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Über beunruhigende Parallelen und verpasste Gelegenheiten

Ich fange mal mit dem Schrecklichen an. Praktisch zeitgleich - und das finde ich besonders beunruhigend, kam es sowohl in Deutschland als auch in Italien zu zwei rechtsextremistischen Vorfällen: In Deutschland deckte das Rechercheteam von Correctiv die Gespräche hochrangiger AfD-Politiker, Neonazis und finanzstarker Unternehmer über Vertreibungspläne von Rechtsextremisten in einer Potsdamer Villa auf. Nachzulesen hier:

https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/ (Öffnet in neuem Fenster)

Und in Italien haben sich hunderte von Neofaschisten in Rom versammelt, (Öffnet in neuem Fenster) wo sie auf den Ruf "Für alle gefallenen Kameraden" militärisch zackig "Presente!" (zu Deutsch: anwesend) brüllten und dabei den rechten Arm zum Faschistengruß in die Höhe reckten - und das nicht zum ersten Mal, wie dieses Video zeigt:

https://www.youtube.com/watch?v=rkooQSPGJc8 (Öffnet in neuem Fenster)

“Anlass” der Versammlung sind die sogenannten Acca-Larentia-Morde: Das Gedenken an zwei Neofaschisten, die 1978 hier - vor dem ehemaligen Sitz des neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) von Linksterroristen erschossen wurden. Berührungsängste mit alten Faschisten hat hier niemand, folglich mag auch nicht erstaunen, dass Meloni als Führerin der rechtspopulistischen Fratelli d’Italia, der „Brüder Italiens“, zu dem Vorfall schwieg: Im Logo ihrer Partei lodert immer noch die grün-weiß-rote Flamme, die in der Symbolik der italienischen Rechten für die ewige Flamme auf dem Grab Mussolinis steht - einst das Symbol der neofaschistischen MSI, später der Alleanza Nazionale und heute der Fratelli d’Italia.

Natürlich gilt die Verteidigung des Faschismus auch in Italien als strafbar - aber: In Italien werden mehr und mehr Urteile gefällt, denen zufolge der faschistische Gruß nicht strafbar ist, "wenn keine Gefahr der Neugründung einer faschistischen Partei oder der Verfolgung antidemokratischer und diskriminierender Ziele besteht". So kann die in Italien weit verbreitete Verharmlosung des Faschismus (Öffnet in neuem Fenster) weiter voranschreiten.

Der Film C’è ancora domani (Öffnet in neuem Fenster) (Das ist auch morgen noch) handelt von der Aufbruchstimmung im Italien der Nachkriegszeit und ist in Italien der erfolgreichste Film des Jahres 2023. Er handelt - einerseits - von der Gewalt gegen Frauen, was in Italien vor allem seit dem Mord an Giulia Cecchettin (Öffnet in neuem Fenster) zu einem Thema wurde, das die Medien wochenlang beschäftigte und sicher zum Erfolg des Films beitrug.

Andererseits handelt der Film vor allem von der Selbstbestimmung der Frauen: Anlässlich des Referendums zur Abschaffung der Monarchie vom 2. Juni 1946 wurden den Italienerinnen erstmals das allgemeine Wahlrecht zugestanden. Und sie mussten sich vorher den Lippenstift abwischen: “Kein Lippenstift in der Wahlkabine", schrieb der Corriere della Sera, der die Frauen aufforderte, sich ohne Lippenstift auf den Lippen im Wahllokal einzufinden. Zur Begründung heißt es: "Da der Stimmzettel geklebt werden muss und keine Erkennungszeichen haben darf, könnten Frauen beim Befeuchten der Klebelasche mit den Lippen ungewollt etwas Lippenstift darauf hinterlassen und damit ihre Stimme ungültig machen. Deshalb sollte der Lippenstift mitgenommen werden, um die Lippen außerhalb des Wahllokals zu verschönern." Hier auch die Besprechung des Films in der New York Times (Öffnet in neuem Fenster) - ich hoffe, dass “C’è ancora domani” auch in die deutschen Kinos kommt!

Unterdessen hat dieses Phänomen von Bürgermeister, mit dem wir in Venedig geschlagen sind, wieder eine Gelegenheit verpasst, den Mund zu halten: Brugnaro schaffte es sogar, die Pressekonferenz anlässlich des 700. Todestags von Marco Polo zu ruinieren, indem er zum Entsetzen der Anwesenden behauptete, Marco Polo sei nicht in Venedig, sondern im - heute - kroatischen Korčula zur Welt gekommen (Öffnet in neuem Fenster).

Mal abgesehen davon, dass Brugnaro dabei einem alten nationalistischen Märchen aufgesessen ist, wie der venezianische Autor Alessandro Marzo Magno (Öffnet in neuem Fenster) klarstellte, nahm Brugnaro das gleich auch zum Anlass, vermeintliche Gemeinsamkeiten zwischen ihm und Marco Polo festzustellen. Jetzt könnte man sagen: So schlicht ist er eben, dieses Landei - wenn er irgendein Vorstadtrambo wäre und nicht Bürgermeister von Venedig.

Die Legende von Marco Polo geboren im heutigen Korčula in Kroatien, wurde 1856 von einem italienischen nationalistischen Priester erfunden: Simeon Gliubich, der später als Šime Ljubić zum kroatischen Nationalismus konvertierte. Es war eine kroatische Anthropologin, Olga Orlić von der Universität Zagreb, die das kroatische Marco-Polo-Märchen mit ihrer Studie im Jahr 2012 widerlegt, nachzulesen hier (Öffnet in neuem Fenster) - falls man, anders als unser Bürgermeister - des Englischen mächtig ist.

Und weil wir kaum nachkommen, was Bürgermeister Brugnaro alles so von sich gibt, haben Christopher Weingart und ich versucht, das im Podcast von Reskis Republik zusammenzufassen - und auch darauf hinzuweisen, dass es sich bei ihm nicht nur um Quatsch handelt, sondern vor allem um handfeste Interessen. Nachzuhören hier in der achten Folge unseres Podcasts:

https://open.spotify.com/episode/4LElxfjHt2qLrRZXRCIRFq?si=6f53db8142d34ae3 (Öffnet in neuem Fenster)

Herzlichst grüßt Sie Ihre Petra Reski!

Und zum Schluss noch:

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