Zum Hauptinhalt springen

Die Bücher meines Lebens 

Teil 1

Letzten Monat wurde ich vom Oetinger Verlag nach Hamburg eingeladen, um die Bücher meines Lebens vorzustellen. Da ich diese Woche 36 Jahre alt geworden bin und ein sentimatles Gemüt habe, wollte ich die Titel gerne genauer vorstellen. Ich muss natürlich sagen, dass es ein wahnsinniges Unterfangen ist, sich für 9 Bücher zu entscheiden. Aber sie führen ganz gut durch die Jahre, den Stationen, an denen ich so Halt gemacht habe. 

Deswegen hier: Die Bücher meines Lebens!

Das Tagebuch der Anne Frank

Viele Bücher haben mich inspiriert, aber ich kann alles, was mein Schreiben betrifft, auf Anne Franks Tagebuch runterbrechen, weil es dazu führte, dass ich mir ein leeres Büchlein bei Nanunana kaufte und fortan meine Gedanken flüchtig hineinwarf. Etwas an Anne Franks Erzählweise ergriff mich, die Art wie sie ihr Umfeld beschreibt. Es gibt eine Liste, die sie über ihre Klassenkameraden führt, Lästerein muss man sagen, die mir ausgesprochen gut gefielen. Ich ging ebenfalls alle Namen in meiner Klasse durch, hatte ebenso wenig Hemmungen in meinem Urteil und vielleicht war es das erste Mal, dass ich von mir auf andere schaute.

Aus Aufrappeln, letzte Woche aufgeschrieben:

„Mein Tagebuch wurde zu einem therapeutischen Werkzeug, irgendwie intuitiv zu einem Schiff, das in einem großen Meer des Erwachsenswerdens trieb, in dem ich nicht verloren gehen wollte. Ich glaube sogar, es machte mich widerstandsfähiger. Das Durcheinander in meinem Kopf ließ sich zähmen. Nach jeder geschriebenen Seite konnte ich beruhigt mein Zimmer verlassen, die Paulstraße runterlaufen und rausfinden, wer ich sein konnte.“

 Mein linker Fuß von Christy Brown

Ich war nie gut in der Schule. Und ich hatte nie Ambitionen dies zu ändern. In Mathematik und Chemie schlief ich regelmäßig in der letzten Reihe. Generell hätte ich die Oberstufe am liebsten verschlafen. Kurz vor dem Abitur las ich, wie Christy Brown sich durchs Leben kämpft. Wie er, fast vollständig gelähmt, es schafft Maler zu werden, weil er den Pinsel zwischen den Zehen seines linken Fußes hält. Und ich sollte nicht mein Abitur schaffen? Also lernte ich wie noch nie zuvor in meinem Leben, beschwingt von den Gedanken an Christy Brown, der schließlich, mit einer für ihn gefertigten Schreibmaschine, Schriftsteller wurde. Ich kann das! Und ich konnte. Nicht sehr gut, eigentlich sehr schlecht, aber oh Wunder, ich bestand mein Abitur.

Die Leiden des jungen Werthers von Johann Wolfgang von Goethe

Als wir den Werther in der Schule durchnahmen, passierte in meinem dummen Schädel rein gar nichts. Ich verstand den Text einfach nicht. Dann gingen wir 2006 mit der Klasse ins Gorki Theater. Die Leiden des jungen Werthers mit Fritzi Haberlandt als Lotte. Unsere Aufgabe war es, eine Theaterkritik zu verfassen. Ich schrieb sie noch am selben Abend. Es war das einzige Mal, dass Frau Meyer etwas von mir las und nicht mit einer schlechten Note abstrafte. Ich bekam 15 Punkte für meine Kritik. Potzblitz! Ich bin an die Decke gesprungen. Die Bühne hatte mir etwas offenbart, was mir der Text verwehrt hatte. Ich empfand mich damals als dumm. Die allermeiste Zeit meines Lebens, dachte ich eigentlich so. Und das ist wirklich eine traurige Aussage, die man über sich selbst treffen kann. Aber ist es nicht auch ein guter Motor? Brumm, brumm. Ich bin dumm, aber ich möchte etwas verstehen. Zwei Jahre nach meinem Abitur nahm ich mir den Werther noch einmal vor. Und drei Jahre später las ich ihn erneut. 

