Nolte Notizen | 25. November 2022
Liebe KLup-Freund:innen,
eine stürmische Woche geht zu Ende. Am vergangenen Freitag hatte ich an dieser Stelle schon einige Ahnungen darüber geschrieben, wie es beim Ad-Limina-Besuch der deutschen Bischöfe zugegangen sein ist. Am Tag darauf berichtete Bischof Georg Bätzing als Vorsitzender der Bischofskonferenz von der Forderung Roms nach einem Moratorium für den Synodalen Weg.
Wie zu hören ist, muss der Protest nicht zuletzt von Bätzing und Kardinal Marx recht deutlich ausgefallen sein - von der Mehrheit der Bischöfe letztlich auch. Offenbar haben sich die Kurienkardinäle erst durch den Hinweis eines Besseren belehren lassen, dass bei einem (vorläufigen) Stopp des Reformprojekts die Austrittszahlen in Deutschland explodieren würden.
Es ist erstaunlich, dass der Vatikan auf solche Konsequenzen ihres vermeintlichen Handelns hingewiesen werden muss. Es ist nicht minder erstaunlich, was die Kardinäle Ladaria (Dikasterium für die Glaubenslehre) und Ouellet (Dikasterium für die Bischöfe) in ihren Einlassungen bei der besagten "interdikasteriellen" Begegnung unseren Bischöfen ins Stammbuch geschrieben haben (Öffnet in neuem Fenster).
Ladaria etwa rügte, die Texte des Synodalen Wegs würden die Kirche "auf eine bloße Machtinstitution reduzieren oder sie von vornherein als eine strukturell Missbrauch hervorbringende Organisation betrachten, die so schnell wie möglich unter die Kontrolle von Oberaufsehern gebracht werden muss".
Zum einen stimmt das in dieser verengten Sicht schlicht und ergreifend nicht, zum anderen scheint im Vatikan tatsächlich nicht angekommen zu sein, dass die Forscher der MHG-Studie von 2018 zu Missbrauch in der katholischen Kirche (Öffnet in neuem Fenster) exakt nachweisen konnten, dass es sehr wohl strukturelle Dispositionen der Kirche gibt, die Missbrauch ermöglichen, begünstigen - und letztlich vertuscht haben.
Mit ähnlicher Schärfe wandte sich Ladaria gegen die Sexuallehre in den Synodal-Texten. Sie erweckten den Eindruck, als ob auf diesem Gebiet der kirchlichen Lehre alles geändert werden müsse. Für diese Äußerungen Ladarias gilt letztlich dasselbe.
Es ist erschreckend deutlich: Nicht die Betroffenen sexuellen Missbrauchs durch Geistliche sind im Blick - ein heilvoller Perspektivwechsel, der bei den Verantwortlichen der katholischen Kirche in Deutschland mühsam gelernt werden musste und mitunter immer noch gelernt werden muss -, sondern die Lehre und Verfasstheit der Kirche. Exakt das ist das Problem. Wichtig: Hier geht es deshalb keinesfalls rundum um die Fundamente des römisch-katholischen Glaubens. Es geht um ein Kirchenverständnis, dass sich selbst verpflichtet hat, die Zeichen der Zeit zu erkennen - und darin womöglich eine göttliche Botschaft.
Ouellet schließlich nahm sich nicht zuletzt die Forderungen des Synodalen Wegs vor. Es entstehe der Eindruck, sagte er, dass die Missbrauchsfälle "ausgenutzt wurden, um andere Ideen durchzusetzen, die nicht unmittelbar damit zusammenhängen". Und weiter: "Es scheint uns, dass wir vor einem Projekt der 'Veränderung der Kirche' stehen und nicht nur vor pastoralen Neuerungen."
Ouellets Rede schließlich gipfelte in der Festellung, dass Inhalte des Synodalen Wegs "die Gemeinschaft der Kirche verletzt, weil er Zweifel und Verwirrung unter dem Volk Gottes sät".
Das sind exakt die Argumente, die von äußerst konservativen Teilnehmenden des Synodalen Wegs immer wieder bemüht werden. Aber sie sind und bleiben gleichwohl Unterstellungen, meines Erachtens auch Beleidigungen der Betroffenen sexuellen Missbrauchs - und ignorieren schlichtweg wissenschaftliche Erkenntnise etwa der MHG-Studie zu Missbrauch begünstigenden Faktoren, die es so ausschließlich in der katholischen Kirche gibt. Darüber hinaus: Zweifel und Verwirrung unter dem Volk Gottes säen ganz andere ...
Insofern muss man sagen: Hut ab davor, dass unsere Bischöfe standhaft geblieben sind. Mir drängt sich zunehmend die Erfahrung vor, während und nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil auf. Schon da war es immer wieder die Kurie, die - nicht zuletzt bei der Diskussion über die Lehre der Kirche - die Bremser par excellence war. Es waren letztlich - soweit meine kirchengeschichtliche Kenntnis reicht - vor allem die Bischöfe aus den Bistümern der Weltkirche und ihre theologischen Berater, übrigens nicht zuletzt aus Deutschland und Frankreich -, die Reformen vorangetrieben haben.
Insofern wird es spannend und wichtig sein, ob und wie die Bischofskonferenzen der Weltkirche die verbleibende Zeit nutzen, um Koalitionen zu schmieden, um Argumente zu schärfen, um Strategien zu entwickeln und überzeugen zu können. Dass die angeblich deutschen Themen keine nur-deutschen Themen sind, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Ebenso bekannt ist, dass es theologische Kompetenz durchaus auch unter Bischöfen und in der wissenschaftlichen Theologie geben soll - und nicht nur in Rom.
So, und nun wird Advent. Einerseits eine ruhige, besinnliche Zeit, die sich auf den ausrichten mag, der da kommen will. Nicht nur einmal, damals vor 2000 Jahren. Nicht nur dereinst, am Ende der Zeiten. Sondern heute. Jetzt. Hier bei uns. Er will zur Welt kommen. Voller Leben, voller Segen, voller Befreiung aus Angst und Enge, Dunkel und Verschleierung, Übermacht und Gewalt, Verhärtung und Tod. Es komme das Leben. Willkommen!
In der kommenden Woche erlaube ich mir, einige Tage der Erholung zu nehmen. "Noltes Notizen" machen dann Pause.
Euch einen wunderbaren, gesegneten Advent und herzliche Grüße!
Guet goahn
Markus Nolte (Chefredakteur Online)