Zum Hauptinhalt springen

Mittwochs-Kolumne: Bier und Gurken

Vorwort: So sieht also nun mein Leben aus. Ende 30, pleite, alleine in einer leeren Wohnung und gerade im Moment rechne ich aus, wieviel mich eine Haarwäsche mit Roggenmehl kostet. Okay, kann man wohl machen. Ich habe zig angefangene Romane auf der Festplatte, noch mehr handgeschriebene Gedichte und weiteres kreatives Chaos, das mich keinen Cent weiter bringt. Der vorletzte Ex-Freund trieb mich emotional in den Ruin, der davor hat das finanziell geschafft. Ich bin gut, so gut. Zumindest im Überleben. Meine neuen besten Freunde nennen sich Cashflow-Tabelle 2018 bis 2026 und eine Excel-Datei, in der steht, dass mich eine Scheibe Pumpernickel 11 Cent kostet. Darauf trinke ich doch glatt ein Pale Ale – natürlich vom letzten Jahr, denn dieses Jahr könnte ich mir keines mehr leisten.  Willkommen in meinem Leben, das bin ich: Hauptberuflich Pleitegeier, nebenberuflich, Sozialhilfe für Straßenhunde und Männer.

Tag 8, 9 und noch ein bisschen mehr

Gestern abend setzte plötzlich das Vermissen ein. Wie aus dem Nichts traf mich die Trennung, als wäre alles aus heiterem Himmel passiert. Und zudem viel länger gewesen als eine dreimonatige Liason. Schon seltsam, wie einen so kurze Geschichten verstörter hinterlassen können als eine Trennung nach vier Jahren. Vielleicht, weil in drei Monaten kein „langer Prozess“ stattfinden kann, sondern alles im Zeitraffer Schlag auf Schlag passiert. Heute hätte ich im gerne erzählt, dass mich in der Dusche die Halterung beinahe erschlagen hat, meine Haare noch sandig von der Heilerde-Haarwäsche sind (Gott, da war Roggenmehl tausendmal besser), ich mir in den Finger gestochen hab und irgendwie die Woche etwas verkorkst war.

Gestern habe ich den Trekking-Wahnsinn schriftlich bestätigt. Vor Ort wurde mir dann klar, dass ich ein paar elementare Dinge verdrängt habe: es sind drei Tage. 1000 Höhenmeter. Unterschiedliche Campingplätze. Volles Marschgepäck. Und was noch wichtiger und schlimmer ist: Ich habe weder Rucksack, noch Zelt. Noch Campingkocher. Und kein Geld für die Zeltplätze. Ähem. Wer hat mich denn bitte so geistig umnachtet, dass ich das alles einfach mal völlig ignoriert hab und mein Essensgeld für diesen Monat für eine Anmeldung zu einer Wanderung ausgegeben habe? Ich werde das also nicht nur nicht überleben, sondern eine unglaublich peinliche Lachnummer werden. Jetzt muss ich mir ein Zelt ausleihen, das in den noch nicht vorhandenen Rucksack passt und überlegen, was ich für drei Tage an Essen brauche – das ich nicht kochen muss. Unvegane Salami-Sticks – ich komme.

Tag 9

Ich war ja so dumm, und dachte Freitag früh noch, ich wäre da jetzt total entspannt drüber weg. Über BigBen, nicht über den Wahnsinn der Trekking-Tour. Und in dieser nun völlig entspannten Grundstimmung hatte ich das dringende Bedürfnis, meine täglich erweiterte Nachricht an ihn doch loszuschicken. Hab ich dann natürlich auch gemacht, bin ja manchmal etwas dumm.
Was hab ich mir davon erhofft? Freitag dachte ich noch, hoffentlich antwortet er nicht, hoffentlich nimmt er das einfach so an und alles ist okay. Wie blöd kann ein Mensch eigentlich sein? Drei Tage später immer noch kein Lebenszeichen. Was ja meiner ursprünglichen Intention auch entsprechen würde. Gestern abend im Bett hab ich mich plötzlich „aufgegeben“ gefühlt. Hat er mich vergessen? Ist er wieder bei Johanna, seiner letzten Liebe? Ist er schon umgezogen? Leidet er wenigstens ein ganz kleines bisschen?

