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Zum Einschlafen ne Doku

arte screeshot

Was waren die letzten Wochen schon wieder anstrengend. Ich hatte viele gute Gründe, das Tempo rauszunehmen und mich abends der Kälte und Viren zu ergeben. Folgendes …

Ich fütterte das Hirn mit Dokus.

Dokus sind großartig. Wissen und Unterhaltung in einem. Nach Jahren scrollte ich mal wieder das Angebot von arte.tv, denn wie ich mich erinnerte, war das vor Netflix eine gute Hausnmmer für Doku-Liebhaberinnen wie mich. Kunst und Kultur, Natur, Geschichte, Politik. Die wichtigsten Ereignisse in einer Stunde aufbereitet, vielen Dank! Meine erste Wahl fiel auf den Eiffelturm. Denn was weiß ich schon über den Eiffelturm? Nichts, rein gar nichts. Also klick. Der Eiffelturm - Geschichte einer Ikone (Öffnet in neuem Fenster). Benannt ist der Eiffelturm nach demjenigen, der ihn entworfen hat, ein Ingenieur namens Gustav Eiffel. Wie gut man sich fühlt, wenn man sowas plötzlich weiß. 34 Jahre war der Eiffelturm der höchste Turm der Welt. Das kann ich doch sehr gut beim Verspeisen einer Weihnachtsgans erzählen. “Es war ja damals ein Kampf zwischen Stein und Eisen”, könnte ich dann noch hinzufügen. “Ein einzelner Ingenieur hat sich 1887 den Architekten widersetzt.” Irgendwer sagt dann bestimmt “Ach!” oder “Sehr interessant!” und ich nicke dann ganz zufrieden über mich selbst.

Vielleicht lege ich bei einer Weihnachtsfeier meinen Kopf schräg zur Seite und sage “Ich glaube, die Maria Magdalena in Ekstase ist von Caravaggio (Öffnet in neuem Fenster).” Viele Beweise sprechen doch dafür. Eine unfassbar spannende Doku. Man stelle sich vor, man entdecke ein wichtiges Bild auf dem Dachboden, so wie eine Familie in Italien, also die Frau guckte zufällig in ihrem Haus rum und fand ein Bild, das alle seit 400 Jahren suchen. Nach Schätzungen ist das Original 50 Millionen Euro wert. Die Historikerin, die sich hauptberuflich mit alten Listen beschäftigt, hat mir besonders gut gefallen. Im Archiv sitzen, einen Zettel ins Licht halten, der am Bild hinten befestigt war, über die Signatur rätseln, irgendwo hinfahren und in alten Büchern nachschlagen, ob jene Inventarliste von so und so zum Zettel passen könnte. An dieser Stelle machen alle mit Glühwein in der Hand sicherlich große Augen.

Ich bin ja vielseitig interessiert und klicke auch auf sowas wie Legendäre Grand Hotels (Öffnet in neuem Fenster). Wobei mich die ersten Minuten im La Mamounia in Marrakesch nicht sehr gepackt haben. Trotz berühmter Gäste wie Yves Saint Laurent und Winston Churchill. Die ganze Zeit über hat mich gewurmt, ob die Sprecherin der Reihe Heike Makatsch sein könnte. Ihre Stimme, klar und auch ein bisschen kratzig, erkenne ich doch eigentlich sofort. In der Beschreibung steht ihr Name aber nicht. Nach zehn Minuten habe ich die Doku abgebrochen. Nicht wegen Heike Makatsch (also vielleicht), sondern weil ich nicht in Stimmung für Luxushotels war. Ich habe es dann noch mit der Vasa (Öffnet in neuem Fenster)probiert. Das schwedische Kriegsschiff, wahnsinnig teuer und wahnsinnig modern, das, kurz nachdem es abgelegt hatte, im Stockholmer Hafen aus mysteriöse Weise sank. Wir sprechen von 1628 und 1000 Metern Fahrt. Das Wasser war so niedrig, dass der Mast noch aus dem Wasser rausgeguckt hat. Ebenfalls abgebrochen. Ich werde vielleicht nie erfahren, warum das Schiff gesunken ist. Die Verhandlung mit mir selbst hat ergeben: Ich kann damit leben.

