Ghost Lover
Lisa Taddeos Kurzgeschichten: Feminismus, der sich selbst ins Knie schießt
Ich hätte nie gedacht, dass ich mal irgendwas, was Lisa Taddeo schreibt, mit irgendwas anderem überschütten würde, als mit schwärmerischer Lobhudelei. (Hallo, sie hat Three Women geschrieben und was habe ich bisher mit meinem Leben gemacht?!) Aber dieser Storyband. Oh Mann.
Mein Problem ist nicht Taddeos Prosa, au contraire, ihre Schreibe ist der einzige Grund gewesen, bei der Stange zu bleiben — Taddeo schreibt am laufenden Band absolute Killer Sätze, wirklich. Sätze wie diesen:
»Er trug Stickkrawatten zu Flanellhemden, wie eine Führungskraft, die auf Bäumen lebte.«
oder den hier:
»Ihr Verlangen hatte viele Ebenen. Sie wollte Brettspiele mit ihm spielen. Sie wollte geleckt werden.«
Also, es ist guter Shit. Die Prosa entwickelt einen Sog, dem man schnell verfällt, macht geradezu süchtig, ist einfach perfekt.
Mein Problem ist auch nicht, dass die Geschichten allesamt saudeprimierend sind. Deprimierendes hat ja auch seine Daseinsberechtigung. Ich sag nur Kafka.
Nein, diese Sammlung von Kurzgeschichten hat das Problem, dass sie offiziell aus neun unabhängigen Stories mit unabhängigen Heldinnen besteht, die aber in Wirklichkeit alle dieselbe Person sind. Der man nicht gerne zuguckt. Nämlich eine rasend unglückliche, von einem narzisstischen Selbsthass zerfressene Ich-Erzählerin, die ausschließlich damit beschäftigt ist, sich alt und hässlich zu fühlen und die Bestätigung von Männern zu suchen, die sie weder mag noch respektiert.
Es ist eine leere, traurige Welt, die Taddeos Heldin bewohnt. Ihre Errungenschaften sind allesamt wertlos, weil alles was für sie zählt, so Sachen wie Thigh Gaps sind. Alle neun Geschichten beginnen mit einer Info darüber, wie alt die Protagonistinnen sind und/oder wie sie aussehen. Wirklich, jede einzelne, hier der Beweis:
»Der Politiker war schön und die Talkshowmoderatorin plump.« (Nicht normschöne Frau wendet einen Liebeszauber an, um einen schönen Mann zu verzaubern.)
»Du hättest dir auch Butter liefern lassen können, aber dann wärst du dir verwöhnt und schwabbelig vorgekommen.« (Eine Frau trauert ihrem Ex hinterher, der sie verlassen hat, weil sie zu alt ist.)
»Das Model, Petra, hatte einen Thigh Gap gehabt, durch den man die ganze Welt vom Gardasee bis zum Prokoško jezero sah.« (Eine Frau schläft mit einem berühmten Schauspieler und fühlt sich nonstop minderwertig neben ihm.)
»Das Mädchen war zwischen siebenundzwanzig und zweiunddreißig, jener erbärmlichen Lebensphase, in der sich ledige Frauen unter ihrer dünnen Bronzehaut in Cujos verwandeln.« (Frau freut sich, dass ihre Konkurrentin um einen Mann gestorben ist, weil die jünger ist als sie selbst.)
»Mit siebenundzwanzig waren sie eigentlich schon zu alt, um übers Wochenende aus der Stadt herzufahren ...« (Zwei Freundinnen werden 27 Seiten lang miteinander verglichen.)
»Bin ich zu alt dafür? hatte sie ihn gefragt, als sie das Teil zum ersten Mal vor ihm getragen hatte.« (Eine Frau ist dreißig Jahre lang in einen Typen verliebt, der sie nicht will.)
»Sara war – und ist noch immer – hüscher als ich, auf eine nuttige Neunziger-Jahre-Art.« (Zwei Freundinnen werden 14 Seiten lang miteinander verglichen.)
»Miranda war groß und dunkelhaarig wie nur was.« (Schöne Frau prostituiert sich.)
»Joan musste schön aussehen.« (Eine Ü50-jährige macht online Dating und macht wegen ihres Alters demütigende Erfahrungen.)
Mit spätestens 40 fangen die Protagonistinnen an, sich selbst wie Greisinnen zu beschreiben, es grenzt ans Groteske: »Außerdem wäre sie irgendwie ausgeleiert, sodass es einem kosmischen Unterfangen gleichkäme, sie zu vögeln, aus stochere man zwischen zwei dürren Bäumen in einem dunklen Sonnensystem herum und stieße nur auf Feuchtigkeit und morbide Luft.« (Die Frau um die es geht ist 42.)
Wenn man das liest, hat man das ganze weibliche Selbstkasteiungstheater der internalisierten Misogynie nach der ersten, spätestens der zweiten Story verstanden (falls man bisher noch nichts davon mitbekommen hat). Dass aber das ganze Buch so geht, ohne Entwicklung, ohne neue Perspektiven, ohne Variation, das ist bestenfalls ermüdend.
