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Booksmart (Olivia Wilde)

Lohnt es sich wirklich, seine besten Jahre damit zu vergeuden, nur zu lernen und sich auf die Zukunft vorzubereiten? Diese Frage stellt sich Olivia Wilde in ihrem Regiedebüt Booksmart aus dem Jahr 2019. Wir folgen den besten Freundinnen Amy (Kaitlyn Dever) und Molly (Beanie Feldstein) am letzten Schultag vor der Abschlussfeier. Beide haben sich lieber in Bibliotheken als auf Partys aufgehalten, um sich bestmöglich auf den Eintritt in ein Elite-College vorzubereiten. Doch am Vorabend des High-School-Abschlusses müssen sie feststellen, dass auch ihre Mitschüler auf renommierte Universitäten wie Yale, Harvard oder Columbia gehen werden. Jetzt stellt sich die Frage: Warum all die Mühe? Vielleicht ist es an der Zeit, die verpassten Jahre mit einer ausgelassenen Abschlussfeier nachzuholen.

TikTok Zeitalter

Ende 2018 begann die App TikTok ihren Vormarsch in den USA. In Retrospektive ist Booksmart der Prototyp, wie Filme heutzutage im Zeitalter von 10-Sekunden Videos, die einem scheinbar wahllos in die Timeline gespült werden, auszusehen haben. Im Sekunden Takt werden wir durch die verschiedensten Sets und Locations geprügelt, dass einem der Atem stockt. Auf IMDB sind 34 Songs im Soundrtrack gelistet, von denen keiner länger als ein paar Takte gespielt wird.

Das hyperaktive Publikum kann sich schon jetzt kaum länger als ein paar Augenblicke auf irgendetwas konzentrieren, ohne dass es gelangweilt wird. Wenn beim Höhepunkt des Films dann Amy und Molly sich gegenseitig anschreien und sich alles, was zwischen ihnen jemals passiert ist, vorwerfen, wird der Film stumm und wir sehen nur noch die wütenden Gesichter. Inhaltlich ist es egal, was sie sagen, es zählt nur noch die Performance. Emotional werden wir schon anknüpfen können, die sentimentalen Piano und Geigenklänge sagen uns, was wir fühlen sollen.

Gücklicherweise lohnt es sich dennoch, auf den Inhalt zu schauen und uns nicht von der Form abschrecken zu lassen.

Entweder / Oder

Im Zentrum von "Booksmart" steht die Frage nach dem "Entweder-Oder". Amy und Molly haben ihre Schulzeit ganz unter dem Motto "Entweder Yale oder Party" verbracht. Erst jetzt, kurz vor der Graduation, müssen sie feststellen, dass ihre Mitschüler sich nicht entscheiden mussten - sie konnten feiern und wurden dennoch bei prestigeträchtige Universitäten wie Yale, Harvard oder Columbia aufgenommen. Im Amerika der 2010er-Jahre scheint diese Entweder-Oder-Logik überholt.

Wo Klassiker wie The Breakfast Club und Clueless die verschiedenen Identitäten und Gruppierungen in den Fokus rücken, folgt Booksmart eher der Vorlage Dazed and Confused, wo es zwar Grüppchenbildung gibt, aber die eigentliche Unvereinbarkeit der unterschiedlichen Individuen dem größeren Ganzen (= das gemeinsame Feiern des Abschlusses) untergeordnet wird. Wo es allerdings bei Linklater’s Kultfilm aus 1993 klar ist, dass eigentlich die Jocks und die Nerds während der Schulzeit nichts miteinander zu tun haben, geht Booksmart noch einen Schritt weiter: Die ganze Highschool ist ein einziges Durcheinander, der Theater-Club-Vorstand kann vor der Klasse Werbeflyer verteilen, ohne Angst haben zu müssen, kopfüber in eine Toilette getaucht zu werden, die Toilette ist unisex und die Flure werden von den Strebern und den Skatern gleichermaßen genutzt, ohne dass es zu Anfeindungen kommt. Selbst Molly, die als viel zu ernste Streberin gilt, wird nicht per se abgelehnt, sondern nur moniert, dass sie sich zu viel fürs Lernen interessiert und nicht mal locker lassen kann. Auch hier muss man sich eigentlich nicht entscheiden: Entweder Jock oder Nerd, warum nicht beides?

Auch die vermeintlichen Grenzen zwischen den Identitäten verschwimmen: Auf den verschiedenen Partys im Film sehen wir immer wieder dieselben Gesichter - das vermeintlich "nerdige" Krimidinner und die "prollige" Saufparty gehen nahtlos ineinander über. Alle sind willkommen.

