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Geburtstag eines Freundes

BHL 75/Serie über den Mord an Palme/Parlement Staffel 3/ Geschmortes Huhn

Es war so ein seltsames Privatkino im achten Arrondissement von Paris. Dort hatte er mich hinbestellt, um mir seinen dritten Ukrainefilm zeigen zu lassen. Danach wollte er auf mich warten, um über alles zu reden.

Mit ihm redet man immer über alles. Nicht über Details wie Gesundheit, Familie oder Beruf, sondern über die Gesamtlage. Nach der Vorführung fand ich ihn nicht. Mir fiel aber ein zwei Meter großer, sehr fitter Mann im Anzug auf, der alles im Blick hatte. Er braucht also wieder mal Schutz.

Bernard-Henri Lévy begleitet mich oder ich ihn seit fast 20 Jahren. Sind wir befreundet? Wir siezen uns nach wie vor. Er fragt nicht nach den Kindern, was die Katzen machen oder wie die Ferien waren. Würde ihn jemand nach meinem Wohnort fragen, käme er in arge Verlegenheit, denn er verwechselt die deutschen Städte außer Berlin. Bräuchte ich etwas, wäre er da. Oder würde die Fremdenlegion mit dem Fallschirm schicken. Springt einer seiner Freunde betrunken in Badehose in ein leeres Schwimmbecken, beschuldigt BHL die Tücke der Schwerkraft und die Frivolität des Wassers.

Er braucht mich öfter: Eine Ungerechtigkeit hier, ein Text von dort, eine Liste, eine Aktion. Deutschland muss etwas machen! Sein Zirkus ist auf permanenter Tournee. Seine Agentin Emily lebt in New York, und obwohl ich jede Woche mit ihr zu tun habe, habe ich sie noch nie gesehen. Wenn ich den Job, das Medium wechsele, beschwert er sich: Ich müsse ihn mitnehmen, auch dort dafür sorgen, dass seine Texte angeboten, übersetzt publiziert werden. “Retten Sie den Soldaten Lévy!” Das klappte mal besser, mal schlechter, aber nie so gut wie jetzt bei der Süddeutschen Zeitung: Seine Texte treffen dort ihr Publikum, nie war seine Resonanz in Deutschland größer.

Manchmal braucht er mich aber auch in Paris. Dort ist es für ihn auf der ganzen Welt am schwersten: Nichts als Intrigen. Dann muss ich über Bande hier oder dort ein gutes Wort einlegen. Immer sehr kompliziert.

Er ändert sich. In früheren Jahren machte er mehr mit Kunst und Literatur, kuratierte Ausstellungen, trat mit Michel Houellebecq auf, oder er hatte seine One Man Show, ein Theaterstück über Europa.

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist das anders. Er ist dort. Nicht nur in Kiew, bei Selenskyi und Klitschko, sondern in der Provinz. Wo das Leid unbeschreiblich ist, wo die russischen Einheiten sinnlos gewütet haben. Er verbringt Zeit mit denen, die den Krieg erdulden und führen müssen. Es ist gefährlich. Sein Leben könnte ganz anders aussehen, in Luxus und Sicherheit stattfinden, denn er ist reich. Sein Vater begann als Arbeiter, stellte dann Obstkisten her. Machte später in Papier und mit den Sowjets Geschäfte, gegen die der Sohn demonstrierte. Später erbte BHL das Vermögen, bewirtschaftete und vervielfältigte es.

Viele machen sich über ihn lustig. Bei keiner Person klaffen die öffentliche Person und der tätige, lebendige Mann, den ich kenne, so weit auseinander. Vielen gilt er als Pseudointellektueller. Dabei steckt er in Bildung und Fachkenntnis jeden Lehrstuhlinhaber in Philosophie in die Tasche - Jürgen Habermas ausgenommen.

Auch mein Blick auf ihn hat sich verändert. Die Zeiten von Corona und Ukrainekrieg waren für die deutschen Intellektuellen schwierig. Es gibt tolle Persönlichkeiten wie Carolin Emcke, Navid Kermani oder Daniel Kehlmann. Aber in der Öffentlichkeit dominieren die Gäste von Markus Lanz. BHL ist das Gegenteil.

Im Gespräch mit mir lässt er spontan Projekte steigen wie ein Magier die weißen Tauben: Aus dem Ärmel. Alles für mich. Das könnten wir machen, Nils und dann jenes und wenn wir mit den beiden durch sind, machen wir eine Tagung. Aber ich bin nicht wie er und schaffe nicht alles. Dann gibt es immer einen geheimen Teil. Er weiß Sachen, die noch keiner weiß. Und es gibt den Moment seiner Unsicherheit. Dabei schaut er öfter auf sein Smartphone als ein sechzehnjähriges koreanisches Schulmädchen.

Nach unserem Treffen überfiel die Hamas Israel und er ist sofort hingeflogen. Dorthin, wo das Böse selbst getobt hat.

Dann entstand eines der ganz wenigen Fotos (credit Marc Roussel), dass ihn mit Tränen in den Augen zeigt.

Heute feiert Bernard-Henri Lévy seinen 75 Geburtstag.

Joyeux anniversaire, mon ami.

Es war ein Trick des Algorithmus und so entdeckte ich eine Serie, die es schon eine Weile gibt. Es geht darin um den Mord am schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme, an den ich mich gut erinnere. Die Miniserie stützt eine Einzeltätertheorie, die überzeugen kann oder auch nicht. Aber es ist eine treffende Inszenierung dieser angespannten Zeit, die heute leichtfertig als die gute alte bezeichnet wird. Bei vielen seltsamen politischen Todesfällen jener Jahre tappen wir nach wie vor im Dunkeln: In Frankreich gilt das für den Mord des Ministers Robert Boulin 1979 und in Deutschland für den Tod von Uwe Barschel. Viele Fakten sind bekannt, mehr Fragen bleiben.

https://www.netflix.com/title/81330077 (Öffnet in neuem Fenster)

An dieser Stelle habe ich Parlement schon einige Male empfohlen, aber nun ist die kurze, schnelle Serie über die europäischen Institutionen endlich vollständig zu sehen. Ich finde die aktuelle dritte Staffel besonders gelungen.

https://www.ardmediathek.de/video/parlament/folge-1-die-deutschen-kommen-s03-e01/one/Y3JpZDovL3dkci5kZS9CZWl0cmFnLXNvcGhvcmEtZGJjODA1NDgtNGNmOS00NDYxLWE5NDgtNzJlM2RkMmUxOWVl (Öffnet in neuem Fenster)

Es ist ein schlichtes Schmorgericht, das im Film von Chiara Malta eine wichtige Rolle spielt. Sie verdeutlicht damit die tröstliche, auch fragile Familien heilende Funktion handgekochten Essens. Beide sehr zu empfehlen, der Film und dieses schlichte Gericht.

https://www.lemonde.fr/les-recettes-du-monde/article/2023/10/20/le-poulet-aux-poivrons-la-recette-de-chiara-malta_6195636_5324493.html (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

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