Die Ausgabe, die ich habe, ist immer noch die aus dem Deutschunterricht. Eine grüne Broschur, mit dem jungen Goethe vorne drauf, erschienen in der Suhrkamp Basis Bibliothek. Ein Schulstempel ist drin. Einmal habe ich MDMA im Werther versteckt, das ich zu einem Festival in meinem BH geschmuggelt hatte, mich aber nicht traute es zu nehmen, es also wieder zurück in meinem BH nach Hause schmuggelte und dann nicht wusste, was ich damit nun anfangen sollte. (Fiel mir grad nur wieder ein.)

Verstand und Gefühl von Jane Austen

Mit 14 sah ich spät abends eine Verfilmung von Jane Austen. Auf RTL2 in der Wiederholung. Sinn und Sinnlichkeit mit Kate Winslet und Emma Thompson von Ang Lee. Alle schliefen bereits. Die beiden Schwestern Elinor und Marianne stehen im Gegensatz zueinander. Elinor ist vernünftig und sachlich. Marianne ist romantisch und sentimal, immer angestachelt von ihren Gefühlen. Wie kommt man besser durch? Bis dahin hatte ich eine/keine Ahnung, dass ich eine Marianne war, die eine Elinor sein wollte. Es machte Klick.

Die Vereinbarkeit von Rationalität und Emotionalität ist damals wie heute eine Herausforderung für mich. In den nächsten Tagen ging ich zu Hugendubel in die Tauentzienstraße und suchte nach Verstand und Gefühl. Ich griff nach dem Buch, erstes Regal, die dritte Reihe von oben, ich musste mich strecken. Eine Mitarbeiterin ging in diesem Moment durch die Tür neben dem Regal, die Tür schwang weit auf. Es knarzte. Und plötzlich stach ein Plakat mir direkt in die Augen. Darauf stand: „Wir suchen Auszubildene!“

Ein paar Jahre später ging eine Bewerbung raus. Ich wurde Buchhändlerin. Bis heute verehre ich Jane Austen, kenne jedes Buch und jede Verfilmung. Emily Brontë, Charlotte Brontë, Charles Dickens, Elizabeth Gaskell. My cup of tea.

Die lyrische Hausapotheke von Dr. Erich Kästner

Wahrscheinlich zog ich auch deswegen irgendwann mit Mitte Zwanzig nach Großbritannien. Jane Austen, die königliche Familie und hellweiße Klippen. Englische Pubs und ein charmant klingender Akzent. Eier, Bacon und Baked Beans zum Frühstück. Großbritannien ist mein Sehnsuchtsort. Das einzige Buch, welches ich von zu Hause dorthin mitnahm: Erich Kästners Die Lyrische Hausapotheke. Und nicht nur dorthin. Meine Ausgabe hat schon viel von der Welt gesehen. War mit mir zusammen auf dem Jakobsweg, in Jerusalem und im Jobcenter in der Rudi-Dutschke-Straße. Wir sind zusammen die gesamte Ostseeküste Australiens einmal hoch und einmal wieder runtergereist. Ich würde wirklich niemals gehen, ohne es nicht mitzunehmen. Spendet es doch Trost, wie vielleicht kein anderes Buch es kann.

Liebe Leser und Leserinnen,

das war der erste Teil. Der zweite folgt in Kürze. Mein Geburtstag war außerordentlich schön. Ich verbrachte den halben Tag mit dem Jungen im Bett. Irgendwann kam Clint, um uns abzuholen. In seinen Händen ein großer Strauß Blumen und zwei Bücher, eingewickelt in rosa Geschenkpapier mit Einhörnern drauf. Unter seinem Arm ein Promo-Plakat mit ihm drauf, was ich so unbedingt haben wollte. Wir gingen in ein Restaurant, wohin ich ein paar Leute eingeladen hatte. Meinen lieben Freund Chrysch und seine Freundin Bahar. Noch mehr Blumen. Seb kam ganz überraschend vorbei, worüber ich mich sehr freute. Constanze mit ihrem Eliot, die ein 3D-Puzzel dabei hatten. Peter natürlich. 

Wir haben uns dann ein Taxi nach Hause gegönnt. Der Junge, Clint und ich. Es war alles ganz wunderbar. 

Liebst Judith

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von Kulturspalte Judith Poznan und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden