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Die Haferflocke

Die Sonne schien und es ließ sich keine einzige Wolke am Himmel blicken. Hier und da scharrte und pickte ein Vogel in der Erde und einige Schmetterlinge und Bienen waren ebenfalls geschäftig unterwegs. 

Es war Sonntagvormittag und Tina schaute aus dem Fenster. Sie schaute auf ihren Garten, beziehungsweise auf das irgendwas da draußen. Der Anblick schmerzte so sehr, dass sie sich die Schläfen dabei massieren musste. Überall sah man Büsche, alte kaputte Gartenmöbel und weit und breit keine einzige Fläche zum Bepflanzen. Verwahrlost, traurig und durcheinander. Das war es, was Tina sah, wenn sie aus dem Fenster schaute. Die meiste Zeit versuchte sie den Anblick einfach zu ignorieren und das gelang ihr im Alltag auch relativ gut. Wenn sie abends von der Arbeit nach Hause kam, machte sie schnell die Vorhänge zu und dachte nicht weiter an das Unkraut-Chaos und die trostlosen Gartenmöbel. Ihre Freundin Kathi hatte Tina neulich bei einer Tasse Kaffee gefragt, warum sie der Garten so belasten würde. „Dann hast du halt einen ungepflegten Garten. Das haben andere Leute auch“, hatte sie gesagt und dabei noch einen Schokokeks vom Teller geangelt. Eigentlich hatte Kathi ja recht. So ein Garten war ja kein echtes Problem. Aber für Tina eben doch. 

Sie hatte die Wohnung mit Garten in der Herbertstraße zusammen mit Clemens gefunden. Schon lange hatten sie den Traum von einem eigenen Garten geträumt. Mehr noch. Sie hatten sich dort eine eigene kleine Familie vorgestellt. Als sie eingezogen waren, war der Garten zwar auch nicht gerade ein Highlight gewesen, aber Clemens hatte sie angelächelt und gesagt, dass es ein Abenteuer werden würde. „Ich kann unsere Hängematte schon sehen!“, lachte er damals. Tina spürte einen starken, unnachgiebigen Kloß im Hals. Damals waren sie acht Jahre zusammen gewesen und das Glück schien vollkommen. Nur wenig später hatte Clemens ihr dann erzählt, dass er auf eine Geschäftsreise musste. Erst eine, dann noch eine und schließlich fast jedes Wochenende. Schließlich rief eine Saskia an und Tinas Welt war nicht mehr wie vorher. Zurück blieben die Wohnung und der Garten mit den versunkenen Träumen. Nach vielen verweinten Wochenenden, Kirschkuchen mit Sahne und Berge von Taschentüchern, rappelte sich Tina wieder auf. Ihre Schwester kam sie oft besuchen, sie wurde befördert und das Leben schien einfach weiter zu machen. Doch innerlich ging es Tina nach wie vor schlecht. Ihr Urvertrauen in die Geborgenheit der langjährigen Beziehung war missbraucht worden. Doch das Leben geht weiter, die Zeit bleibt nicht stehen, bis man sich erholt hat. Und so wucherte der Garten zu und das Holz verfaulte. Tina fand keine Kraft und verschob die Gartenarbeit Woche für Woche, Monat um Monat und schließlich Jahr für Jahr. Doch wenn sie ehrlich zu sich war, wusste sie, dass sie dieses Verschieben enorme Kraft kostete. Jeden Tag erinnerte sie der Garten an all ihre Pläne mit Clemens. Eine kleine Schaukel für das Kind und daneben ein Vogelhaus. Vielleicht noch eine Sauna für zwei? Tina wollte keine Träume mehr, denn daraus resultierten Albträume. Vermutlich würde sie früher oder später einfach ausziehen. 

Es klingelte an der Tür und sie Denkblase zerplatzte. Tina öffnete und ihre Schwester stand in kurzen Hosen und mit einer Schüssel auf der Treppe und lächelte sie an. „Hey du! Darf ich kurz reinkommen? Ich habe da was für sich“, sagte sie und quetsche sich dabei an ihr vorbei in die Wohnung. „Was ist in der Schüssel?“, wollte Tina wissen und folgte ihrer Schwester in die Küche. „Das riecht lecker nach Zimt“. In der Tat schien sich der Geruch wie ein Gerücht überall in Windeseile zu verbreiten. „Oh. Das hier?“, fragte Lea und stellte die Schüssel hin, sodass Tina den Inhalt erkennen konnte: Frisch gemachtes, cremiges Apfel-Zimt-Porridge. „Ohhhh…wie lecker! Vielen Dank!“, rief Tina und wollte gleich mal probieren. Doch Lea legte schützend eine Hand um die Schüssel. „Nein, dass ist für mich. Du bekommst das hier“, sagte sie und gab ihr eine einzelne Haferflocke in die Hand. 

Sie hatte also den Verstand verloren. Na schön. „Was?“, brachte Tina nur heraus und starrte auf die Haferflocke in ihrer Hand, die unbeirrt zurück starrte. „Tina. Eine einzelne Haferflocke wirkt unbedeutend, aber viele Haferflocken sind fantastisch“, meinte Lea und zeigte auf die Schüssel mit Porridge. „Das gilt auch für Spatenstiche“, lächelte sie und sah Tina dabei fest in die tiefgrünen Augen“. Du musst dir kein Porridge machen lassen. Von Niemanden. Mach dir selbst eines“, sagte sie und nahm die Schüssel wieder in die Hand. „Ich geh jetzt mit Kai spazieren, wir hören uns!“. Tina hörte, wie sich die Tür öffnete und wieder schloss, dann schaute sie wieder auf die kleine Haferflocke. „Na, wie geht’s? " , fragte Tina die Flocke. Diese zog es vor zu schweigen. „Du bist einsam was? Ich auch. Aber so ein Porridge ist schon was Tolles. Wo habe ich den die Gartenhandschuhe gelassen.“

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Viel Spaß beim Hören!

Deine Hannah

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