Fröhliche Emotionen
Als ich mich für die Fortbildung zur Schreibpädagogin angemeldet habe, wollte ich Kurse geben, in denen Menschen, die normalerweise nicht aufgefordert werden, sich zu Wort zu melden, das Schreiben ausprobieren.
Ich hatte zuvor über „Morgenseiten“ und Journaling erlebt, wie erholsam es sein kann, Ärger, Hoffnungen und Enttäuschungen aufzuschreiben. Journaling sieht in Sozialen Medien allerdings wie eine besonders aufwändige Form des Tagebuchschreibens aus, mit teuren Notizbüchern und Brush Lettering. Das muss nicht sein. Mir scheint es sogar kontraproduktiv, denn aus Angst, das teure Notizbuch oder den Stift zu ruinieren, verzichtet man lieber gleich auf das Schreiben.
Für den Abschluss der Fortbildung musste ich eine Kurseinheit von sechs Stunden konzipieren. Da ich angenommen hatte, dass man sich dem Schreiben über das eigene Empfinden nähern kann, wollte ich „irgendetwas mit Gefühlen“ machen. Bei einem Frühstück pitchte ich meine Idee noch halbgar einer Freundin und hätte nach Ende meiner Ausführungen am liebsten selbst die Augen gerollt. Zu pathetisch, zu schmalzig war es unterwegs geworden.
„Gefühle zu haben bedeutet Gefühle zu haben, sie sind im höchsten Maße wie im buchstäblichen Sinne bemerkenswert, aber keine Handlungsanweisung.“ Jean-Philippe Kindler, Scheiß auf Selflove, gib mir Klassenkampf
Das Gute am Schreiben ist: Am Anfang steht die Recherche und das kann alles sein – Bücher, Podcasts, Filme, Reisen… Ich tippte „wichtigste Gefühle“ in die Suchmaschine und lernte, dass „Gefühle“ nur ein Teil von Emotionen sind, obwohl wir die Wörter im täglichen Sprachgebrauch synonym verwenden.
Was eine Emotion ist, scheint nicht klar definiert. Prof. Dr. Ursula Hess von der Humboldt-Universität zu Berlin stellt im Einführungsband Allgemeine Psychologie II. Motivation und Emotion fest:
„Zwei Merkmale von Emotionen sind unumstritten. Zum einen haben sie immer ein Objekt. (…) Zum anderen sind Emotionen von kurzer Dauer.“ Ursula Hess, Allgemeine Psychologie II. Motivation und Emotion
Das unterscheide, so Hess, Emotionen von Emotionsepisoden. Bei Emotionsepisoden könne eine Emotion über einen längeren Zeitraum erlebt werden, streng genommen wechsele sie sich jedoch mit anderen Emotionen ab. Beispielsweise können Menschen, die um jemanden trauern, zwischendurch Emotionen wie Wut oder Freude erleben.
„Wichtigste Gefühle“ werden in der Psychologie als Basisemotionen bezeichnet. Wie viele es sind, hängt davon ab, welche Herangehensweise für die Betrachtung die Wissenschaftler:innen wählen.
„Nach Ekman sind Basisemotionen Emotionen, für die es universelle prototypische Gesichtsausdrücke gibt.“ Ursula Hess, Allgemeine Psychologie II. Motivation und Emotion
Das heißt, dass Menschen auf der ganzen Welt Basisemotionen ähnlich zeigen und interpretieren. Paul Ekmans Liste beinhaltet die Emotionen Wut, Verachtung, Ekel, Freude, Angst, Trauer und Überraschung. Ich gebe zu, für meine Kursreihe hätte ich mir eine fröhlichere Auswahl gewünscht. Ich möchte, dass die Teilnehmer:innen in sich gehen und durch das Schreiben gestärkt zurückkommen, nicht mit einer Verstimmung. Andererseits können und müssen auch negative Emotionen schriftlich verarbeitet werden.
Einer der eindrücklichsten Texte zu Emotionen, den ich bisher gelesen habe, war der Essay „Vom Nutzen der Wut: Wie Frauen auf Rassismus reagieren“ von Audre Lorde in der Sammlung Sister Outsider. Darin formuliert die Schriftstellerin einen Aufruf an Frauen, der aber im Grunde für alle gelten kann: sich mit der eigenen Wut zu befassen, zu lernen, diese Emotion von anderen (etwa Angst) zu unterscheiden und sie konstruktiv einzusetzen, weil Wut eine angemessene Reaktion auf gesellschaftliche Missstände sei.
„Wenn wir unsere Wut verdrängen, gelangen wir niemals zu einer Einsicht.“ Audre Lorde, Sister Outsider
Vielen Dank, dass du mitliest, und bis in zwei Wochen.
Kristina
Was andere machen
Über einen Beitrag in der Kulturzeit bin ich auf die Musik von Raye gestoßen, der Song Escapism läuft seitdem auf Repeat. Hier als Performance bei den Brit-Awards (ab Min. 3:15).
https://www.youtube.com/watch?v=OiKbKRcsBCw (Öffnet in neuem Fenster)> zum Kulturzeit-Beitrag (Öffnet in neuem Fenster)
Während ich versucht habe, mich für die Oscar-Liveübertragung wach zu halten, um dann doch nach zwei Kategorien einzuschlafen, habe ich das Buch Die Zeit für Mut ist jetzt! von Lea Bonasera, Mitgründerin der Letzten Generation, durchgelesen. Zu manchen Thesen möchte ich mir noch Gedanken machen, aber für ein Herantasten an das Thema „ziviler Ungehorsam“ scheint mir das Buch sehr geeignet. > zum Buch (Öffnet in neuem Fenster)