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Über das Lachen und darüber, wenn es im Halse stecken bleibt.

Nie habe ich Scholz so lachen sehen, wie mit Giorgia Meloni.

Okay, kann natürlich an der Bildauswahl liegen. Also dass die Redaktionen immer nur die Bilder aussuchen, auf denen Olaf Scholz neben Giorgia Meloni wie ein Honigkuchenpferd grinst. Anscheinend ist diese Auswahl so groß, dass man gar nicht anders kann.

„Ziemlich beste Freunde“ titelt Monitor spitzzüngig und zählt auf, was man in Deutschland zur Zeit gerne übersieht, wenn es um Giorgia Melonis Politik in Italien geht.

Meloni hat sich sofort zur Unterstützung der Ukraine bereit erklärt und damit offenbar den Freifahrtschein bekommen. Dadurch schaut man von Deutschland aus nicht mehr so genau hin, was die italienische Innenpolitik betrifft.

Das war bei den Fünfsternen ganz anders: Sie wurden von der deutschen Politik und den deutschen Medien als Ausgeburt des Satans betrachtet - wobei die Tatsache unter den Tisch fiel, dass die Fünfsterne in den vergangenen 35 Jahren den einzigen Versuch darstellten, der Endlosschleife der italienischen Politik ("Alles muss sich ändern, damit alles bleibt, wie es ist") zu entkommen.

Zur großen Erleichterung der Amerikaner, die seit Jahrzehnten die italienische Innenpolitik bestimmen, konnten auch die Fünfsterne neutralisiert werden (und haben sich, das muss angefügt werden, erfolgreich auch selbst neutralisiert, aufgrund von Inkompetenz und taktischen Fehlern).

Aber hinter Giorgia Meloni verbirgt sich viel, viel mehr. Nicht nur ein siechender Berlusconi, sondern auch die Schatten der italienischen Vergangenheit.

Berlusconi wurde gerade wieder ins Krankenhaus eingeliefert, seine Ärzte versuchen, seinen wirklichen Gesundheitszustand vor der Öffentlichkeit zu verbergen, weshalb diese Karikatur auf B.'s berühmten Ausspruch "Ich begebe mich ins Feld" (Öffnet in neuem Fenster) anspielt, mit dem er 1994 seinen Einstieg in die Politik begründete: "Also was jetzt? Begeben Sie sich ins Feld?"

Berlusconis Siechtum hat zur Folge, dass seine Getreuen in Scharen zu Giorgia Meloni und, in geringerer Zahl, zur Lega und zu den Miniparteien von Matteo Renzi und Carlo Calenda überlaufen. Giorgia Meloni wird also aus Berlusconis bevorstehenden Dahinscheiden gestärkt hervorgehen.

Und wenn sich jemand in Deutschland mal die Mühe machen würde, sich für die italienische Vergangenheit zu interessieren, und damit meine ich nicht die Renaissance, sondern die Jahre 1992-93-94, dann wüsste er, dass mit den Attentaten an Falcone und Borsellino und der darauffolgenden Attentatsserie in Italien de facto unter Beteiligung von Geheimagenten und rechtsextremen Terroristen ein Staatsstreich vollzogen wurde - der die italienische Gegenwart bis heute bestimmt: Erst 20 Jahre Berlusconi und jetzt und wohl für die nächsten Jahrzehnte die Ex-, Post- oder Neofaschistin Giorgia Meloni.

Die "Strategie der Spannung" (Öffnet in neuem Fenster) wurde in Italien mit großem Gewinn angewendet.

Falls es Ihnen entgangen sein sollte: Für das Jahr 2025 haben für Experten von World Heritage Watch 38 Millionen Touristen für Venedig vorausgesagt.

Bislang lag der Stand bei etwas mehr als 30 Millionen. Seit dem Jahr 2020 gibt es in Venedig mehr Touristenbetten als Einwohner. Diese Grafik gibt einen schönen Einblick in die Entwicklung:

Den sehr gut recherchierten Bericht über den desaströsen Zustand Venedigs und der Untätigkeit der Stadtverwaltung kann man hier nachlesen (Öffnet in neuem Fenster). Schon in diesem Jahr ersticken wir in Besuchern: Noch nie habe ich so viele Reisegruppen durch die noch entlegensten Gassen ziehen sehen. Zur Zeit gibt es hier täglich 100 000 Tagestouristen und während Großereignissen wie Vogalonga, Redentore oder Regatta Storica natürlich entsprechend mehr. Schön ist in dem Bericht der Satz, dass Venedigs Bürgermeister und seine Gefolgsleute unter "Tourismusmanagement" nichts anderes verstehen als eine starke und dauerhafte "Übertourismusförderung".