Das bedeutet allerdings auch, dass nicht nur die Lehrer verwirrt sind, wenn die Schüler aufgrund der langen Haare verwechselt werden, sondern auch die Kids selbst. Amy, seit zwei Jahren geoutet, hat sich in die Skaterin Ryan (Victoria Ruesga) verkuckt und fragt sich, ob sie auch an Frauen interessiert sei. Für Molly ist die Sache klar: sie skatet, hat relativ kurze Haare, Tattoos am ganzen Körper und wirkt generell sehr androgyn. “She wore a polo shirt to prom.” Worauf Amy entgegnet: “That’s just her gender performance, not her sexual orientation.” Spätestens wenn wir später sehen, wie Ryan mit dem High-School Jock rumknutscht, wird klar, dass äußere Erscheinung und sexuelle Orientierung nicht zwangsläufig etwas miteinander zu tun haben.

Am eindrücklichsten wird die Absage zur Entweder-Oder Frage bei dem Drogentrip von Amy. Nachdem Molly und Amy unwissentlich von der LSD Erdbeere genascht haben, sehen sie sich beide im Delirium als Barbie-Puppen. Anfänglich schockiert ziehen sie sich in ihren Puppenkörpern vor dem Spiegel aus und kritisieren die unrealistischen Proportionen ihrer künstlichen Alter Egos. Doch schon bald gefällt sich Amy in ihrer neuen Haut was ihr auch einen neuen sexuellen Reiz bietet. Auch hier wird deutlich: Lesbische Feministin mit BLM Stickern auf dem Auto ist nicht zwangsläufig ein Widerspruch zu gesellschaftlichen Schönheitsstandards, an denen sich junge Frauen immer wieder messen lassen müssen.

Sex

Booksmart gibt sich in vielerlei Hinsicht modern und aufgeklärt, aber wenn es um Sex geht, steht der Film in der Tradition des prüden Hollywoods in der Sex als Idee vieles überlagert, es aber doch nie zum Sex kommt.

Wenn sich die Mädchen einen Pornofilm im Taxi anschauen, sind sie fasziniert und können nicht wegsehen, aber sterben tausend Tode, sobald es der Taxifahrer mitkriegt. Der Dialog über die Masturbation ist einerseits erfrischend offen, aber gleichzeitig unschuldig kindlich, wenn Amy gesteht, dass das Objekt, mit dem sie am häufigsten masturbiert, ein Stoff-Panda ist, den sie schon seit ihrer Kindheit hat. Generell wird der lesbische Sex viel expliziter thematisiert, als der heterosexuelle. So sprechen beide über das berüchtigte Scissoring und ob es eher eine männliche Porno-Fantasie ist, aber über Molly’s Vorlieben erfahren wir nichts. So bleibt der Sex ein schambehaftetes Tabu-Thema das allenfalls für ein paar Punchlines geeignet ist, man aber dann doch lieber nicht ernsthaft darüber diskutiert.

Später, als die von Ryan enttäuschte Amy sich im Badezimmer der mysteriösen Hope (Diana Silvers) gegenüber befindet, wird ihr auch hier der Sex im letzten Moment verwehrt. Sie erbricht sich über ihre Gespielin und zerstört damit jegliche Erotik. Sex ist dann schlussendlich doch etwas Ekliges, dass Erwachsene in einer monogamen Beziehung haben können, aber keine Teenager, vor allem, wenn es nicht aus Liebe sondern einem körperlichen Bedrüfnis heraus passiert.

Ebenso wird Jared (Skyler Gisondo), der “Fuk Boi” auf seinem Nummernschild stehen hat, erst dann als potentieller romantischer Partner wahrgenommen, als er mit dem Gerücht aufräumt, dass er Sex mit einer Prostituierten hatte. Keuschheit wird immer noch groß geschrieben, nicht nur bei Frauen.

Einzig durch Annabelle (Molly Gordon) wird in Booksmart eine andere Facette des Feminismus aufgezeigt. Annabelle wird von fast allen auf der High-School, inklusive Molly, “Triple A” genannt, als Anspielung, dass sie Jungs auf der Straße aufsammelt um mit ihnen im Auto Sex zu haben. Obwohl Molly sich selbst als Feministin sieht, hat sie diese Art von Slut-Shaming internalisiert. Amy fragt zu Recht, ob die Jungs, die diese sexuellen Gefälligkeit in Anspruch genommen haben, auch entsprechende Spitznahmen erhalten hätten. Auch hier wird wieder der Entweder-Oder Frage eine Absage erteilt: Annabelle kann mit fremden Jungs im Auto Sex haben und trotzdem eine Yale-Studentin und Feministin sein.

