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Modellschiff auf dem Teich des Jardin du Luxembourg, Februar 2020

Sound of Silence

Müssen Politiker auch Promis sein?/Kann man das mit dem Wohnen besser lösen?/ Ulrich Wickert erinnert sich an Ute Grass

Hören Sie diese Stille? Hören Sie, dass Sie nichts hören? Schauen Sie ruhig nochmal nach, ob es wirklich stimmt: Mal die Nachrichten hören, die Schlagzeilen der aushängenden Zeitungen lesen und wenn Sie ganz kühn sind, einen Blick in die sozialen Netzwerke riskieren. Es ist wirklich wahr: Der orangene Mann mit den gelben Haaren hat sich verzogen wie schlechtes Wetter. Vier Jahre lang lebten wir mit diesem irren Lärm, waren einigermaßen schutzlos der Dauerkommunikation eines Narzissten ausgesetzt und das hat aufgehört. Manche Probleme lösen sich wirklich und das Leben geht weiter. An ein Comeback von Trump glaube ich nicht, er ist ein Fall für die Staatsanwälte, zumal wenn sein einstiger Consigliere Rudy Giuliani mit den Strafermittlungsbehörden kooperiert (Öffnet in neuem Fenster), um selbst mit einer milderen Strafe davon zu kommen. 

Wer wieder da ist, sind die USA: Klimaabkommen, Wirtschaftswachstum, faire Steuern, ein bisschen Sozialstaat und Infrastrukturpolitik – was Joe Biden da hinlegt und wofür er die Lorbeeren der Welt erntet, ist klassische Sozialdemokratie.

Seine Rede zur Lage der Nation habe ich mir gespart. Dieser Luxus: Ihn getrost ignorieren zu dürfen, weil man dem Mann einfach vertraut. Seltsam, ich habe mich auch bei dem Gedanken ertappt, dass ich vermutlich kein Buch über Joe Biden lesen möchte, obwohl ich eigentlich zu allen amerikanischen Präsidenten einige Sachen im Regal stehen habe. Gibt es einen Zusammenhang zwischen seiner geringen Prominenz und seiner guten Politik?

Es steht nirgends geschrieben, dass Politiker prominent sein sollen. In Ländern, in denen die Menschen besonders gerne leben - Finnland, Norwegen, die Schweiz - sind die Regierenden nahezu unbekannt. Angela Merkel war hier ein Vorbild: Kartoffelsuppe und Supermarkt. Auch nach ihrer Amtszeit wird sie nicht mit Flavio Briatore vor Sardinien cruisen oder Lobbyarbeit für Gasleitungen leisten. Extreme Personalisierung heizt die Medienmärkte an, gerade in einer Zeit, in der echter Ruhm immer seltener wird, und irgendwo befördert sie so auch den demokratischen Diskurs – aber so wie man im Grundstudium Geschichte lernt, dass eher die Strukturen und die sozialen Trägerschichten wichtig sind für Wandel, so zeigen sich auch in einer milderen Personalisierung der Politik unabweisbare Vorteile: beispielsweise diese Stille.

Der größte Mangel an politischer Fantasie herrscht in der Wohnungsfrage. Immobilien sind eine der wenigen noch verbliebenen, soliden Geldanlagen, besser wohnen können die Leute davon aber nicht. Die Mieten sind hoch, Häuser nahezu unerschwinglich. Was in meiner Jugend im Saarland ein gewöhnliches Einfamilienhaus war, in dem ich Schulfreunde besuchte, nichts Besonderes, ist heute fast eine Millionen Euro wert und wird täglich teurer, ein Irrsinn. Die Frage, wie man wohnt, wie man das bezahlt und wie man in diesem Punkt Sicherheit herstellt, ist eine Quelle immensen sozialen Unglücks. Derzeit arbeiten sich manche halb tot, um Millionenhäuser zu ergattern, die sie nur einen kurzen Moment ihres Lebens bewohnen, weil später die Kinder wieder ausfliegen. Andere ziehen dauernd um, verheddern sich in Streitigkeiten und liegen nachts wach, weil Sie sich fragen, wie es noch einen Monat gehen soll, mit dem Geld? Alle haben ein Recht auf Seelenfrieden und Wohnung, könnte eine Gesellschaft das nicht besser organisieren? Es gibt Genossenschaften, Projektdörfer, Kooperativen, alles sehr spannend. Nun fand ich folgenden Artikel (Öffnet in neuem Fenster), über den ich aber eher lachen musste, weil das Objekt an die Comics der Schlümpfe erinnert, die auch ähnlich hausen, wenn ich mich richtig erinnere: Es ist ein Haus in Form eines Felsens, gefertigt aus einem 3D Drucker. Immerhin sehr günstig. Vielleicht gibt es das ja auch mal in schick.