Ich habe, wie viele in Deutschland, den Rammstein-Skandal verfolgt. Erst mehr aus den Augenwinkeln, weil mich die angebliche Ironie der Band, ihre Stechschritt-Musik und ihr Nazi-Schnarren so was von überhaupt nicht interessieren. Auch fand ich die geradezu kultische Verehrung der primitiven Gedichte (Öffnet in neuem Fenster) des Leadsängers Till Lindemann - Schlaf gerne mit dir, wenn du träumst/Und genau so soll das sein (so soll das sein so macht es Spaß)/Etwas Rohypnol im Wein (etwas Rohypnol ins Glas)/Kannst dich gar nicht mehr bewegen. Und du schläfst, es ist ein Segen - und die Verteidigung seines Verlages Kiepenheuer&Witsch gegenüber der Kritik abstoßend.

Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe: Ich habe viele der (sehr gut recherchierten) Artikel (Öffnet in neuem Fenster) über den Rammstein-Skandal gelesen. Aber erst das Video der Youtuberin Kayla Shyx (Öffnet in neuem Fenster) hat mich umgehauen. Nicht mal, weil da irgendwas besonders Widerwärtiges beschrieben worden wäre (im später erschienenen Artikel des SPIEGEL ist vom "Resteficken" und der "Schlampenparade" die Rede).

Sondern weil sie einfach nur erzählt, wie systematisch dieser Missbrauch junger Frauen von Rammstein betrieben wurde.

Und das führt mich zurück nach Italien: Zur Zeit schreibe ich an einem neuen Buch, das Italien zum Gegenstand hat. Und um die Gegenwart Italiens (siehe Meloni oben) zu verstehen, ist es nützlich, sich mit der Vergangenheit zu beschäftigen. Beim Schreiben fallen mir viele Dinge wieder ein, an die ich nicht mehr gedacht habe. Etwa, dass ich ganz am Anfang meiner Zeit in Italien über die 19jährige Schriftstellerin Lara Cardella (Öffnet in neuem Fenster)geschrieben habe, die mit einhunderteinundzwanzig Buchseiten und der Forderung »Ich wollte Hosen« im Jahr 1989 einen Weltbestseller landete und das Blut der Sizilianer in Wallung brachte. Die hatten den Roman - die Protagonistin wird zur »disonorata« weil sie bei ihrem ersten Kuss von den Eltern erwischt und, um die Familienehre zu retten, zum Onkel geschickt wird, der sie schon mal missbraucht hat und es wieder versucht - nicht mal gelesen, sondern nur gehört, was Lara in der legendären Maurizio-Costanzo-Talkshow gesagt hat: Da sprach sie von der Qual, dass in Sizilien Mädchen schon als Hure betrachtet werden, sobald sie einen Minirock tragen und auf der Straße Eiscreme lecken. Junge Frauen also grundsätzlich als Sexualobjekt betrachtet werden.

Und wenn man sich ansieht, was bei Rammstein passiert ist und wie die jungen Frauen, die den Mut hatten, den Missbrauch anzuprangern, beschimpft und bedroht werden, hat man das Gefühl, dass Sizilien 1989 nicht weit weg ist von Deutschland 2023. Nur mit dem Unterschied, dass es dafür heute Begriffe wie victimblaming oder besser Täter-Opfer-Umkehr (Öffnet in neuem Fenster) gibt.

Natürlich hat sich Till Lindemann vertrauensvoll den teuersten Medienanwalt Deutschlands genommen: Die Kanzlei Christian Schertz vertritt ihn (Öffnet in neuem Fenster). Es ist dieselbe Kanzlei, die im Auftrag von Deniz Yücel dem Journalisten Volker Skierka und mir Klage angedroht hat (Öffnet in neuem Fenster) wegen unserer kritischen Berichterstattung über das Wüten Yücels im PEN.

Und weil ich an diesem neuen Buch schreibe, werde ich, wie bereits angekündigt, aber nicht umgesetzt, den Newsletter fortan nicht mehr wöchentlich, sondern nur alle zwei Wochen schreiben können. Bleiben Sie mir und Reskis Republik gewogen!

Herzlichst grüßt Sie aus Venedig, Ihre Petra Reski

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