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MCP — Der Newsletter im Dezember

Liebe Leser:innen,

herzlich willkommen zum letzten Newsletter des Jahres. Diesmal geht es, neben den zuletzt begeistert gelesenen Büchern, auch um ein paar literarische Serviervorschläge, wie sich der Winter gut lesen lässt.

Den Anfang macht aber blauschwarzberin — Der Literaturpodcast.

Folge 68 könnt ihr nicht nur wie immer dort finden, wo ihr am liebsten Podcasts hört, ab sofort gibt es all unsere Folgen auch auf unserem neuen YouTube-Kanal (Öffnet in neuem Fenster). Mein lieber Ludwig Lohmann hat in mühevoller Arbeit all unsere bisherigen Literaturgespräche an Grauburgunder auch dort nachhörbar gemacht. Wir freuen uns sehr über Abonnent:innen, Likes und Kommentare.

In Folge 68 habe ich die Lyrik der deutsch-griechischen Autorin Elena Mpei das grillenzirpen zwischen den rippen bewundert, die im Nimbus Verlag erschienen ist.

Außerdem habe ich die langjährige Arbeit der Literaturkritikerin und Autorin Hildegard Keller gefeiert, die Alfonsina Storni seit vielen Jahren wiederentdeckt. Sie hat die argentinische Künstlerin (die in der Schweiz geboren wurde) übersetzt, in wunderschönen Werkausgaben in ihrem eigens dafür gegründeten Verlag herausgegeben, und nun mit der zweibändigen Biografie Wach und Frei einen schönen, klugen, einfühlsamen, wichtigen und höchst würdigen Abschluss gefunden, der für viele künftige Leser:innen sicherlich erst der Anfang in das Leben und Schreiben dieser ganz besonderen Autorin ist.

Das furiose Leseerlebnis des Romans Ours von Phillip B. Williams, meisterhaft übersetzt von Milena Adam, verlockt mich auch im Podcast zu Superlativen. Ein Epos von 700 Seiten, dessen vielleicht wichtigste Figur, die titelgebende Stadt Ours (auf einem unsichtbaren Fleck auf der Landkarte, nördlich von St. Louis) ist. Noch vor dem Sezessionskriegen wird dieser Ort von einer Frau mit magischen Fähigkeiten gegründet und ist fortan nur für Schwarze zu finden und zu bewohnen. Eine große Geschichte um Freiheit und Menschlichkeit, mit einer wunderbar düsteren Stimmung, die ich so zuletzt bei Unser Teil der Nacht von Mariana Enriquez (übersetzt von Inka Marter und Silke Kleemann) oder Der Wassertänzer von Ta-Nehisi Coates (übersetzt von Bernhard Robben) geliebt und so doch noch nie gelesen habe.

Zum Abschluss eine Kinderbuchempfehlung von einer der größten (ja, ich sage es immer wieder) Erzählerinnen, die wir haben: Löwenherzen von Nino Haratischwili erzählt einfühlsam von den Kindern, die unter unserer globalisierten Welt leiden, von moderner Knechtschaft und Armut, von Menschenhandel und Einsamkeit, aber es erzählt auch von Mut und Hoffnung, von dem, was ein Schmetterlingsflügelschlag der Liebe irgendwo an einem ganz anderen Orts bewirken kann. Ein von Julia B. Nowikowa wunderschön illustriertes Buch, zum gemeinsamen Lesen mit Kindern ab ca. acht Jahren — und für uns alle.

Hört es euch an! Und verpasst nicht, welche Bücher mein lieber Ludwig Lohmann bespricht. So sehen wir jetzt auf YouTube aus.

https://www.youtube.com/watch?v=y5kVkosHgS0&list=PLHXfoy62SnenCzBelNmziUu3XcLsAI-HY (Öffnet in neuem Fenster)

Die nächste Podcastfolge gibt es am 10.12. wieder als Livestream direkt aus der Stabi.

Und damit sind wir bei den letzten, wunderbaren Terminen in diesem Jahr:

Am 3.12. spreche ich in der Bibliothek am Luisenbad mit Roman Ehrlich über seinen Roman Videotime (Öffnet in neuem Fenster).

Am 11.12. spreche ich auf Instagram im Livestream mit Ulrike Draesner über ihr Buch zu lieben (Öffnet in neuem Fenster).

