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Über Meteorologen, Komiker und einen anständigen Menschen.

Als ich neulich Abend den Kanal an der Fondamenta Corner Zaguri passierte, lagen die Boote noch auf dem Trockenen. Das Niedrigwasser fing Rosenmontag an und dauerte eine Woche, mit Höchstwerten von minus 70 Zentimetern unter dem Meeresspiegel, weshalb die Bilder von den auf dem Trockenen liegenden Gondeln sofort um die Welt gingen: Venedig als Sinnbild für die Klimakrise. Erst Hochwasser. Jetzt Trockenheit.

Was in der Katastrophenberichterstattung allerdings unterging, war, dass es nicht die Dürre ist, die Venedigs Kanäle vertrocknen lässt – sondern ein Zusammenspiel von einem Hochdruckgebiet über dem Mittelmeer und der astronomischen Konstellation einer Springtide, in deren Folge Hoch- und Niedrigwasser stärker ausfallen. Niedrigwasser gibt es immer wieder in der Lagune, speziell im Januar oder Februar: Im Jahr 2008 war das Niedrigwasser mit minus 80 Zentimetern sogar noch tiefer als das jetzige. Allerdings dauerte die jetzige Periode ungewöhnlich lange und brachte die zerfallenen Fundamente der Palazzi und verlandete Kanäle zum Vorschein. Doch statt die Fundamente zu renovieren, die Kanäle auszubaggern oder gar verseuchte Böden zu sanieren, beschloss der Stadtrat unter unserem Unternehmer-Bürgermeister Luigi Brugnaro, mit Geldern aus dem Spezialgesetz für den Erhalt von Venedig und EU-Fördergeldern ein Sportstadion auf dem Festland zu bauen - für 107 Millionen Euro.

Und weil Venedig ja von allen benutzt wird, hat es mich auch nicht gewundert, dass die Berichterstattung über das Niedrigwasser in Venedig auch dazu gut sein musste, sich das Mütchen an den Klimaschützern zu kühlen, nachzulesen etwa bei dem Komiker Dieter Nuhr (Öffnet in neuem Fenster). Die einen mutieren zu Meteorologen, die anderen zu Kennern der venezianischen Lagune. Experten allüberall. 

Die Nachricht vom Niedrigwasser in Venedig ging vermutlich so schnell um die Welt, weil sich an den Karnevalstagen täglich zwischen 150 000 und 200 000 Besucher in der Stadt aufhielten – macht drei bis vier Besucher pro Venezianer – die das bizarre Naturphänomen so beflissen auf den Socials dokumentierten wie ein besonders ausgefallenes Karnevalskostüm. Und ja, mein Video von der Riesenechse (Öffnet in neuem Fenster), mit dem ich auf die aussterbende Spezies der Venezianer aufmerksam machen wollte, wurde inzwischen über 63 000 mal gelikt und kommentiert, ohne dass jemand mitgekriegt hätte, dass ich damit auf die aussterbenden Venezianer aufmerksam machen wollte. Tja, mit den letzten Venezianern kann man auf den Socials keinen Blumentopf mehr gewinnen, anders wäre es wahrscheinlich, wenn sie wenigstens wegen des Niedrigwassers aussterben würden. Oder, besser noch: im Hochwasser. Aber vielleicht ist das auch nur eine Frage der Geduld. 

Meanwhile wurde in Venedig, dieser kleinen Stadt im Wasser, das Geheimnis der rätselhaften Handzettel mit dem Siegel "C16A" gelüftet , die an den Vaporettostationen aufgetaucht sind und auf denen zu lesen war: "Bürgermeister für Venedig gesucht, der in Venedig lebt. Nur ernstgemeinte Zuschriften. Plünderer bitte fern halten".

Mit "C16A" ist der 16. April gemeint: am 16. April 2023 wird das Sondergesetz für Venedig und seine Lagune ein halbes Jahrhundert alt: Im Jahr 1973, sieben Jahre nach der verheerenden Flut von 1966, erklärte Rom das Venedig-Problem zur Staatsangelegenheit und verfasste das "Spezialgesetz" zum Schutz Venedigs und des „hydraulisch-geologischen Gleichgewichts“ seiner Lagune. 

Seitdem stellt sich Venedig für die Italiener als eine Luxus-Gespielin dar, die immer nur Geld, Geld, Geld will und die man sich eigentlich schon lange nicht mehr leisten kann. Vor allem, wenn das Geld dieses Sondergesetzes der Stadt nicht zugute kommt: Nicht nur, weil es in das ruchlose MOSE-Projekt - 8,5 Milliarden Euro Kosten - umgeleitet wird, sondern auch dazu dient, jetzt besagten neuen Sportpalast auf dem Festland zu finanzieren, um Wählerstimmen auf dem Festland zu gewinnen. 

Dagegen - und gegen die weitere Zerstörung Venedigs - werden wir am 16. April in Venedig auf dem Campo Sant'Angelo demonstrieren: #OccupyVenezia!

Zum Schluss noch eine traurige Nachricht: Am Freitagmorgen ist mein Freund und Schriftstellerkollege Heinrich Peuckmann (Öffnet in neuem Fenster) verstorben, der lange Jahre Generalsekretär des PEN war. Heinrich gehörte für mich zu meiner Heimatstadt Kamen wie die Zeche Monopol, auf der mein Vater starb. Wir sind beide Kinder von Bergmännern. Heinrich war ein Kämpfer für die Literatur und für so etwas Altmodisches wie Anstand. Sein Tod hat mich sehr getroffen.

Hier meine Erinnerung an ihn:

https://www.petrareski.com/2023/03/04/in-memoriam-heinrich-peuckmann-1949-2023/ (Öffnet in neuem Fenster)

Aus Venedig grüßt Sie, Ihre Petra Reski

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