Zum Hauptinhalt springen

Die Wende

Back to the future mit Friedrich Merz/ Der neue Houellebecq/

Dystopische Serie The Split/Post aus Paris

Lange Zeit wurde es immer dunkler, aber das ist in wenigen Tagen vorbei. Wobei man dieses kurze Flackern von milchiger Helligkeit gar keinen Tag nennen möchte, es war einfach nur finster. Was für ein Jahre geht auch in der deutschen Politik zu Ende. Zu Begin 2021 machte sich die CDU noch Hoffnungen auf das Kanzleramt und obwohl sie es nur knapp verfehlte, scheint darin eine historische Logik zum Tragen gekommen zu sein. 

Der Sieg von Friedrich Merz sorgt nun für frischen Spott. Er wirkt wirklich wie aus einer anderen Zeit. Ich habe mich mal einen Tag in seiner Heimatstadt Arnsberg im Sauerland herum getrieben: Wenn man ein Freiluftmuseum der alten Bunderepublik errichten möchte, wäre das ein guter Ausgangspunkt. Viele ambitionierte Leute aus der CDU waren gar nicht erst angetreten, als wolle man ihm als Mann des Übergangs nun den Vortritt lassen. Mich erinnert an die Zeit in der SPD nach Schröder und Müntefering. Da wurde Kurt Beck Chef. Solche Personalien sind Zeugnisse tiefer politischer Verwirrung: Man möchte nicht mehr, was man war, obwohl man Erfolg hatte. Es ist eine praktische Nostalgie ohne Sinn und Zweck, aber einen Moment lang fühlt es sich gut an, wei wenn man sich vorstellt, wieder ein Kind zu sein. 

Für Unterhaltung wird Merz aber sorgen. Allein der schmachtende Blick, mit dem Merz in der Sendung Maybrit Illner Dany Cohn-Bendit bedacht hat, als säße neben ihm niemand anderes als Che Guevara. 

Am 11. Januar, die Meldung kam offiziell am Freitag, kommt der neue Roman von Michel Houellebecq "anéantir" in den Handel. Wir JournalistInnen bekommen ihn einige Tage früher, aber nicht wie üblich als pdf, sondern als fertiges Buch. Man muss also beim Verlag angeben, wo man sich dann aufhält und die Verzögerungen der Zustellung kalkulieren und versichern, nichts vor der Sperrfrist zu veröffentlichen. Ein Theater. 

Dennoch wird die ganze Welt darüber reden. Houellebecq spinnt zwar oft, aber er ist der beste Sensor unserer Gegenwart,  ein Taktgeber. 

Zum ersten Mal sprach ich ihn Anfang 2002, zusammen mit Volker Weidermann. Da war er reizend, sehr schüchtern. Wir haben ewig geplaudert. Volker weihte mit diesem Interview ein digitales Aufnahmegerät ein,  das toll aussah, nur nichts aufgenommen hat. Also haben wir später in einer Bar alles aus dem Gedächtnis aufgeschrieben. 

Weniger lustig ist meine Erinnerung an das öffentliche Gespräch mit ihm 2015 in Köln. Das war nach dem Attentat auf "Charlie Hebdo". Er schien mir nicht ganz Herr seiner Fähigkeiten, dh völlig betrunken, und die Dolmetscherin war arg nervös. Wir redeten aneinander vorbei. Einer jener Abende, wo man von der Bühne aus überlegt, wieviel Sekunden es wohl dauert, bis man den Notausgang erreicht und in einem Taxi sitzt. 

Dennoch freue ich mich auf den neuen Roman. Über den  Vorgänger "Serotonin" musste ich sehr lachen.

Der Anfang des Romans wurde im "Figaro" zitiert:

«Certains lundis de la toute fin de novembre, ou du début de décembre, surtout lorsqu'on est célibataire, on a la sensation d'être dans le couloir de la mort. Les vacances d'été sont depuis longtemps oubliées, la nouvelle année est encore loin : la proximité du néant est inhabituelle.»

Bevor es in der Weihnachtszeit allzu besinnlich wird, sei die auf arte zu sehende Familienserie "The Split" empfohlen. Sie erzählt die Abenteuer einer Scheidungsanwältin in London und das besondere ist, dass es nicht eine einzige sympathische Figur in dem bunten Treiben gibt.  Traditionen sind verlogen, Liebe katastrophal, Familie eine Lüge und alles menschliche Streben vom Geld verseucht. Es ist eine radikale Abrechnung mit der gesamten Londoner Gesellschaft und mithin eine der besten Erklärungen für die Brexit- Katastrophe, die ich kenne. 

https://www.arte.tv/de/videos/RC-021759/the-split-beziehungsstatus-ungeklaert/ (Öffnet in neuem Fenster)

Freitags kommen immer die Gemüsekisten an. Als ich sie am späten Nachmittag in dunkler Nacht hochbeförderte, klemmte ich mir noch die Post unter den Arm, die oh Wunder, wirklich einmal ausgetragen worden war. 

Ich legte die Umschläge auf Kohlköpfe und Kartoffeln und fragte mich, was das für ein Umschlag aus Paris war. Absender Kulturministerium. Ich hatte erst keinen Schimmer, dann, als ich es geöffnet hatte, weiche Knie:

Kopf hoch,

Ihr

Nils Minkmar

PS: Über die Feiertage pausiert der "Siebte Tag" und erscheint wieder am 9.Januar 2022

2 Kommentare

Möchtest du die Kommentare sehen?
Werde Mitglied von Der siebte Tag und diskutiere mit.
Mitglied werden