Und nun zu den Winterbüchern, zwischen vielleicht längst Bekanntem mögt ihr vielleicht doch noch die eine oder andere Entdeckung machen. Wenn man sich jetzt für sechs Wochen in eine verschneite Berghütte zurückziehen dürfte, würde ich diese Bücher ins ansonsten leichte Gepäck empfehlen.

Fürs getröstete Gemüt:

Überwintern von Katherine May (übersetzt von Marieke Heimburger) ist so ein Klassiker für mich, wenn das Leben innen und außen erstarrt. Ein ernstes, aber wohltuendes Buch, das uns daran erinnert, dass auch mental unter der eisigen Oberfläche die Kraft für den nahenden Frühling geboren wird.

Das Winterbuch von Tove Jansson (übersetzt von Birgitta Kicherer) ist eine thematische Sammlung zarter und wärmender Erzählungen und Werkauszüge. Ein Lesebuch in seiner behutsamen Melancholie genau richtig für die düstere Jahreszeit.

Das Wintertagebuch von Nigel Slater Von Anfang November bis Mitte Januar beschenkt uns der berühmte Koch mit winterlichen Rezepte und Geschichten, feiert mit uns den Zauber dieser Jahreszeit und ist in seiner Begeisterung dafür einfach wunderbar inspirierend. Wenn ihr jetzt denkt, ach, da ist doch schon ein Monat von rum: Das Buch ist eine Investition in Leib und Seele und kommt jedes Jahr zum Einsatz, ich verspreche es.

Für das Besondere Gefühl:

Das Eis-Schloss von Tarjei Vesaas (übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel) ist die poetische Geschichte einer Freundschaft zwischen zwei Mädchen und die berührende Erzählung von Sehnsucht und Einsamkeit, als eine der beiden auf magische Weise von einem vereisten Wasserfall angezogen wird — und verschwindet. Die außergewöhnliche schöne Sprache in großartiger Übersetzung, atmet Eisblumen. Wer es noch nicht gelesen hat, sollte es genau jetzt tun.

Einen ganzen Jahreszeiten-Zyklus hat die schottische Autorin Ali Smith geschrieben. Doch Winter (übersetzt von Silvia Morawetz) ist wohl mein liebstes unter diesen vier grandiosen Bänden. Eine konfliktbeladene Großfamilie trifft sich für die Weihnachtstage in einem Haus in Cornwall und logischerweise geht das weniger idyllisch zu, als man denken könnte. Ali Smith versteht es auch hier, in diese Kammerspielsituation eine große politische Erzählung unserer Zeit einzubauen.

Etüden im Schnee von Yoko Tawada ist die überraschende Geschichte von drei Generationen einer Eisbärenfamilie (ja, der eine heißt Knut, das nervt aber trotzdem nicht). Überraschend vor allem deshalb, weil die Eisbären, Großmutter, Mutter und Enkel selbst erzählen und mit ihrem Blick auf die menschliche Gesellschaft schauen. Poetisch und mythologisch geht es hier zu —und wunderbar klug-witzig. Erzählt wird ebenfalls die Reise von Moskau über die DDR bis in die Berliner Gegenwart, also auch eine Geschichte von Migration.

Fürs Wundern und Staunen:

Schnee von Maxcence Fermine (übersetzt von Monika Schlitzer) ist ein märchenhaft zartes Büchlein um den kaiserlichen Hof Japans des späten 19. Jahrhunderts. Es geht um die Kunst des Haiku und die der Malerei, es geht um die Faszination für Schnee — und um die Liebe. Eine traurig-tröstliche Novelle, die man an einem einsamen Abend liest und an die man noch lange denkt.

Fünfzig Wörter für Schnee von der schottischen Lyrikerin Nancy Campbell nimmt uns in fünfzig Erzählungen mit durch die Welt, durch die Zeit, durch die Linguistik. Schnee als Lebensgrundlage, als Quelle für Mythologie, als Faszinosum, aber auch als Naturgewalt und Gefahr, hier lernen wir ihn in seinen verschiedensten Formen kurzweilig kennen. Außerdem ist das Buch wunderschön und mit Schneeflocken-Fotografien von Wilson Bentley ein echtes Schmuckstück.

