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Über Greenwashing, Schutzgelder und bulgarische Edikte

Ich war gerade in der Lagune unterwegs, als mich die ersten Fotos vom grün gefärbten Wasser des Canal Grande und seiner Seitenkanäle erreichten. Der Venezianer an meiner Seite gab sich sofort unbeeindruckt, sagte abgeklärt: "Hat Uriburu schon vor Jahrzehnten gemacht" und verwies auf die Land-Art (Öffnet in neuem Fenster)-Aktion während der Biennale 1968, als der argentinische Künstler Nicolás García Uriburu (Öffnet in neuem Fenster) den Canal Grande leuchtend grün färbte, indem er Liter von Fluoreszin (Öffnet in neuem Fenster) ins Wasser kippte.

Uriburu tat das, weil er, wie es damals hieß, das Missverhältnis zwischen der kapitalistischen Gesellschaft und der Natur anprangern und ökologische Themen in die Kunstwelt einführen wollte. Was er darüberhinaus mit den - bis heute unbekannten - "Tätern" der letzten Färbeaktion gemein hat, ist natürlich, dass er das ohne Erlaubnis tat und ohne zur Biennale eingeladen worden zu sein. (Die Biennale 1968 hatte natürlich einen ganz anderen Spirit als die von heute, wo Kritik an der Biennale - remember: der österreichische Pavillon (Öffnet in neuem Fenster) - sofort unterdrückt wird: Noch heute findet man im Netz verschwommene Aufnahmen von Demonstranten, die Spruchbänder mit „Schluss mit der bürgerlichen Biennale“ oder „Besichtigt die Polizei auf der Biennale“ schwenkten und auf dem Markusplatz mit Kaffeehaustischen um sich warfen.)

Angesichts der Tatsache, dass Fluoreszin ungiftig ist, finde ich, dass die jetzige Aktion (falls sie eine sein sollte) sehr bildlich darauf aufmerksam macht, dass Venedig den Titel als "Welthauptstadt des Greenwashings" verdient hat. Was sie vor allem der Stiftung "Venedig, Welthauptstadt der Nachhaltigkeit" (Öffnet in neuem Fenster) zu verdanken hat, gegründet von dem venezianischen Bürgermeister-Unternehmer Luigi Brugnaro, dem Ex-Forza-Italia-Politiker Renato Brunetta und dem Lega-Politiker Luca Zaia - und damit ungefähr so glaubwürdig wie Putin, Lukaschenko und Erdogan, die eine Vereinigung der Pazifisten gründen. Zur Stiftung gehören vor allem private Unternehmen wie Erdgasnetzbetreiber, Mineralölkonzerne, Energiekonzerne und amerikanische Unternehmensberatungsgruppen, Amazon, die Autobahnbetreiber "Autostrade per l'Italia", selbstverständlich auch das bürgermeistereigene Zeitarbeitunternehmen Umana und viele andere Umweltfreunde, die an den Milliarden des EU-Aufbaufonds interessiert sind. Und angesichts solch potenter Sponsoren geraten Kleinigkeiten wie die Tatsache, dass Venedig an fünfter Stelle der italienischen Städte mit der höchsten Luftverschmutzung (Öffnet in neuem Fenster)steht, in den Hintergrund.

Die Bilder vom grün gefärbten Canal Grande machten natürlich in Windeseile die Runde um die Welt, was die venezianischen Lokalzeitungen wie immer sofort voller Stolz referierten: Der Guardian berichtete! Le Figaro! Der Spiegel! CNN! Sogar in Brasilien und Argentinien wurde über Venedig berichtet!

Der Lokalpatriotismus schlug voll durch: Okay, mag sein, dass es für manchen so aussieht, als sei Venedig nichts als ein touristischer Erlebnispark, aber wenn in Venedig eine Wurst platzt, geht diese Nachricht doch sofort um die Welt! Und genau aus dem Grunde ist auch der Bürgermeisterposten von Venedig so begehrt - obwohl Brugnaro de facto eigentlich Bürgermeister von Mestre ist, wo die Mehrheit seiner Wähler lebt.

Und als Bürgermeister von Venedig will man sich die Show natürlich nicht von ein paar wildgewordenen Klima-Aktivisten stehlen lassen: „Schluss damit, Venedig ständig als Tribüne zu benutzen“, hieß es sofort.

Ganz anders ist das natürlich, wenn der Bürgermeister Venedig zur Selbstdarstellung benutzt - mit der EU-Kommissionspräsidentin, mit Ministern, Popsängern, TV-Moderatoren oder anderen Koryphäen :

Für mich ist es bemerkenswert, wie nachsichtig sich die deutschen Medien gegenüber Giorgia Meloni verhalten. Okay, man findet es nicht so toll, dass die Italiener wieder mal nicht so gewählt haben, wie man sich das in deutschen Redaktionen gewünscht hätte: Ja, Giorgia Meloni ist rechts - aber doch nicht so schlimm, wie man es sich vorgestellt hat.

