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TEXTE VOM VORHANDENSEIN

TEIL 9: VON WEGEN

Für alle Wanderer.

Alle Gestrandeten.
 Alle verbrannten.

Alle Missverstandenen.

1.

Ich wachte auf wie nach langem Schlaf. Und vielleicht war es auch tatsächlich das. Ein Ziehen im Inneren hin zu diesem Weg.

Eine Sehnsucht dieser Spur zu folgen, die wie für mich getreten schien.

Ein Weg.

Wohl mehr ein Pfad.

Parallel zum Hauptverkehr

Und trotz steiler Thesenhügel fiel das Gehen nicht sehr schwer.

Beflügelt durch den Rückenwind,

der kontinuierlich flüsterte,

dass auf diesem Weg über allen Schlünden Brücken sind.

Beschwingte Schritte.

Mal links, dann rechts, dann sogar tanzend auf der Mitte.

Und dann erschienen die Wegweiser.

Ihre Existenz war mir bisher nicht mal bekannt gewesen. Ich konnte daher auch schwerlich behaupten, sie vermisst zu haben. Aber was man nicht kennt, kann einem ja schließlich auch nicht fehlen, so sagen sie.

In gewissen Abständen standen sie am Rand des Weges. Oft auch an Kreuzungen. Mit großen Gesten deuteten in die Richtung, in die ich weiter gehen sollte.

Ihr selbstloses Ausharren und ihre Hilfsbereitschaft rührten mich. Und so nahm ich anfangs gerne den Rat an. War ich doch fremd in diesem Land und dieser Mann war den Weg immerhin schon eine Weile vor mir entlang gegangen.

Und so war ich erschrocken und froh zugleich, als einer dieser Wegweiser mich freundlicherweise darauf hinwies, dass ich mich auf der rechten Seite des Weges halten solle. Am Rand der linken Seite gäbe es Abgründe, wahre Höllenschlünde und dazu extrem tückischen Treibsand, der nur darauf warte unvorsichtige, naive Wanderer zu verschlingen und in sein feuchtes Grab hinab zu ziehen.

Mir graute.

Hatte ich doch bereits viele Meilen auf eben dieser Seite zurückgelegt. Völlig unbewusst in welcher Gefahr ich geschwebt hatte.

Mich penibel auf der rechten Seite haltend, wanderte ich weiter. Dieses rechtslastige Wandern, so schien es mir zumindest, verlangsamte den Aufstieg beträchtlich und raubte mir so bisweilen die anfängliche Freude und Unbeschwertheit. Sollte der Wegweiser sich gar geirrt haben?

Solchen Gedanken nachhängend wurde ich erneut angesprochen. Ob mir etwas an meinem Leben liegen würde, wurde ich von einer durchaus freundlich klingenden Stimme gefragt, die augenscheinlich zu einem weiteren Wegweiser gehörte. „Natürlich“, bejate ich seine rhetorische Frage, verwundert überhaupt so etwas Albernes gefragt zu werden.

Auf meine Antwort folgte seinerseits ein Vortrag, ganz ähnlich dem seines Vorgängers. Verwirrenderweise jedoch, wies er mich seinerseits auf die Raubtiere und die Irrlichter hin, die am Rand der rechten Seite nur darauf lauerten einen erschöpften Wanderer ins Verderben zu stürzen. So wie ich liefe, wäre es jedenfalls nur noch eine Frage der Zeit bis meine Zeit abgelaufen wäre.

Am meisten verwunderte mich an seiner leidenschaftlichen Warnung aber, dass er die Gefahren auf der linken Seite für vergleichsweise gering und kaum der Rede wert zu halten schien. Durcheinander aber dankbar lies ich ihn stehen und setzte meinen Weg fort.

Unsicher setzte ich nun einen Fuß vor den anderen. Spähte mal links, lauschte mal rechts und schob mich so mühsam Meter für Meter vorwärts. Immer auf der Hut vor potenziellen Gefahren.

Derart verunsichert begann ich von da an auf dem grasbewachsenen Mittelstreifen zu laufen. Das ging sogar besser, als ich angenommen hatte. Ich kam nun wieder deutlich zügiger voran. Das Gras unter meinen Füßen fühlte sich so angenehm federnd und weich an, dass ich bald darauf barfuß bergan lief – und dieses Laufen sich hier und da sogar in ein verstohlenes Tanzen verwandelte.