Irgendwann habe ich mich persönlich misogyn beleidigt gefühlt, so wie früher in der Sportumkleide, wenn das schönste Mädchen der Klasse ihre makellosen Oberschenkel als hässlich bezeichnet hat, womit sie dann natürlich alle anderen dazu zwang, ihre eigenen Oberschenkel als erst-recht-hässlich zu klassifizieren.
Gesellschaftliche Missstände zu benennen ist ja auch wichtig und alles. Es gibt ja wirklich eine riesige Industrie, die davon lebt, dass wir uns für zu alt und zu fett und zu wasauchimmer halten und die uns einreden will, dass allein unsere Jugend unseren Wert als Mensch definiert. Es ist ja wirklich so, dass man in unserer Kultur erhebliche, mitunter jahrzehntelange persönliche Arbeit leisten muss, um diese soziale Konditionierung zu erkennen und zu dekonstruieren und Frieden mit dem eigenen Körper zu schließen. Es ist ja wirklich so, dass die meisten Frauen zumindest gelegentlich sehr schlimme Gedanken über sich selbst haben, viele nicht mal merken, dass es nicht normal oder gesund ist, den ganzen Tag mit sich selbst zu reden, als hätte man den fiesesten Schulhofschläger aus der vierten Klasse in seinem Kopf sitzen und er beleidigt einen den ganzen Tag in der eigenen Stimme. Das ist ja alles wirklich so.
Aber eigentlich hatten wir uns doch darauf geeinigt, dass es nicht hilft, diese Narrative immer wieder zu reproduzieren? Eigentlich hatten wir doch schon Body Positivity und Body Neutrality und Konsens darüber, dass wir Leute verlassen, die uns sagen, dass unsere Hintern irgendwie falsch sind?
Wie dünn dieser feministische Firnis in Wirklichkeit ist, versteht man, wenn man sich die Reaktionen der Kritik auf Taddeos Buch anschaut.
Diese ungebremste misogyne Selbsthass-Orgie wird nämlich rechts und links als »radikale Ehrlichkeit« und als die »brutale Wahrheit« gelabelt, die nun — endlich! — mal ausgesprochen wird. Eine Interviewerin spricht ganz begeistert über dieses unangenehme Übelkeitsgefühl, das sie beim Lesen von Taddeos Texten unweigerlich ergreift und interpretiert es als das, was eben passiert, wenn man sich besonders gesehen fühlt.
An dieser Stelle bin ich raus. Wenn eine Frau mit misogynen Selbstzuschreibungen um sich schießt, macht nicht allein die Tatsache, dass es aus der Sicht der Frau erzählt ist, zu einer besonders wertvollen, ungeschönten oder mutigen Wahrheit. Es bleibt einfach eine misogyne Abwertung. Und der Grund für das Übelkeitsgefühl ist nicht das Licht der der Erkenntnis, sondern einfach nur die Verletzung, die man spürt, wenn man misogyn abgewertet wird.
Künstlerinnen haben keinen pädagogischen Auftrag. Wenn Taddeo weiblichen Selbsthass beschreiben und null kontextualisieren will, fine. Dann ist das ihr gutes Recht. Aber die komplette Abwesenheit alternativer Perspektiven in diesem Text ist schon auch irgendwie ein handwerkliches Versagen. Es ist Fiktion—bietet also unendliche Freiheit zur Chrakterentwicklung. Es ist eine Kurzgeschichten Sammlung—ist also quasi dafür geschaffen, ein Prisma aus Perspektiven und unterschiedlichen Stimmen aufzufächern. Aber Taddeo nimmt diese Chancen nicht wahr und bleibt stattdessen komplett eindimensional. Sie hat nur eine Figur, und nur eine Botschaft: Die Frau ist wertlos ohne einen Mann, der ihren Körper begehrt.
Weil sich die Protagonistinnen so stark ähneln, ist man natürlich schnell mit dem Verdacht, es handle sich um Taddeo selbst. Man sollte nie den Fehler machen, die Autorin mit ihren Protagonistinnen zu verwechseln, doch in diesem Fall könnte es schon sein, dass Taddeo und ihre Heldinnen dieselbe Person sind.
Taddeo hat in Interviews, auch schon zu Three Women Zeiten, immer wieder über ihre eigene Mutter gesprochen, deren bemerkenswerte Schönheit und Wirkung auf Männer, inklusive Trauer über den Verlust dieser Währung, das zentrale Thema in Taddeos Kindheit und Jugend gewesen sein muss.
Das erklärt einiges. Zum Beispiel, warum Taddeo das Buch allen Frauen widmet, die »schonmal geliebt« haben, obwohl keine dieser Stories auch nur ansatzweise von Liebe handelt. Aber das ist es ja, was wir von unseren Eltern lernen: Wie wir mit uns selbst reden, wie wir uns selbst tragen, was wir von uns selbst halten, was wir tun und sein müssen, um geliebt zu werden. Taddeo ist eine junge GenX, also eine Generation, die sowohl mit intensivem Leistungsdruck als auch mit toxischen Körperbildern erzogen worden ist, und man kann der GenZ und den jüngeren Millennials wirklich nur wünschen, dass sie Narrative wie die in Ghost Lover nicht mehr als feministische Manifeste deuten.
🖤 Love
Mia