Alles wird gut

Olivia Wilde gilt als Feministin und Aktivistin, so hat sie sich explizit für Obama und später für Clinton ausgesprochen, sich für Haiti eingesetzt oder eine Rede beim World Down Syndrome Day gehalten. Entsprechend verwunderlich ist, dass sich Booksmart komplett unpolitisch gibt, insbesondere im Licht des großartigen Don’t Worry Darling den sie drei Jahre später veröffentlichte.

Wir befinden uns in der zweiten Hälfte von Trumps Amtszeit und laut diversen Studien geht es der Jugend in Amerika gefühlt und faktisch immer schlechter. Jugendliche zwischen 14 und 17 geben an, immer mehr an Angststörungen und Depressionen zu leiden, Mobbing ist ein echtes Problem und an eine positivere Zukunft glauben nicht einmal mehr die Hälfte der Befragten. Gleichzeitig steigen die Miet- und Wohnungspreise seit dem Platzen der Housing-Bubble 2008 weit stärker als die Löhne steigen. Selbstverständlich handelt es sich bei Booksmart um eine Komödie, von daher kann man nicht erwarten, dass jede gesellschaftliche Verwerfung beleuchtet wird, dennoch ist es interessant, wie sozio-politische und sozio-ökonomische Fragen überhaupt keine Rolle spielen.

Das einzige Mal, wo etwas in diese Richtung angemerkt wird, ist, als Amy und Molly in ihr erstes Taxi steigen und feststellen, dass es von ihrem Direktor Brown (Jason Sudeikis) gefahren wird. Brown erklärt, dass es das schlechte Lehrergehalt wäre, welches ihn zu seinem Zweitjob treibt. Allerdings ist das Taxi top ausgestattet, mit Lichterketten und genügend USB-Ladekabeln um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Im Vergleich zu seiner Arbeitsverweigerung als Schuldirektor stellt sich hier eher die Frage, was wirklich der Zweitjob ist und wo der eigentliche Focus von Brown liegt.

Ansonsten wirkt die Prämisse des Films, dass man auch feiern und Spaß haben kann, und dennoch auf die Elite-Uni kommt, im aktuellen amerikanischen Zeitgeist fast schon zynisch. Realistisch stünde die Aussage vor umgekehrten Vorzeichen: Jetzt hast du dir den Arsch aufgerissen, aber es reicht trotzdem nicht. Du hast alles gegeben, aber die Miete in L.A. wirst du dennoch nicht stemmen können, geschweige denn eine Familie damit finanzieren. Wieso also lernen, wenn’s eh nichts bringt? Das Credo dürfte also nicht lauten: “Wir können beides haben, Erfolg und Spaß” sondern “Erfolg ist nicht mehr möglich, also können wir auch Spaß haben”.

Selbst wenn es tatsächlich alle in die Ivy League schaffen, würde sich die Frage stellen, was die letzte Konsquenz wäre. Molly wird eingeführt, wie sie meditiert und einer Motivationsrede lauscht, die immer wieder predigt, dass sie den Erfolg schafft, nicht um ihrer selbst Willen, sondern, damit sie auf die Zweifler herabschauen kann. Hier sehen wir glassklar die Absurdität des Systems, dass von der Ivy League in den USA auf die Spitze getrieben wird. Die Plätze sind deswegen so begehrt, weil es so wenige gibt. Man geht nach Harvard oder Yale nicht, weil es die interessantesten Kurse dort gibt, sondern weil man sich dadurch später von allen anderen abheben kann, die nicht auf diese Unis gegangen sind. Wenn es wirklich alle auf diese Unis schaffen, würde dadurch das ganze System ausgehebelt werden. Getreu dem Motto: “Jeder kann es schaffen, aber nicht alle”.

Fazit

Booksmart ist ein hyperaktiver Film, der sich in vielerlei Hinsicht modern und aufgeklärt gibt, aber schlussendlich doch kein Interesse hat, den Status-Quo zu hinterfragen. Leider gibt Wilde zu Gunsten von Massentauglichkeit und Gefälligkeit ihre interessante Prämisse auf und konzentriert sich stattdessen auf zahnlose Witzchen. So ist es am Ende doch wichtiger, das Graffiti in der Toilette “your ugly” auf die Grammatik hin zu korrigieren, anstatt sich mit dem Inhalt auseinander zu setzen.

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