri (Öffnet in neuem Fenster).

Und bevor wir die Mafia, wie jedes Jahr, nach den Gedenktagen wieder vergessen, ist es nützlich daran zu erinnern, wie wunderbar sie auch in Venedig voranschreitet: Wie bereits in meinem letzten Newsletter erwähnt, hat Andrea Tornago im Espresso die fabelhafte Geschichte der "Mafia in Laguna" (Öffnet in neuem Fenster) erzählt: die zweier "erfolgreicher Unternehmer" in Venedig - der eine ist der Bürgermeister von Venedig, Luigi Brugnaro, der andere sein Geschäftspartner, der Unternehmer Pietro Tindaro Mollica aus Messina, "gegen den wegen des Bankrotts seiner Unternehmen ermittelt wird und der den Kreisen des organisierten Verbrechens Siziliens und Kampaniens als nahestehend gilt". Selbst als Mollica verhaftet und sein Vermögen beschlagnahmt wurde, geschah in Venedig: nichts. In den Jahrzehnten der Mafia-Ermittlungen gegen Brugnaros sizilianischen Partner haben sich in Venedig vier Präfekten, darunter die jetzige Innenministerin, abgelöst, die dafür verantwortlich gewesen wären, dass bei Brugnaros Unternehmen eine Antimafia-Kontrolle durchgeführt worden wäre - wie sie eigentlich gesetzlich vorgeschrieben ist. Die Sendung Report hat über die Antimafia-Ermittlungen gegen Brugnaros sizilianischen Partner bereits vor Jahren berichtet. Die venezianische Presse hat sich damit natürlich nie befasst. Ganz zu schweigen von der Richterschaft. Und noch weniger der derzeitige Präfekt.

Dass die Präfekten von Venedig auf einem Auge blind sind, haben wir auch bei den letzten Bürgermeisterwahlen 2020 gemerkt, als die Präfektur den europäischen Einwohnern unter Missachtung des Gesetzes nicht mitgeteilt hat (Öffnet in neuem Fenster), wie sie an den Bürgermeisterwahlen teilnehmen können. Dabei gingen 10 000 Stimmen verloren. Die vermutlich nicht für Brugnaro gestimmt hätten.

Über den Espresso-Artikel wurde in der venezianischen Lokalpresse natürlich auch kein Wort verloren. Man hätte ja den Bürgermeister verstimmen können. Und so gesehen wundert es mich nicht, dass die venezianische Lokalpresse ängstlich vermeidet, ein Wort über das Erscheinen meines Venedigbuchs zu verlieren. Um so mehr freue ich mich darüber, dass das Gespräch über mein Buch anlässlich des Festivals des Journalismus in Verona jetzt auf Youtube online ist:

https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=mRQJ9Zphtrw&fbclid=IwAR0godFlc9iNCm2XSPJaixCy4M0fs6Ydvnndgv-5gcb6nF50bxaWNzy9Stg (Öffnet in neuem Fenster)

Jetzt aber zum Positiven: Gerade komme ich vom Salonfestival in Briol zurück:  

https://salonfestival.de/event/salonfestival-briol/?fbclid=IwAR2NS_h-kO8c7jFs-3hVdOiPVeob_CQ5i9qk6d_m55A9DMKU99W5f3EyduI (Öffnet in neuem Fenster)

zu dem ich zusammen mit meiner Freundin und Schriftstellerkollegin Zora Del Buono (Öffnet in neuem Fenster)eingeladen war. Ich war völlig geflasht - Chlorophyllflash, Gebirgeflash, Vogelgezwitscherflash, Bienensummenflash. 

Das war der Ausblick aus meinem Fenster, der mich - nicht zufällig an den Landschaftsmaler Giovanni Segantini (Öffnet in neuem Fenster) erinnerte, nach dem hier Berghütten, Straßen und Schulen benannt sind - und über den Asta Scheib den lesenswerten Roman "Das Schönste, was ich sah" (Öffnet in neuem Fenster) geschrieben hat.

Ich habe in den vergangenen Jahren bereits mehrmals an Salonfestivals (Öffnet in neuem Fenster) teilgenommen - also in Privatwohnungen gelesen (darunter einmal in einem Frankfurter Apfelweinkeller!), aber das hier in Briol, in dieser zauberhaften Pension (Öffnet in neuem Fenster), übertraf natürlich alles. 

Zora (hier in der Mitte) las aus ihrer Marschallin (Öffnet in neuem Fenster), ich las aus Als ich einmal in den Canal Grande fiel (Öffnet in neuem Fenster), Claudine Engeser (hier rechts) moderierte, wir redeten über Literatur, das Schreiben, über Mafia und Mammutbäume und über Ideen, die keine sind, tranken ausgezeichneten Weißwein, aßen Rhabarberkuchen, retteten ertrunkene Fliegen aus dem Pool und konnten kaum glauben, dass es so ein Idyll wirklich gibt. Was man nicht alles einem Buch verdankt! Grazie, grazie, grazie!

In diesem Sinne grüßt Sie herzlich aus Venedig Petra Reski mit Dank an die stetig wachsende Gemeinschaft der Ehrenvenezianer, die meine Arbeit unterstützt!

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