Um mich abzulenken mache ich ja gern idiotische Dinge. Siehe Trekking-Tour. Neueste Idiotie: Metalflirt. Version 20. Kurz nach meiner Anmeldung wurde ich  sogar schon angeschrieben und gefragt, ob ich den Profiltext samt Fotos geklaut hätte. Da muss sich einer aber gut gemerkt haben, wer ich bin. Ein bisschen creepy. Aber sind das nicht alle auf Metalflirt?
Dieses Mal hab ich keinen Wohnort eingegeben, damit man mich erstens nicht gleich findet und zweitens kann sich das bei mir sowieso ganz flott wieder ändern #Fluchttier
Auf Metalflirt habe ich dann Mattes kontaktiert, den ich damals kurzfristig wegen BigBen abgesäbelt hatte. Mattes und ich haben uns vor einigen Jahren „kennengelernt“. Online. Damals war ich noch in Berlin, er in Köln. Viel Austausch gabs nicht, denn plötzlich war er wieder mit seiner Ex zusammen. Wir säbeln uns also in schöner Regelmäßigkeit gegenseitig ab. Irgendwie auch nice, oder?
Dann habe ich ihn Ende letzten Jahres wieder entdeckt. Wir tauschten bald täglich ewig lange E-Mails aus, er wollte mich besuchen und hatte für Januar schon ein Zugticket gekauft. Und dann kam Ben. Und obwohl ich bei Ben sofort das Gefühl hatte, dass da ganz viel Ärger auf - zugegeben einem sehr schönen Gestell - mich zumarschiert, habe ich mal wieder nicht auf meinen Bauch gehört. Ben, der ums Eck wohnte und aussah wie ein kleiner (Zwei Meter großer) Hipster mit seinem Man-Bun, der 600-Euro-Outdoorjacke (ich seh das, wurde ich schließlich oft genug zu sämtlichen Outdoor-Läden geschleift, die Berlin zu bieten hatte) und den wahnsinnig tollen (pardon, eiskalten gruseligen Serienmörder) strahlend blauen Augen. Er konnte so süß sein. So unbeholfen und niedlich. Bei unserem zweiten Date, das im Grunde nur ein „hey ich möchte dich sehen, fahr nach der Arbeit für zwanzig Minuten bei dir vorbei“ sein sollte – endete in „ich will dich küssen, streicheln, knutschen, knuddeln und alles gleichzeitig“. Es war ein wirres verwuscheltes Kuddelmuddel, zwei Menschen, ein Sofa und irgendwie zu viele Gliedmaßen. Aber es war unfassbar süß. (Auch wenn ich dabei jetzt mal wieder völlig ignoriert habe, dass ich mir BEIM Küssen schon dachte: Nääää. Dat wird nichts. Ich bin übrigens Profi im Ignorieren MEINER Gefühle. Wirklich.*) Bevor ich aber noch weiter wieder in die Anfänge mit Ben zurückgehe und mich in seltsamen Schwärmereien verliere, und dann anfange zu heulen, überspringen wir den Teil und kommen gleich zum Heulen. Denn ich Vollpfosten habe auf Metalflirt meinen Traummann entdeckt. Seelenverwandt. Ganz bestimmt. Definitiv. Aber: er antwortet nicht. Ich kann kaum glauben, dass ich nicht sein Typ bin. Ehrlich. Das passt einfach zu gut. Aber da ich mir sicher bin, dass sich das vielleicht auch 80 % der Typen denken, die mich anschreiben und es mich beim bloßen Anblick schon gruselt – hm, sollte ich das vielleicht noch einmal überdenken. Noch vor ein paar Tagen war ich voller Elan, habe Männer mal wieder komplett aus meinem Leben gestrichen, Online-Dating sowieso und nun? Überlege ich sogar, ob ich nicht noch ein zweites Online-Portal ausfindig mache und mich anmelde. Warum? Wozu? Ist ja nicht so, als hätte ich nichts anderes zu tun. Ich glaube, ich will im Moment einfach nur weg. Raus. Und kann halt nicht. Ich sitze wirklich hier fest. Und irgendwo festsitzen, das kann ich gar nicht gut. Wieder eine Gemeinsamkeit mit BigBen. Oh man, wie gut ich diesen Menschen eigentlich die meiste Zeit verstehen konnte. So vieles kam mir noch aus meiner total verkopften Sturm-und-Drang-Zeit bekannt vor. Ich konnte in Ben lesen wie in einem offenen Buch (das von Serienmördern handelt). Was aber nichts geholfen hat, da die grundlegenden Sachen einfach nicht harmoniert haben (ich hing zum Beispiel sehr an meinen Nieren und generell an meiner körperlichen Unversertheit). Das Leben ist manchmal ganz schön unfair. Da schickt es mir einen absolut scheinbar perfekten Mann (ich mein, jeder hat ja Probleme. Dexter, Ben .... ihnen fehlt einfach nur etwas Liebe) direkt vor die Wohnungstür und dann scheitert es nach wenigen Monaten so grandios.

Das ist also nun mein selbstgewähltes Schicksal. Es meldet sich gleich gar keiner. Würde ich übrigens auch nicht, wenn ich das Gefühl hätte, jemand möchte einfach nicht alleine sein. Aber ich will nun langsam mal auch nicht mehr alleine sein.

Ich überlege im Moment auch ernsthaft, den pizza.de Newsletter nicht abzubestellen. Ich mag den Humor, wenn im Betreff steht „Kriegst du auch genug zu essen?“. Die wissen gar nicht, wie witzig das in meiner Situation ist. Natürlich kriege ich nicht genug zu essen, aber ich war schon immer ein Überlebenskünstler. Und wenn ich genug Geld hätte, würde ich mir sicher nicht als allererstes eine Pizza bei pizza.de bestellen. Ich würde mit meiner liebsten Freundin zu unserem Stammitalienier gehen und mir dort die beste Pizza reinpfeifen. Da das aber nicht geht, püriere ich mit meinem Mixer die letzten Dosenvorräte getrocknete Tomaten und klatsch mir die auf die günstigen 99 Cent Reiswaffeln von Netto. Kann man schon irgendwie essen, wenn man möchte. Wenn man muss, erst recht.

