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Die Nacht von Lissabon

Dimitrij Schaad im Maxim Gorki Theater

(Foto via Gorki)

Ich stehe in der Einfahrt vom Maxim Gorki Theater. Es ist natürlich keine Einfahrt, sondern ein Vorplatz, den ich zum ersten Mal vor zwanzig Jahren hochfuhr. Da hat man auch schon seine Fahrräder an die Zäune gehängt und überhaupt sieht alles aus wie damals, die grünen Büsche in der Mitte und das kleine Theatergebäude mit den drei Eingangstüren, nur sehe ich nicht mehr genauso aus. Damals, als ich noch selbst mit dem Fahrrad von Moabit den Spreeweg hoch zum großen Stern und dann gleich rechts im Kreisverkehr die Straße des 17. Juni wieder runter zum Brandenburger Tor düste. Als ein Poster von Leonardo Di Caprio über meinem Bett hing und meine Mutter mit mir meckerte, wenn ich es nicht geschafft hatte, den Geschirrspüler auszuräumen. Zwanzig Jahre, da war ein Theaterbesuch etwas so fremdes für mich, eine Welt die ich betrat und fasziniert wieder verließ. Gesehen habe ich hier vor zwnazig Jahren Shakespeare und Goethe. 

Heute Abend sehe ich "Die Nacht von Lissabon" von Erich Maria Remarque, inszeniert von Hakan Savaş Mican. Zusammen mit Clint, der noch nie im Gorki Theater war. Da drüben stand eine Weile ein Container, der sich Studio nannte, eine zweite Spielstätte neben dem Hauptgebäude, erkläre ich und zeige auf die übriggebliebene Baustelle. Noch eine Zigarette, noch einen Schluck Sekt. 

Wir wuseln uns durch zum oberen Rang und da sitze ich also zwanzig Jahre später, aufgeregt hier zu sein, der Bauch fühlt sich schön an. Da kommt auch schon Dimitrij Schaad lässig auf die Bühne gelaufen, das Licht ist noch überhaupt nicht aus. Er begrüßt das Publikum mit echtem Namen, zieht sein T-Shirt aus und wundert sich breitgrinsend über den Applaus über seinen behaarten Oberkörper, mit dem er gerechnet hat. Er hat natürlich schon längst angefangen zu spielen. Und wir sollen ihm dabei zusehen, wie er die nächsten zwei Stunden als Josef Schwarz durch Europa tigert. Plötzlich kommt eine Band auf die Bühne. Und Anastasia Gubareva, die ein kleines Volkslied wunderschön traurig auf russisch oder ukrainsch singt. 

1942. Josef und Helen sind ein Emigrantenpaar auf der Flucht vor der Gestapo. Von Osnabrück über Zürich und Paris bis nach Lissabon. Josef musste breits vor fünf Jahren seine Frau und seine Stadt verlassen. Verraten als Regimegegner vom eigenen Schwager. Die Sehnsucht nach seiner Frau zieht ihn zurück, zieht durch den gesamten Theatersaal, wenn er dann endlich vor ihr steht. All die Angst, die Paranoia, die Nervösität steht zwischen ihnen und dann nähern sie sich, bis nichts mehr zwischen ihnen steht. Für ein kleinen Moment. Da kann man nicht anders als tief einatmen, weil man schon ahnt, der Riss wird wieder kommen. Und er kommt laut. Und Dimitrij Schaad wütet, er weint, er schreit, er schlägt. Er spielt zwei Rollen aufeinmal udn er könnte vermutlich zehn Rollen gleichzeitig spielen. Immer im Wechsel zwischen dem Ungeheuer und dem Verzweifeltem. Wie bloß macht er das? Lange geht das so. Ich schaue kurz rüber zu Clint, wenn Dimitrij Schaad sich als nächstes selbst verprügelt, am Boden liegt und eine Blutspur hinter sich herzieht, von der man ja eigentlich weiß, sie ist Spielblut, nicht echt, nur rote Farbe, aber man sich selbst plötzlich auch den Bauch hält, als liefe gleich alles Leben aus einem heraus. Vor zwanzig Jahren, denke ich, habe ich das Leben ja noch gar nicht richtig gespürt. Zu Clint will ich etwas sagen, ich hatte ihn schließlich schon angeschaut. Vielleicht sage ich es ihm später. Vielleicht aber auch niemals. 

Das Stück ist vorbei und ich bin froh, dass Clint aufsteht, sonst säße ich da die ganze Nacht nämlich mit ihm. Wir torkeln die Treppe runter. Was für ein Inszenierung, was für Schauspieler, die Musik!, was für ein Abend. Seit zwanzig Jahren gehe ich ins Theater und weiß ganz genau, warum ich es so sehr liebe. 

Anmerkung der Redaktion: Premiere war am 11. Januar 2019, weitere Infos hier (Öffnet in neuem Fenster)

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