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Ist das gute Leben komplizierter geworden?

Vor zehn Jahren, da war das gute Leben leichter.

Das gute Leben war ein Gin Tonic mit einem Gin, der mehr als 5 Euro die Flasche gekostet hat.

Oder ein Gin Lake.

Das gute Leben war ein Hostel ohne Bettwanzen.

Das gute Leben waren endlose Sommer zwischen der Abgabe der letzten Hausarbeit und dem Beginn des nächsten Wintersemesters.

Das gute Leben war ein Swimming Pool im Garten der Reihenhaus-WG; und wenn ich Swimming Pool schreibe, dann meine ich ein 15-Euro-Planschbecken von Aldi.

Das gute Leben war eine neue Freundschaft, am Mensaeingang aufgesammelt, mit Kaffee begossen, mit einer durchtanzten Nacht besiegelt.

Das gute Leben war eine verrückte Idee am Vormittag zu haben und am Nachmittag direkt Zeit, zum Loszulegen.

Und heute?

Heute scheint das gute Leben mir manchmal so viel komplizierter zu sein. Es involviert einen Job, der auf wundersame Weise sinnstiftend ist UND gut bezahlt. Einen ETF-Sparplan und ein Fitnessstudio mit Handtuch-Service. Mindestens sechs zusammenpassende Teller und ebenso viele zusammenpassende Freund:innen. (Und das „Zusammenpassen“ setzt nun mehr voraus als eine Beutegemeinschaft beim Cocktail-Würfeln zu sein.)

Überhaupt, Freundschaften, sie wollen in neue Lebensphasen überführt oder über die Distanz von mehreren hundert Kilometern hinweg aufrechterhalten werden; manche bleiben räumlich ganz nah und verlieren sich trotzdem, plötzlich oder langsam, und das Loslassen ist eine ganz neue Art von Liebeskummer.

Vor zehn Jahren, da war das gute Leben leichter – zumindest kommt es mir manchmal so vor. Und irgendwie stimmt es – aber irgendwie auch nicht. Ja was denn nun??? Da sind wir schon mittendrin.

Also zurück zu Frage:

Ist das gute Leben heute komplizierter als früher?

NEIN, weil das wirklich gute Leben immer noch in genauso kleinen Momenten liegt wie jene aus meinen Zwanzigern, die ich eingangs beschrieben habe.

Das gute Leben ist die erste Schale Erdbeeren des Jahres – immer noch, immer wieder. (Und bald ist es so weit!)

Ein unverhoffter Moment an einem ganz normalen Arbeitstag, in dem ich meine (Selbst-)Wirksamkeit so richtig krass spüre.

Ein ist ein Sonntagvormittag auf dem Ponyhof.

Ein wirklich nicer Gin Tonic aus einer Open Bar auf einem schnieken Sommerfest, zu dem man eingeladen wurde.

Nudeln mit Sauce, zubereitet auf einem Grill, auf einer Insel im Schärengarten in Schweden. Überhaupt, Sommer in Schweden!

Das gute Leben, ganz unkompliziert, anno 2022.

Und auch NEIN, weil ich heute viel besser als vor zehn Jahren weiß, wer ich bin und was ich will, und das ist für mich in sich ein Grundpfeiler des guten Lebens.

Und gleichzeitig: 

JA, weil die Welt schwieriger geworden ist.

Die Corona-Pandemie, der Angriffskrieg auf die Ukraine, die Klima-Katastrophe. All diese weltweiten Gegebenheiten machen es manchmal schwer daran zu glauben, dass es so etwas wie das gute Leben gibt oder es sich lohnt, dafür einzustehen – für sich selbst und andere.

JA, weil diese weltweiten Gegebenheiten es auch im privaten komplizierter machen, „gut“ zu leben. Zum Beispiel: Diesen Winter habe ich mir in der Tat ein Fitnessstudio mit Handtuchservice rausgelassen. Und das hat mein Leben massiv besser gemacht, denn so konnte ich mich auspowern, auch wenn es draußen schon dunkel war, wenn ich mit der Arbeit fertig war anstatt in einer winterlichen depressiven Verstimmung zu versacken. Und gleichzeitig habe ich gedacht: Wie f*cking privilegiert bin ich eigentlich, dass ich dafür mal eben hundert Euro im Monat ausgeben kann? Und wie viele sind das nicht?!?

JA, weil „gut“ für mich nicht automatisch gut für dich und gut für alle ist. Eine Woche surfen in Portugal? Super gut für mich, nicht gut für die Umwelt, denn ich bin mit dem Flieger hin. Sich einsetzen für mehr Frauen in Führungsetagen? Super gut, aber dabei bitte nicht die weniger privilegierten Frauen vergessen, die in schlecht bezahlten Teilzeit-Jobs arbeiten; und auch nicht die Frauen in den Teilen der Welt, für die unerreichbar ist, was wir als selbstverständlich hinnehmen.

Um zum Abschluss zu kommen: Ich glaube, dass es sich lohnt, das gute Leben immer wieder zu suchen, gerade in den kleinen Momenten. Und ich glaube auch, dass wir gut daran tun, auf der Suche nach unserem guten Leben das große Ganze nicht aus den Augen zu verlieren. Auch wenn das ein Spagat ist, und auch wenn ich mehr Fragen als Antworten habe:

Ich will es wagen, dem guten Leben nachzuspüren, hier, auf dieser Seite, mit meinen Texten und Ideen, und mit euch.

Ich freue mich, wenn ihr dabei seid, ob via Mitgliedschaft, Newsletter-Abo oder einfach immer mal wieder als Zaungast.

Vielleicht magst du direkt in das Gespräch einsteigen: Was macht für dich das gute Leben aus?

 

 

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