Auch Die Eulen des östlichen Eises von Jonathan C. Slaght (übersetzt von Sigrid Ruschmeier) ist wie alle anderen Bücher der Reihe Naturkunden ein unendlich schön gestaltetes Buch. Es ist der Bericht eines Forschers, der sich ganz und gar der größten Eule der Welt, dem Riesenfischuhu verschrieben hat. Eine besonders imposante, zottelige Eulenart, die in den Auenwäldern im Osten Russlands zuhause und dort tief verborgen ist, aber eben leider auch vom Aussterben bedroht. Jonathan Slaght macht sich auf die Suche nach den letzten Exemplaren dieses Vogels, durchquert dabei tausende Kilometer eisiger Landschaften und erzählt so kurzweilig davon, dass wir fast die Wolldecke von den Füßen werfen, vom Sofa aufspringen und ihm direkt folgen wollen. Zum Glück nur fast.

Für alle, die mehr wollen:

Das vorab: Ich mochte den viel zitierten und noch viel mehr für durchaus fragwürdige Bücher strapazierten Literatur muss die Axt sein - Spruch nie besonders. Anders herum liebe ich aber manchmal Literatur, die das gefrorene Meer in uns sein darf, Bücher die sich in uns festfrieren, ausdehnen und dort etwas sprengen können, Bücher die scharfe Bruchkanten hinterlassen oder die auch mal so glasklar sind, wie eisige Winterluft an einem trockenen Tag. Hier haben wir drei:

Aus den Winterarchiven von Merethe Lindstrøm (übersetzt von Elke Ranzinger) erzählt von dem inneren und äußeren Winter einer Frau, die gerade mit ihrer kleinen Familie in ein abgelegenes Haus auf dem Land gezogen ist. Verzweifelt versucht sie, ihren Halt im Schreiben zu finden, während die Liebe ihres Lebens in Depression und Suizidgedanken versinkt, wie unter einer Schneedecke.

Winterjahrbuch von Jan Wilm (den ich auch als Übersetzer von Maggie Nelson, Isabel Wilkerson oder Lydia Davis schätze) spielt ironischerweise in Los Angeles. Hier setzt sich ein Mann auf der Flucht vor sich selbst nämlich ausgerechnet mit dem Nachlass des Schnee-Fotografen Gabriel Gordon Blackshaw auseinander. Auf 450 Seiten geht es finster-existentialistisch ums Scheitern in den Geisteswissenschaften, im Leben, in der Liebe, an der Sprache — und an dieser Welt.

Ein Leuchten von Jon Fosse (übersetzt von Hinrich Schmidt-Henkel) ist ein schmales Bändchen mit einer bezaubernden und surrealen Erzählung. Wunderbar reduziert und sprachgenau folgen wir einem namenlosen Erzähler, unterwegs im Auto. Das Außen wird immer düsterer, bedrohlich dunkel, Schnee fällt auf einsamer Straße zwischen Wäldern. Dann … ein Leuchten. Diese knapp achtzig Seiten wird man lieben und feiern — oder ratlos zuklappen. Selbst im (unwahrscheinlichen) zweiten Fall hat man die Chance, in einer guten Stunde einen Nobelpreisträger-Roman gelesen zu haben. Also: Nichts zu verlieren, aber viel zu gewinnen.

Mit welchen Büchern verbringt ihr das Jahresende?

Neben vielen anderen zwischen Buchdeckeln gebundenen Plänen, wage ich mich in den Raunächten mal (wieder) an Fantasy und lese mit meinem Instagram-Lesekreis (Öffnet in neuem Fenster) Fourth Wing von Rebecca Yarros (übersetzt von Michaela Kolodziejcok).

An dieser Stelle lesen wir uns mit einem neuen Newsletter im neuen Jahr wieder. Immer am 1. Sonntag eines Monats.

Wer das freundlicherweise unterstützen möchte, ich freu mich sehr über Mitgliedschaften auf meinem Steady-Kanal. Da gibt es dann je nach Paket zwischendurch auch weitere Texte, monatliche Buchtipps, die nicht im Newsletter stehen, persönliche Buchberatungen und ganz viel Schönes für ein gutes Lesen. Die Pakete kann man auch prima verschenken.

Ich wünsche euch ein schönes Jahresende und ein gutes Lesen

Maria

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