So in die Schönheit des Seins, des Lebens und des Weges versunken, vergaß ich beinahe die fürchterlichen Warnungen der Wegweiser und ihre widersprüchlichen Aussagen über die Beschaffenheit des Weges. Doch aus dieser Überschwänglichkeit wurde ich heraus gerissen, als ich um ein Haar mit einem dritten Wegweiser kollidiert wäre, der mitten auf dem Weg stand. Ich bemerkte sofort, dass sein Gesicht weit weniger freundlich

aussah, als das seiner beiden Vorgänger. Und auch der Tonfall seiner Stimme verhieß keine gute Nachricht.

Feigling schimpfte er mich! Meinungslosen Strommitschwimmer, Fähnchen, das im Wind sich dreht. Kaum etwas, wäre noch schlimmer, als der, der in der Mitte geht. Unentschlossen, wo er hin will,

auf welcher Seite des Weges.

Und vom Tanzen auf dem Gras, wärs am Ende nur ein Schritt,

auf die breite Autobahn,

die krachend ins Verderben führt.

So und schlimmer ging das noch minutenlang. Und ich hab gelähmt vor Angst

in einer Pfütze voller Scham

wie angewurzelt still gestanden.

Doch als er nicht zum Ende kam, bin ich einfach weg gerannt. Über den Rand!

Egal!

Bloß weit weg von diesem Pfad,

auf dem kein Mensch je gehen kann.

Krank gerannt.

Um Richtung gerungen.

Bis alles egal war.

Ein Wald – ohne Lichtung – verdunkelt.

Und mitten im Wald verlor ich die Spur.

Und mit ihr die Hoffnung.

Ich sah sie barfuß in ihrem schönsten Sommerkleid um die nächste Kurve streifen. Doch als ich ihr nachlief und rief, sie solle warten,

weil ich so schnell nicht Schritt halten könne, hörte sie mich nicht, oder wollte mich nicht hören.

Und als ich zu der Stelle kam war sie verschwunden.

Alles Rufen vergeblich.

Verbrachte Tage damit fremde Pfade anzuklagen, weil sie mir keine Antwort gaben.

Wo habt ihr sie hingetragen?

Unermüdlich wanderte ich südlich, bis der Frühling verblüht ist.
 Ein Haus ohne Tür gibt

Raum zur Rast,

nur um zu erfahren, dass sie hier nicht angehalten hat.

Die Sommersonne lässt ihr Bild in meiner Tasche verblassen. Bis ich im Kreis pilgernd vergaß, was ich hier eigentlich mache.

Sie sagen, der Weg sei doch mein Ziel. Aber irgendwie war ich mir sicher, dass ich irgendwo ankommen will, oder bei irgendwem.

Kompass im Rucksack, der längst nicht mehr nach Norden zeigt. Und überhaupt zum Kalibrieren hab ich doch keine Zeit.

Und selbst als sie den Holzweg teerten,

gemeint jetzt ging es leicht,

kam mir jeder Schritt verkehrt vor und jedes Meer war viel zu seicht.

All die Lieder und Balladen, denen sie die Sehnsucht nahmen, bis sie selber nicht mehr ahnten von welchen wundersamen Taten sie in Wahrheit Zeugnis gaben.

Begraben unter Abenteuern, lenk‘ ich mich mit Suchen ab,

um nicht eingestehen zu müssen, dass ich dich längst verloren hab.

2.

Als ich dich fand warst du ganz kalt. Strandgut angespühlt ohne jeden Halt. Und dein zornig zartes Ankern,

hielt den Wellen wohl nicht stand.

Ich hab dich zuerst gar nicht erkannt. Eine Gestalt so sehr am Rand,
 doch dämmerte es dann,

dass ich dich wirklich wieder fand

als du zu den Liedern tanztest,

die der melancholische Melodienmaler behutsam für mich eingerahmt hatte. Du hingst sie auf an meine Wand.

Eins für jeden Raum

Und während du so emsig wirktest,

erwachte ich aus meinem Traum.

Rausgerissen durch ihr Poltern,

ihr Zerren und Ziehen an meinem Saum.

Ich soll dich einfach liegen lassen,

brüllen sie in meine Ohren,

denn nähme ich dich auf zu mir,

wäre ich verloren.

Aber ist es nicht viel eher so:
Obwohl ich dir scheinbar Wärme gab, wäre ich doch ohne dich erfroren.

Hier kannst Du Dir den Text (mit Musik) von mir gesprochen anhören:

Liebe Grüße und bleib neugierig <3

Marco

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