Zum Hauptinhalt springen

Schreib’s trotzdem - Teil 4: Die Schweinefassung

Ich arbeite seit 25 Jahren als Autor. Das heißt, seit einem Vierteljahrhundert gibt es keine Woche, in der ich nicht irgendeinen Text schreibe und auf die ein oder andere Art veröffentliche. Mal Sketche, mal Glossen, mal Zeitungsartikel, Drehbücher, Printbücher, Stand-ups, Moderationen oder auch nur Facebook Posts. Da hat sich so einiges an Erfahrungen und Werkzeug angesammelt. Und da ich weiß, dass viele Leute gerne schreiben würden, aber nicht recht wissen, wie und womit sie anfangen wollen, möchte ich diese Werkzeuge ab jetzt in kurzen Texten weitergeben. Wohlgemerkt: Das sind meine Werkzeuge. Andere Leute haben andere. Sucht euch aus, was euch weiterhilft, vergesst, was Ihr dumm findet. Hauptsache, ihr schreibt. Denn Gründe, um nicht zu schreiben, gibt es viele (Zeit, Geld, Motivation …). Aber so nach 25 Jahren kann ich jedem nur empfehlen: Schreib’s trotzdem.

IV. Die Schweinefassung

Als ich in den Nullerjahren bei einer großen Produktionsfirma Drehbücher für verschiedene deutsche Sitcoms schrieb, war ich anfangs immer irritiert, wenn der Headwriter von einer „Schweinefassung“ sprach. Immer wieder forderte er mich auf, „erst mal ne Schweinefassung“ zu schreiben. Als Autor/Künstler/Kreativer ist man ja gerne etwas empfindlich und sehr schnell grundlos pikiert und so dachte auch ich damals: Wie spricht der von meinen Drehbüchern? Was soll das sein, eine „Schweinefassung“? Und wie kommt der auf die Idee, dass ich sowas schreibe? Irgendwann verstand ich dann, was er meinte: Die „Schweinefassung“ war in seinem Sprachgebrauch einfach nur der allererste Entwurf. Die Fassung, die man „einfach so runtersaut“. Und die Fassung, die kein Schwein je zu lesen bekommt. Die Schweinefassung, eben.

Anne Lamott wiederum hält in ihrem Buch Bird by Bird eine mehrseitige Lobrede auf den „shitty first draft“ - den „beschissenen ersten Entwurf“. Auch diese Formulierung ist recht unprätentiös und könnte empfindsame Künstleregos verstören. Gemeint ist aber auch hier nichts anderes als die allererste Fassung, die du einfach so runterschreibst, nur damit du etwas geschrieben hast, was du anschließend verbessern kannst.

Aber ist das wirklich sinnvoll? Ein Sitcomdrehbuch hat ungefähr 35 Seiten.  Warum sollte man so viele Seiten „runtersauen“, wenn man doch weiß, dass nichts von alledem, was man da gerade schreibt, jemals so auf Sendung gehen wird? Ganz einfach: Weil irgendetwas auf deinem Monitor immer besser ist, als nichts auf deinem Monitor. Und weil es viel einfacher ist, Texte so lange zu überarbeiten, bis sie dir und anderen gefallen, als Perfektion aus der Luft zu zaubern.

Dieser Beitrag ist für Mitglieder inklusive. Mit einer Mitgliedschaft unterstützt meine Arbeit hier und in den sozialen Medien

Zu den Mitgliedschaften (Öffnet in neuem Fenster)

Kategorie Schreib's trotzdem!

2 Kommentare

Möchtest du die Kommentare sehen?
Werde Mitglied von Markus Barth und diskutiere mit.
Mitglied werden