Populismus als politische Methode
Friedrich Merz, der Bundesvorsitzende der CDU, steht derzeit im Zentrum der politischen Diskussion. Was als harsche Rhetorik zur angeblichen „Migrationskrise“ und seinem “Zustrombegrenzungsgesetz” begann, entwickelte sich zu einem Alleingang, der sowohl innerhalb seiner eigenen Partei als auch in der breiten Öffentlichkeit für Stirnrunzeln sorgte. Wiederholte sprachliche Entgleisungen, gepaart mit einem zunehmend beunruhigenden Bündnis mit der AfD, werfen die Frage auf, ob Merz den schmalen Grat zwischen konservativer Haltung und populistischer Rhetorik längst überschritten hat. Diese Entwicklung stellt nicht nur seine politische Zukunft in Frage, sondern auch die Glaubwürdigkeit der CDU als Partei der Mitte.
Merz’ Aussagen zur Migration, Asylpolitik und Integration erscheinen als Teil eines politischen Plans, der darauf abzielt, AfD-Wähler:innen zurückzugewinnen. Doch anstatt die politischen Lager zu versöhnen, vertieft er die Kluft. Der Versuch, die rechten Wählerschichten zu gewinnen, kann nicht gut gehen.
Sozialtourismus, Paschas und Zahnarztbesuche
Merz hat bereits im September 2022 mit seiner Bemerkung über „Sozialtourismus“ ukrainischer Flüchtlinge deutlich gemacht, wohin seine politische Reise geht. Die darauf folgende halbherzige Entschuldigung kam zu spät – der Schaden war längst angerichtet. Dieser Vorfall war kein Einzelfall. Merz bedient sich regelmäßig provokanter Aussagen, die, wenn die Reaktionen zu heftig werden, schnell zurückgezogen werden. Doch ebendiese Entgleisungen tragen zur Verbreitung falscher Narrative bei und untergraben die demokratische Kultur und seine eigene Glaubwürdigkeit.
Ein weiteres Beispiel liefert Merz’ Auftritt in der Talkshow „Markus Lanz“ im Januar 2023, als er sich abfällig über „kleine Paschas“ äußerte, deren Väter angeblich die Erziehung durch Lehrerinnen ablehnten. Diese Bemerkung war nicht nur in ihrer Wortwahl problematisch, sondern verstärkte auch das Narrativ, dass Migrantenkinder grundsätzlich in einem Konflikt mit „deutschen Werten“ stehen. Merz bedient damit eine Vorstellung von gescheiterter Integration, die die Wahrnehmung von Migrant:innen als potenzielle Bedrohung für die Gesellschaft schürt.
Im September 2023 folgte eine weitere fragwürdige Bemerkung, als Merz behauptete, Asylbewerber:innen würden beim Zahnarzt bevorzugt, während deutsche Bürger:innen leer ausgingen. Diese populistische Aussage, die auf Enttäuschung und Unzufriedenheit setzt, verzerrt die Realität. Merz nutzt genau die Rhetorik, die auch der AfD zugutekommt – das Aufteilen der Gesellschaft in „wir“ gegen „die“. Solche Narrative, die Migrant:innen als Belastung für das Sozialsystem darstellen, verstärken den Eindruck, dass Migration ein Problem darstellt, das dringend gelöst werden müsste.
Der Bruch der „Brandmauer“
In dieser Woche hat die CDU unter Merz einen Antrag zur Verschärfung der Migrationspolitik unterstützt – und das mit den Stimmen der AfD und FDP. Dieser Vorstoß signalisiert nicht nur einen Bruch der „Brandmauer“ zwischen der CDU, der FDP und der rechtsextremen Partei, sondern wirft ein beunruhigendes Licht auf Merz’ politische Ausrichtung. Seine Unbeständigkeit stellt eine Bedrohung für die politische Mitte dar und lässt die Grenze zwischen demokratischen und extrem rechten Positionen verschwimmen.
Merz’ Fünf-Punkte-Plan zur Migrationspolitik folgt einem populistischen Muster. Statt einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Realität der Migration setzt er auf einfache, schnell umsetzbare Lösungen. Doch Migration und Integration sind komplexere Themen, die eine gründliche Auseinandersetzung mit sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen erfordern. Statt langfristige Lösungen zu entwickeln, bedient Merz eine populistische Agenda, die auf vermeintlich einfache Antworten setzt, um kurzfristig Wähler:innen abzugraben. Diese Annahme birgt die Gefahr, politische Debatten zu simplifizieren und den gesellschaftlichen Zusammenhalt weiter zu destabilisieren.
Ein weiteres Beispiel für diese populistische Taktik ist Merz’ Aussage über „Gruppenvergewaltigungen aus dem Asylmilieu“. Diese Bemerkung bedient ein gefährliches Narrativ, das auf pauschalen Verallgemeinerungen und rassistischen Untertönen basiert. Merz suggeriert, dass Asylsuchende für schwere Straftaten verantwortlich seien, ohne die komplexen gesellschaftlichen und rechtlichen Ursachen solcher Verbrechen zu thematisieren. Mit diesen Aussagen werden rassistische und xenophobe Narrative gestärkt, die auf einfachen Feindbildern basieren.
Die Akzeptanz von AfD-Stimmen für seinen Migrationsantrag stellt ein alarmierendes Signal dar. Merz entfernt sich weiter von demokratischen Werten. Werte, die für die CDU einst zentral waren, und verschiebt so die Partei weiter nach rechts. Durch das Verbreiten toxischer Narrative und das Fördern von Feindbildern trägt er aktiv dazu bei, gesellschaftliche Ängste zu schüren und den demokratischen Diskurs zu gefährden.
Die stillen Veränderungen im System
Narrative funktionieren so gut, weil sie komplexe Informationen in einfache, einprägsame Geschichten verpacken. Sie schaffen emotionale Verbindungen, bieten Sinnstiftung und machen abstrakte Themen greifbar. Unser Gehirn verarbeitet Geschichten effizienter als reine Fakten – wir erinnern uns eher an eine Erzählung als an eine Statistik. In einer Masse aus Informationsflut und einer Überforderung vieler Menschen, greifen diese Narrative besser als Fakten. Wer Narrative nutzt oder verstärkt, prägt Wahrnehmungen und Meinungen mit. Einmal etablierte Narrative sind schwer zu korrigieren – selbst, wenn sie falsch oder verkürzt sind. Deswegen braucht es Achtsamkeit: Welche Geschichte erzähle ich? Wen schließe ich damit (unbewusst) aus? Und wie wirkt sie langfristig?
Die jüngsten Aussagen von Merz und der AfD sind mehr als nur politische Provokationen – sie stellen eine Bedrohung für die demokratische Kultur dar. Indem sie gesellschaftliche Probleme in einfache, oft falsche Narrative verpacken, vergiften sie die öffentliche Debatte und gefährden den demokratischen Diskurs. Populistische Rhetorik ersetzt die sachliche Auseinandersetzung mit den realen Herausforderungen und untergräbt die Grundlage für eine respektvolle, fundierte Diskussion. So lässt sich keine Herausforderung konstruktiv lösen.
Es bleibt zu hoffen, dass die aktuellen Demonstrationen, die für Vielfalt und Demokratie eintreten, ein starkes Zeichen setzen können. In 21 Tagen sind Wahlen. Die Mitte der Gesellschaft muss sich klarer positionieren – nicht nur im Protest, sondern auch in der alltäglichen Auseinandersetzung mit den Herausforderungen unserer Zeit.