In dieser Woche erreichte uns die Meldung des Todes von Ute Grass. Ich fand noch diesen alten Zeitungsausschnitt mit dem tanzenden Paar. Ganz links im Bild stehe ich, als Schüler mit peinlich vielen Haaren. Es war ein Schriftstellerkongress in Saarbrücken. Berühmt wurde er, weil sich später herausstellte, dass die Stasi ihre Hasis dort herumfuhrwerken ließ. Grass hatte für die natürlich nix übrig, tanzte sich am Abend von manchem Frust frei.

Ausriss aus der Saarbrücker Zeitung

Es ist manchmal nicht ganz einfach, schnell und passend einen Nachruf zu schreiben. In ihrem Fall war die Dimension ihres Mannes Günter so gewaltig, dass es schwerfiel, ihr eigenes Leben, ihre Persönlichkeit angemessen zu würdigen. Nachdem mein Nachruf in der SZ erschienen ist – mein erster Text dort in neuer Funktion – schickte mir Ulrich Wickert noch eine Erinnerung aus seinem schönen Memoirenband „Neugier und Übermut“ (Hoffmann und Campe) (Öffnet in neuem Fenster), die ich mit seiner Genehmigung hier zitiere:

Ute Grass war meine Retterin. Wir standen in Peking vor der Mauer der Demokratie. Und ich hatte ein Problem, das mich verzweifeln ließ.

Oktober 1979.

China befand sich im Umbruch. Drei Jahre nach dem Tod von Mao begann Deng Xiaoping langsam, Chinas Grenzen zu öffnen. Die Welt schaute mit Erstaunen auf das Riesenreich des Ostens. An der Mauer der Demokratie veröffentlichten, mitten in der chinesischen Hauptstadt, Künstler, Autoren und Dissidenten ihre Werke und kritisierten die Zustände.

Günter Grass hatte mir eben ein zehn Minuten langes Interview gegeben. Er war zu Vorträgen an der Universität von Peking, zu Gesprächen mit chinesischen Autoren und Lesungen in Peking und Shanghai nach China eingeladen worden. Und da ich mit Kameramann Michael Giefer gerade einige Wochen lang in Peking alles drehte, von dem ich meinte, es könnte die Fernsehzuschauer in Deutschland interessieren, begleiteten wir auch Günter und Ute Grass während ihrer Tage in Peking.

An der Mauer der Demokratie hatte sich Grass spontan mit einigen chinesischen Künstlern unterhalten und mit einem Maler ein Bild getauscht. Der Chinese übergab Grass eine Tuschezeichnung, der hatte eine Radierung seines Butts dabei. Der Chinese kannte die Technik nicht und fand sie hoch interessant. Grass würde von Deutschland aus versuchen, ihm einige Kupferplatten zu schicken, nicht wissend, ob der Chinese in Peking überhaupt jemanden fände, der ihm beim Drucken helfen könnte.

Eine Menge wissbegieriger Chinesen, alle noch im Mao-look, umgaben uns, als wir das Interview führten. Michael Giefer drehte. Ich war Reporter, Kamera-Assistent und Toningenieur in einem. Leider beherrschte ich die Stellafox, ein leichtes Tonbandgerät für professionelle Zwecke, nicht gut genug. Wenn man beim Bedienen dieses Geräts den Schalter einmal zu weit drehte, dann konnte das Tonband aus der Spule laufen. Und genau das war geschehen. Zehn Minuten Interview. Und aus der Stellafox quoll ein wirrer Tonbandsalat! Ich war verzweifelt, stellte aber fest, dass unser Gespräch auf dem Bandknäuel aufgezeichnet worden war.

Da sagte Ute Grass: „Ich stricke. Deswegen weiß ich auch, wie man so ein Knäuel aufdröselt.“ Und tatsächlich, innerhalb weniger Minuten hatte sie mein Problem gelöst, während die Chinesen ihr mit großer Neugier zusahen.“

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