Ich liebe es übrigens, mir und anderen, aber hauptsächlich mir selber, Fristen zu setzen. In diesem Jahr möchte ich einen guten Job finden, nen Mann, mich selbst verwirklichen und vielleicht doch noch einmal umziehen. Ist ja erst Ende März, hab ich ja noch genug Zeit für alles. Aber nun mal im Ernst, ich hinterfrage so langsam mein ganzes Dasein, mein Wesen, mein Verhalten und meine Ziele und Wünsche. Vorhin in der kleinen Teepause (von was habe ich eigentlich Pause gemacht? Ah, vom drüber nachdenken, endlich die Ablage zu machen), habe ich meinen alten Account von okcupid reaktiviert. Wollte mich wie angekündigt eigentlich neu anmelden, aber als dann die E-Mail-Adresse als vergeben markiert wurde, tja, da wusste ich – der alte Account wartet wohl noch auf mich. Kurzes Update im Profil gemacht, festgestellt, dass innerhalb 50 km eine einzige Person angemeldet ist und schon wieder den Nerv verloren. Was ich aber sehr spannend fand war die Liste mit den ehemaligen Matches, also die Typen, die ich gut fand und die mich gut fanden. Holla die Waldfee, das waren alles Männer, die mir jetzt im Nachhinein auf den ersten Blick ein schlechtes Bauchgefühl machen. Mich beschleicht das Gefühl, dass ich weder damals noch heute bereit bin, mich auf etwas einzulassen. Das hat die Zeit mit Ben sehr deutlich gemacht. Allerdings hätte es mit Ben vermutlich so oder so nicht funktioniert. Ich mag es, mich an jemandem reiben zu können, aber die Reibung von Fesseln war jetzt auf Dauer nicht so meins.

An Ben zu denken hilft mir übrigens enorm, nicht darüber nachzudenken, dass ich in wenigen Wochen drei Tage Gewaltmarsch hinter mich bringen muss. Soll ich kneifen?

Tag – ich hab aufgehört zu zählen, es fühlt sich an wie eine Ewigkeit (ist in wirklichkeit aber glaub erst Tag 13)

Mein Seelenverwandter, aka Metalflirt-Typ, der sich nicht meldet, hat sich übrigens gemeldet. Mit einer dermaßen dämlichen Abfuhr, dass ich mir wieder mal wünschte, ich wäre naiver und dümmer. Und meine Stalking-Skills weniger ausgeprägt. Jemand anders hätte sich vielleicht gedacht „oh, wenigstens schreibt er. Oh wie nett.“. Ich denke mir nur „Alter, willst du mich verarschen?“ Aber so entzaubert er sich gleich selber, wie praktisch. Denn wenn ich eines nicht abkann, ist es Heucheln. Und wenn ich noch etwas nicht mag, dann sind es Leute, die auf so Stereotypen abfahren.

Vielen lieben Dank für deine NachrichtEN.

→ okay, er hat sie ALLE gelesen. Und erst jetzt reagiert. Vermutlich aus Angst, mich sonst nie mehr loszuwerden. Na gut, vielleicht war ich auch ETWAS nervig.

Derzeit bin ich nicht auf Partnersuche.
→ Alles klar, darum hängst du auch jeden Tag auf Metalflirt rum. Na gut, Partner muss deswegen noch keiner gesucht werden.

Auch schön war der Satz:

Ich bin auch nicht so der Typ Freundschaft.

→ Klar, Freundschaften sind auch scheiße, vor allem, wenn man nichtmal auf Partnersuche ist. Als Single Freunde zu haben ist auch echt dumm. Haste Recht.

Oder schön:

Vor allem nicht auf solche Distanzen.
→ Da ich dieses Mal keinen Wohnort angegeben habe, muss der gnädige Herr sich ja gemerkt haben, wo ich wohne. Und mal ehrlich: find ich jemanden gut, is mir die Entfernung erstmal völlig schnuppe.

Der Abschiedssatz war dann wirklich zum Dahinschmelzen:

Ich wünsche dir aber, dass du das findest, was du suchst. Oder noch besser, dass dich das findet, was du suchst. So soll es ja sein.

→ ähm. Hust. Soll ja sicherlich nett klingen, aber soll ich mal übersetzen?

„Irgendwie wirkst du verzweifelt auf der Suche. Ich hab dein Instagram Profil gesehen, du scheinst noch nicht über deinen Ex hinweg zu sein und sowieso, geh mir aus den Augen, du melancholisches Etwas.“ Na gut so hart hat er es vielleicht nicht gemeint. Ist jetzt vermutlich meine Interpretation.

Was lernen wir draus? (Wenn ich mal in die Zukunft blicken soll: Lange nichts.)


*Anm. der Red.: Hat sich auch einige Jahre später noch nicht so wirklich geändert. Wird aber stetig besser. Dauert nur echt lange.