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Didi (Sean Wang)

Wir leben im Zeitalter der Nostalgie. Unter den 30 erfolgreichsten Filmen der neuen 20er Jahre in Amerika findet sich nur ein einziger, der nicht an Vertrautes anknüpft: Oppenheimer. Der Rest besteht aus Fortsetzungen, Comicverfilmungen oder Remakes. Sean Wang wagt in seinem Regiedebüt nun den Versuch, Bekanntes mit Neuem zu verbinden.

Der Film spielt im Sommer 2008 in Kalifornien und erzählt die Coming-of-Age-Geschichte von Chris Wang (Izaac Wang), genannt Didi (chinesisch für "kleiner Bruder"). Seine Eltern stammen aus Taiwan, doch er ist eindeutig in den USA sozialisiert worden. Die Repräsentation von Asian-Americans in Hollywood ist nach wie vor marginal. Mit Filmen wie Shang-Chi, Everything Everywhere All at Once oder Crazy Rich Asians gab es zwar einige Produktionen mit asiatisch-amerikanischen Hauptdarstellern und Regisseuren, aber insgesamt tut sich in diesem Bereich wenig. Umso erfreulicher ist es, mit Didi eine weitere Facette des Asian-American-Films zu erleben.

Identität

Genretypisch dreht sich alles um die Frage nach Identität und Zukunft. Der 13-jährige Chris ist der einzige Junge in einem Mehrgenerationen-Haushalt, bestehend aus ihm, seiner älteren Schwester Vivian (Shirley Chen), seiner Mutter (Joan Chen) und seiner Großmutter (Zhang Li Hua). Sein Vater lebt und arbeitet in Taiwan, um die Familie zu finanzieren. (Glücklicherweise gab es damals noch keine Bezahlkarte, die das verhindert hätte).

In seiner Familie wird er Didi genannt. Seine Mutter und Großmutter sprechen Chinesisch mit ihm, seine Schwester Englisch. Die Familie ist eher traditionell orientiert: Die Großmutter schwebt als Matriarchin über allem, während die Mutter - wohlwollend, aber oft verletzend - jede Handlung und das Aussehen ihrer Kinder kommentiert. Gegen ihre Schwiegermutter kommt sie nicht an, die ihr ständig zu verstehen gibt, dass sie nicht gut genug für ihren Sohn sei.

Die Kinder selbst sind typisch amerikanisch - sehr zum Missfallen der Großmutter. Beide fluchen, streiten am Esstisch, besitzen Merchandise amerikanischer Bands und interessieren sich mehr fürs Ausgehen und Spaßhaben als dafür, die Familie stolz zu machen.

Von seinen Freunden Fahad und Soup wird Chris "Wang-Wang" genannt. Sie sind beste Freunde, doch Chris spürt, dass er nicht ganz dazugehört. Fahad und Soup diskutieren Themen, die sie mit Chris nicht teilen, gehen ein paar Schritte voraus und scheinen generell die treibende Kraft zu sein, während Chris eher der Mitläufer ist. Ihnen gegenüber ist Chris jedoch authentisch und verstellt sich nicht.

Anders verhält es sich bei seinem Schwarm Madi (Mahaela Park) und den älteren Skater-Jungs. Hier gilt das Motto "Fake it till you make it". Egal ob es um Filme, Musik oder das Filmen von Skatevideos geht - Chris lügt, dass sich die Balken biegen. Selbst als er auf einer Party "Asian Chris" genannt wird, besteht er darauf, nur "half-Asian" zu sein. Als die Skater später erfahren, dass beide Eltern von Chris aus Taiwan stammen, brechen sie den Kontakt zu ihm ab.

Doch hat Chris hier wirklich gelogen? Für die weißen und schwarzen Jungs der Skaterclique bedeutet "half-Asian" zwangsläufig, dass ein Elternteil weiß sein muss. Für Chris hingegen geht es um mehr als nur das Äußere. Seine Eltern sind traditionell taiwanesisch, aber er sieht sich als Amerikaner, spricht ungern Chinesisch und hängt lieber mit seinen amerikanischen Freunden ab, anstatt die asiatische Nachhilfeschule zu besuchen. "Half-Asian" bedeutet für Chris mehr als nur die Hautfarbe.

Nostalgie

Der Film ist durchdrungen von Referenzen an die späten 2000er. Facebook ist relativ neu, kommuniziert wird über den AOL Messenger oder per SMS. Grammatik und Rechtschreibung sind weniger wichtig als das gleichzeitige Stalken auf Facebook oder MySpace, um den Lieblingsfilm herauszufinden. Dennoch fand das Leben noch überwiegend offline statt. Skatevideos mit Fischaugenlinse sind der letzte Schrei, und man entschließt sich spontan, auf fremde Hauspartys zu gehen.

Dadurch schafft der Film eine Universalität, die verdeutlicht, dass wir alle ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Die asiatisch-amerikanische Identität wirkt plötzlich weniger fremd, selbst für ein weißes Publikum. Dies hat allerdings zur Folge, dass der Film seine eigene Individualität untergräbt und sich einer gewissen Gefälligkeit hingibt.

Besonders deutlich wird dies beim Höhepunkt des Films. Chris fühlt sich von seiner Mutter missverstanden, die ihn zur Nachhilfe schickt, damit er mit den anderen asiatischen Kindern mithalten kann, und läuft von zu Hause weg. Bei seiner Rückkehr fragt er sie vorwurfsvoll, warum sie ihn nicht gesucht habe und ob sie sich für ihn schäme. Die Mutter antwortet lediglich, dass auch die Schwester schon einmal weggelaufen und von alleine zurückgekommen sei, weshalb sie sich sicher war, dass Chris ebenfalls zurückkehren würde. Sie betont zudem, dass sie nicht beschämt, sondern stolz auf ihn sei. Chris gibt sich damit zufrieden, doch als Zuschauer empfindet man diese Antwort als oberflächlich.

Es sind tiefgreifende Fragen, die eine Rechtfertigung oder zumindest eine ehrliche Antwort verdienen. Wenn die Mutter stolz auf ihren Sohn ist, warum zeigt sie es dann nicht? Wir sehen sie nur, wie sie sich bei den Nachbarn für ihn entschuldigt, wie sie auf das Nörgeln der Großmutter mit Schweigen reagiert und wie sie ihren Sohn zwingt, in einer fremden Garage Nachhilfeunterricht zu nehmen. Dass Chris von alleine zurückkommt, ist klar; sein Vorwurf zielte vielmehr darauf ab, warum sie ihm nicht symbolisch entgegengekommen ist. Die Mutter muss sich nicht bewegen, die Kinder müssen zu ihr kommen. Umgekehrt ergeht es der Mutter mit ihrer Schwiegermutter nicht anders. Es ist offensichtlich, dass sie der Matriarchin nicht wirklich widersprechen oder sie zur Einsicht bringen kann.

Fazit

An einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Generationenkonflikt oder der vermeintlich naturgegebenen Autorität der Älteren zeigt der Film kein Interesse. Stattdessen schwelgt er in einer gewissen Gefälligkeit und bietet emotionale Anknüpfungspunkte für all jene, die in dieser Zeit aufgewachsen sind. Am Ende scheinen die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe und Identitäten nebensächlich zu werden. Vielleicht ist das auch besser so.

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