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Die längsten Tage

Was macht Macron jetzt?/ Ein Held namens Mike Pence/ Sommerhuhn

Heute ist erneut ein Wahltag in Frankreich: die zweite Runde der Parlamentswahlen. Auf den letzten Metern scheint dem Macron-Lager  die Puste auszugehen. Das Drama der Präsidentschaftswahl ist überstanden, nun geht es darum, was man so vorhat in der kommenden Amtszeit – eine gewisse Ratlosigkeit macht sich breit. Rentenreform? Bildungsreform?  Der kleinste Versuch führt zu ewigen Demos, Aufruhr und Streik. Und wozu? Macron bekommt eine zweite Amtszeit,  geht damit in die Geschichte der fünften Republik ein und kann nicht wieder gewählt werden. Unklar, welche Punkte er noch machen möchte. 

Über den Wahlkampf seines Lagers muss man nur wissen, dass Personen, die ihm politisch besonders nahe stehen, wie die Ministerin Amélie de Montchalin oder Clément Beaune besonders schwierige Stichwahlen vor sich haben. Wenn sie verlieren, müssen sie aus der Regierung ausscheiden - so hat es Macron versprochen, der selbst allerdings nie im Parlament saß.  Die Weisheit dieser Regelung erschließt sich mir nicht, denn Menschen können gute Parlamentarier sein, aber schlecht in der Exekutive und vice versa. 

Seltsam auch die Ankündigung, die Gebühr für den öffentlichen Rundfunk ersatzlos streichen zu wollen. Macron möchte die öffentliche französische Medienlandschaft nicht abschaffen – das gäbe auch Bürgerkrieg – aber das Geld dafür soll nun anders erhoben werden. Wie, weiß kein Mensch. Es hängt alles an einer steuertechnischen Änderung, weil die Wohnsitzsteuer ab Herbst  entfällt, mit der auch die Rundfunkabgabe eingezogen wird. Diese Pauschale allein lohnt aber den Verwaltungsaufwand nicht, also muss was Neues her. Normale, gute Politik wär es, hier ein Gesamtkonzept vorzustellen, dass auch die Distanz zwischen Regierung und Rundfunk sicherstellt. Aber es sind eben keine normalen Zeiten. So hat sich Macron Proteste der ganzen Kreativbranche eingefangen, obwohl er noch gar nichts vorgeschlagen hat. 

Verpasst En Marche/Ensemble heute eine Mehrheit, bleibt immer noch die Koalition mit den Républicains, ferne Nachfahren der Gaullisten und verstrickt in üble interne Kämpfe. Leicht wird das nicht. 

Das linke Lager hat erst im Endspurt zu einer formalen Einigkeit gefunden und  ist unter die Fittiche des Jean-Luc Mélenchon geschlüpft. Der linksgrüne Bund NUPES sollte  den Wahlkampf nicht lange überstehen, die Divergenzen in Fragen der europäischen Einigung und Kernkraft  sind allzu offensichtlich. Mélenchon, in Wahrheit der Guru einer Politsekte,  ist kein Freund der Deutschen und alles, was er europäisch so anpeilt, ist ein Frexit mit anderen Worten. 

Die ehemalige deutsche Regierung, die GroKo unter Angela Merkel,  trägt eine Mitverantwortung für die politische Flaute in Frankreich. Der Schwung, der Macron seinerzeit ins Amt trug, war europäisch. Aber Berlin, die CDU,  hat den Moment, mit ihm euroäiache Reformen und Projekte voranzubringen, vorbei ziehen lassen wie einen überfüllten Bus – als käme in zehn Minuten ein besserer.  Kam aber nix. 

Heute ruht der deutsch-französische Motor. Die größten Länder Europas improvisieren, dümpeln so herum, schauen bang nach Osten und hoffen auf die USA.

In Frankreich jedenfalls, so mein Eindruck, wird heute schon die Zeit nach Macron vorbereitet, der als große Koalition auf zwei Beinen fungiert. Zwei Menschen laufen sich schon warm:  Édouard Philippe, der Bürgermeister von Le Havre und ehemalige Premierminister und aus Toulouse die Sozialistin Carole Delga. 

Meine derzeitige Lieblingsserie ist keine Fiktion, sondern übler Ernst: die Übertragung der Sitzungen des January 6th select committee:

https://january6th.house.gov/news/watch-live (Öffnet in neuem Fenster)

Deser Untersuchungsausschuss soll die Geschehnisse rund um die gewalttätige Erstürmung des Capitols nach der letzten Präsidentschaftswahl aufarbeiten. Aus der jüngsten Sitzung erfuhr ich, wie heldenhaft sich Vizepräsident Mike Pence verhalten hat. Während seine Mitarbeiter alle schon in den Wagen saßen, um den rechten Horden zu entfliehen, die fest vorhatten, Pence zu töten, rief er alle zurück. Er wollte nicht fliehen, sondern seiner Pflicht nachkommen und den Wahlausgang, den Sieg von Joe Biden, verfassungsgemäß zertifizieren. man sieht auch Fotos davon, wo er es tat: In einer Art Tiefgarage oder Laderampe. Das letzte Mauseloch, in dem es für den Vizepräsidenten an jenem Tag auf dem Capitol noch sicher war. 

Während dessen saß Trump im Weißen Haus und stachelte seine Freikorps mit Anti-Pence Tweets an. Es war viel knapper, als ich dachte. Trump setzte auf Gewalt, um das Recht zu beugen und erwies sich als würdiger Schüler seines Meisters Wladimir Putin. 

Ich habe Pence unterschätzt. Das liegt auch an einer Anekdote, die ein deutscher Politiker erzählte, der den Vice President auf dem Weg zu einer Konferenz begleiten durfte. Auf jede Frage, jedes Thema, dass der Deutsche anschnitt, antwortete Pence mit "God bless you, my son". Andere Tonart, neuer Versuch –  selbe Antwort. Meistere Smalltalk mit einem Satz.

Würde ich mir glatt  merken, aber mit Gott habe ich es nicht so.

Am Ende langer Tage kann man Unterstützung gebrauchen. Dieses Rezept ähnelt dem Poulet Basquaise meiner Großmutter. Am Ende des Artikels wird auch eine fleischlose, flexitarische Variante mit Kartoffeln erwähnt, Auberginen wären auch gut. Zur Not geht aber auch Kaninchen. 

https://www.theguardian.com/food/2022/jun/13/thomasina-miers-recipe-chicken-cacciatore (Öffnet in neuem Fenster)

Kopf hoch,

ihr

Nils Minkmar

PS: Über dreitausend Menschen erhalten heute diesen Newsletter, der vor etwas über einem Jahr mit wenigen Dutzend startete. Danke.

Es kommen immer wieder nette Anregungen, diesen Newsletter mit Anzeigen profitabel zu machen oder ihn unter die Fittiche einer Medienmarke schlüpfen zu lassen – aber das passt nicht so recht zur Anarchie, zur Freiheit des Sonntags. Umso mehr weiß ich es zu schätzen, wenn Menschen durch eine Mitgliedschaft die Arbeit daran finanziell unterstützen und das geht hier

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