Eine Doku, die sich wirklich überall nacherzählen lässt, wo es nach Zimt riecht, fällt schon wieder in das Thema Kunst. Ähnlich wie die Caravaggio-Doku zieht ein anderer Künstler einem regelrecht die Augenbrauen hoch. Vielmehr die Schwägerin des Künstlers. Klick. Johanna van Gogh-Bonger (Öffnet in neuem Fenster). Van Gogh also. Ein zu Lebzeiten nicht geachteter Künstler, einer mit zu grellen Farben, komischen Formen, überhaupt einer, der die Schminke viel zu dick aufträgt. So haben sie es gesagt. Und dann stirbt Vincent van Gogh und ein halbes Jahr später sein einziger richtiger Fan, sein Bruder Theo. Die Bilder, hunderte inklusive hunderter Briefe, gehen in den Besitz seiner Schwägerin über, die fortan dessen Nachlassverwalterin ist.

Eine Stelle in Johanna van Gogh-Bongers Tagebuch 1891, klassische Musik wird gespielt und ein Foto von ihr gezeigt. Man hört eine Frauenstimme sprechen (ganz sicher nicht Heike Makatsch):

18 Monate lang war ich die glücklichste Frau der Welt. Als ich jünger war, sagte ich stets: Lieber ein Jahr intensiven Glücks, als kleine Momente über ein ganzes Leben verteilt. Mein Wunsch wurde erfüllt. Ich hatte mein großes Glück, nun bleibt mir die Pflicht.

Anmerkung der Redaktion: Stimmen Sie zu?

Jetzt also eine 28-jährige Witwe mit Kleinkind und dem Auftrag ihres Mannes: Mach den Vincent weltbekannt. Es ist eine unglaubliche Geschichte, wie Johanna van Gogh-Bonger sich unermüdlich in der männlichen Kunstwelt behauptet hat, bis alle richtig hingeguckt haben. Hier bietet sich der Satz an: “Ich sag’s dir, ohne Johanna Bonger hätte Vincent van Gogh keinen Erfolg gehabt!” Vielleicht schlage ich zum Nachdruck mit der Hand auf den Tisch oder so. Vincent van Gogh wurde jedenfalls posthum zum Genie erklärt, ja, ja. Anerkennung hat Johanna van Gogh-Bonger für ihre Arbeit nie bekommen. Ihr Name fand in keinem Ausstellungskatalog Erwähnung. Erst mit der Veröffentlichung ihres Tagebuchs wurde ihre Rolle berücksichtigt. Die Doku hat einen sehr hübschen Titel, wie ich finde. Van Gogh - Zwei Monate und eine Ewigkeit.

Meine lieben Leser und Leserinnen,

einen Weihnachtsbaum habe ich besorgt. Der erste in meinem Leben. Dieses Jahr wollte ich unbedingt vorweihnachtliche Stimmung für den Sohn und mich. Letztes Weihnachten waren wir wegen Corona ganz alleine, der Tischschmuck holte mich nicht mehr ab, der Zahnarzt sagte, ich brauche eine Wurzelbehandlung, zudem wartete ich auf eine Jobzusage, also beschloss ich, wir brauchen einen Weihnachtsbaum, nahm eine kleine Tanne vom Blumenladen auf die Schultern und schlitterte damit wie meine Lieblings-Meg-Ryan in E-Mail für dich die Straße runter. Am liebsten wollte ich allen fröhliche Weihnachten zurufen, so glücklich war ich plötzlich. Zuhause war meine kleine Tanne schließlich sehr viel größer als eingeschnürt vorm Blumenladen berechnet. Überall Nadeln in wenigen Minuten. Ein Möbelstück musste umgestellt werden und steht jetzt ungünstig im Eingangsbereich. Ich verbuchte die Aktion als dämmlich. Wo soll ich denn mit dem Baum in drei Wochen hin? Warum denke ich erst jetzt darüber nach?

Und trotzdem.

Mit besten weihnachtlichen Grüßen

Judith

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