Möglicherweise liegt das daran, dass Meloni, kaum dass sie gewählt war, sich sofort für Waffenlieferungen an die Ukraine einsetzte (Italien kommt gleich nach Deutschland auf der Liste der weltweit größten Waffenlieferanten (Öffnet in neuem Fenster)) und den Schulterschluss mit den Amerikanern (seit jeder bestimmender Faktor der italienischen Innenpolitik) suchte. Und da geraten Kleinigkeiten schnell aus dem Blick - etwa dass Meloni während des Bürgermeisterwahlkampfs von Catania Steuern als "Pizzo di Stato" bezeichnete, als "staatliches Schutzgeld".

Natürlich verwundert das nicht, schließlich ist der wegen Steuerhinterziehung vorbestrafte Berlusconi (deren Ministerin Meloni war) ihr Lehrmeister und Koalitionspartner. Aber abgesehen davon, dass ich es als abstoßend empfinde, von Schutzgelderpressung in einer Stadt zu sprechen, in der in der Tat viele Menschen noch von der Mafia erpresst werden, bedeutet die Verwendung von 'Staat' als Synonym für Mafia was? Meloni wäre als Ministerpräsidentin diejenige, die die Regeln festlegt, die in diesem Staat gelten sollen, also wäre sie der/die/das Boss der Bosse?

Und wenn der Staat gleichbedeutend mit der Mafia ist, sollten wir also auf Polizei und Richter verzichten und zur Selbstjustiz greifen? Und wenn Steuern nichts als mafioses Schutzgeld sind, sagen wir: Tschüss Schutzgeld und schließen Schulen, Universitäten, Krankenhäuser?

Wozu eine fähig ist, für eine Handvoll Stimmen.

Und zum Schluss noch ein schönes Beispiel für Copy&Paste-Journalismus: "Eine Starmoderatorin geht - aus Protest gegen die Regierung" titelte die Süddeutsche Zeitung in diesem Beitrag über Lucia Annunziata (Öffnet in neuem Fenster). Untertitel: "Sie überstand Berlusconis Attacken. Doch mit Premierministerin Meloni hat sie Schwierigkeiten."

Genau so wurde dies in den italienischen Medien berichtet, die der demokratischen Partei nahestehen und natürlich kein Wort darüber verlieren, dass sich die stets der demokratischen Partei nahestehende Lucia Annunziata als RAI-Präsidentin glänzend arrangiert hatte mit Berlusconi - womit sie repräsentativ ist für die demokratische Partei, die in den 20 Jahren der Regierung Berlusconis eben nichts tat, was man von einer Oppositionspartei erwartete und damit Berlusconis Herrschaft festigte.

Lucia Annunziata übernahm den Job als Präsidentin der RAI und damit als demokratisches Feigenblatt unter Berlusconi: Im Hintergrund steht Berlusconis Säuberungsaktion von 2002, bis heute als "Bulgarisches Edikt" (Öffnet in neuem Fenster) bekannt: Berlusconi war in Bulgarien, prangerte in einer Pressekonferenz den "kriminellen Missbrauch" des öffentlich-rechtlichen Fernsehens an - namentlich durch die Journalisten Enzo Biagi (Öffnet in neuem Fenster), Michele Santoro (Öffnet in neuem Fenster) und den Kabarettisten Daniele Luttazzi (Öffnet in neuem Fenster) (der Marco Travaglio eingeladen und zugelassen hatte, dass dieser über den mafiosen Ursprung von Berlusconis Reichtum referierte) - woraufhin daraufhin alle drei aus der RAI entfernt wurden.

Der vom Parlament zum RAI-Präsidenten vorgeschlagene Journalist Paolo Mieli (Öffnet in neuem Fenster)wollte das Amt nur unter der Bedingung annehmen, dass die drei Opfer von Berlusconis Säuberungsaktion wieder zurückkehren. Weil das nicht der Fall war, nahm er das Amt nicht an. An seiner Stelle kam Lucia Annunziata, die als RAI-Präsidentin die Rückkehr von niemandem forderte und auch kein Wort über die in ihrer Amtszeit erfolgten weiteren "Säuberungsaktionen" gegenüber Berlusconi-Kritikern wie Sabina Guzzanti (Öffnet in neuem Fenster) verlor.

Folglich geht die Süddeutsche Zeitung (stets linientreu mit der demokratischen Partei) etwas weit, Lucia Annunziata und den Moderator Fabio Fazio jetzt zu Oppositionellen zu erklären (Italiens Starmoderator kehrt der Rai den Rücken - was Meloni damit zu tun hat (Öffnet in neuem Fenster)): Fazio geht, weil er einen hochdotierten Vertrag mit Discovery unterzeichnet hat und Annunziatas Vertrag war auch nicht ausgelaufen.

Grundsätzlich gilt für italienische Politik: Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Auf Italienisch: cane non morde cane. Ein Problem hast du erst, wenn du es wagst, sowohl die Linken, als auch die Rechten zu kritisieren. Auch deshalb sind die Fünfsterne verglüht.

Aus dem Salento, wo die tot erklärten Olivenbäume (Öffnet in neuem Fenster) wundersamerweise wieder ausschlagen (dazu demnächst mehr) grüßt Sie Ihre Petra Reski

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