Zum Hauptinhalt springen

Sätze, die tragen

Von den Auftritten des Kabarettisten Hagen Rether gibt es so gut wie keine verwackelten Aufnahmen in sozialen Netzwerken, weil er das Publikum bittet, ihn auf der Bühne nicht zu filmen. Offizielle Mitschnitte aus Fernsehshows gibt es ebenfalls kaum. Trotzdem habe ich ein paar vergebliche Minuten lang nach einem Video gesucht – ich bin gescheitert. Ihr müsst mir glauben, dass es sich so oder so ähnlich zugetragen hat.

Im besagten Video listet Rether die kleinen und großen Katastrophen unserer Zeit auf und hält sich den Kopf. Als einigermaßen motivierter Gutmensch ist man angesichts der Trostlosigkeit in seiner Rede bald enttäuscht, denn Rether gilt nicht als politikverdrossen. „Mein Gott, was jetzt? Hinlegen und eingehen?“, fragt man sich, aber da richtet sich der Kabarettist schon auf und spricht über Holocaust-Überlebende, die seit Jahrzehnten und bis ins hohe Alter hinein, Vorträge über Verbrechen im Nationalsozialismus an Schulen halten, weil sie den Glauben an diese Gesellschaft nicht verloren hätten. Darauf steht Rether auf, knöpft sein Jackett zu und fragt: „Wer bin ich, dass ich resigniere?“

Ein Satz, der trägt.

Köln, Mai 2021 © Kristina Klecko

Womit bist du gescheitert?

Zu meinen liebsten Podcasts gehört, wie bereits erwähnt (Öffnet in neuem Fenster), Piratensender Powerplay mit Friedemann Karig und Samira El Ouassil. Ja, die beiden gleiten in ihrer Argumentation manchmal zu sehr in die Theorie ab und ja, sie bewegen sich verbal zuweilen weit außerhalb von Alltagssprache. Was mir an der Sendung trotzdem gefällt: Sie versuchen sich an Themen, über die gesprochen werden muss – auch wenn sie keine Lösung haben, vielleicht nicht einmal eine feste Meinung zum Sachverhalt, sie bemühen sich um Wahrheit.

Zu den guten Sätzen, die ich über die Jahre im Podcast aufgeschnappt habe, gehört die Frage „Womit bist du gescheitert?“ von Friedemann Karig. In der Folge ging es um Entmutigung und Politikverdrossenheit. Darum, wie schnell wir glauben, alles sei hoffnungslos, nichts ändere sich, nichts könne man bewirken. Darum, wie wir anderen reflexartig beipflichten, wenn sie das sagen.

Ich weiß, ich habe das gedacht, gesagt und getan.  

„Womit bist du gescheitert?“ Diesen Satz richtet Karig nach eigener Aussage mit voller Ernsthaftigkeit an seine Gesprächspartner:innen, wenn diese alles infrage stellen. Wer mit gleicher Ernsthaftigkeit antworten möchte, merkt schnell: Eigentlich noch nicht mit viel, vielleicht ist es doch nicht so hoffnungslos.

Ein Satz, der trägt.

Du schreibst, was du schreiben musst

Seit fast einem Jahr sitze ich Tag für Tag am Schreibtisch. Ich schreibe, ich überarbeite. Bei keinem meiner bisherigen Jobs habe ich so viel Verschnitt produziert. Ideen, die ich nach der Recherchephase verworfen habe, Romananfänge, aus denen nichts wurde, Kurzgeschichten oder Essays, die es nie über die Rohfassung geschafft haben…

Ich mag das.

Ich frage mich regelmäßig, ob die Überarbeitung final ist, ob den Text irgendjemand irgendwann lesen wird, ob ich besser über etwas anderes hätte schreiben sollen, ob es klug ist, ob ich das schreiben darf… Ob ich mich wirklich mit dieser Idee abmühen möchte – die nächste Stunde, die nächsten Monate, die nächsten Jahre… Wofür überhaupt, wenn es so viel Wichtigeres gibt, wenn immer weniger Menschen lesen und…

Das mag ich nicht.

Wenn die Gedanken einen Strudel formen und unproduktiv werden, zwinge ich mich, an einen Text von Karosh Taha zu denken, in dem sie ihre Freundin und Autorin Rasha Khayat zitiert:

„Du schreibst, was du schreiben musst. Es ist zu viel Arbeit, um Kompromisse einzugehen.“, Karosh Taha, „Was mache ich hier? Eine Rechtfertigung“ in Brotjobs & Literatur

Ein weiterer Satz, der trägt.

Wir brauchen solche Sätze und glücklicherweise gibt es viele davon.

Welche sind deine?

Danke, dass du mitliest, und bis in zwei Wochen.

Kristina

Gern gelesen?

Vielen Dank, dass du mein Schreiben unterstützt.

Termine

💻 Kreatives nichtfiktionales Schreiben entdecken. Eine Einführung |Online Live-Schreibkurs | Do, 09. Januar 2025, 19-20:30 Uhr, 37€ (inkl. 19% MwSt.)

Alle Termine unter www.kristina-klecko.de/schreibkurse.

Was andere machen

Heute etwas fürs Tanzbein, immerhin haben wir Freitag.

https://www.youtube.com/watch?v=vrjad-k-eeo (Öffnet in neuem Fenster)

In der Arte-Mediathek findet sich diese schöne Doku über späte Entdeckung kreativer Leidenschaften. 🔗 ansehen (Öffnet in neuem Fenster)

In den Podcast Piratensender Powerplay 🔗 reinhören (Öffnet in neuem Fenster).

Was noch?

Seit November gibt es auf meinem Steadyblog eine neue Kategorie – Romansuche. Immer am ersten Tag eines Monats schreibe ich über Fortschritte und Rückschläge auf der Suche nach meinem Debütroman. 🔗 reinlesen (Öffnet in neuem Fenster)

In der Literaturzeitschrift Mosaik43 ist meine Geschichte 100 Meter erschienen. 🔗Zeitschrift ansehen (Öffnet in neuem Fenster)

Für den Blog von Susanne Kleiner, wortwörtlichwirken, habe ich geschrieben, wie die Essays für diesen Newsletter entstehen. 🔗 lesen (Öffnet in neuem Fenster)

Archivblick
Kategorie Essays