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Wie der Freiheitspopulismus uns allen schadet

Freiheit – kaum ein Thema ist dankbarer. Von Trump über Aiwanger bis Söder: Wer Stimmen braucht, inszeniert sich als Freiheitskämpfer und wettert gegen die vermeintlich freiheitsfeindliche Politik der anderen. Soeben hat Bayern das Gendern an Schulen und Unis verboten – aus Liebe zur Freiheit, natürlich.

In Wahrheit ist es dieser billige Freiheitspopulismus, der uns schadet; ein Freiheitspopulismus, der die Freiheit aller minimiert.

Bart, Brille, gepunktetes Hemd. Der Mann mittleren Alters sitzt auf einer Bank im Freien. Das Bild könnte, rein ästhetisch gesehen, auch eine Werbung für Ökostrom sein, für Mineralwasser, für Sehhilfen oder Rasierer. Doch neben ihm steht: „Die grüne Art Politik zu machen hat etwas freiheitsraubendes“. Die Werbefigur heißt Manfred Weber (Öffnet in neuem Fenster) (CSU) und was dort beworben wird, ist ein sehr schlichtes Freiheitsverständnis.

Gleichzeitig ist es eine Antiwerbung. „Wählt nicht die Grünen! Das führt zu Zwang, Zensur, Unterjochung, Knast. Wählt stattdessen mich!“, so der gar nicht mal so subtile Subtext. Man muss nicht viel zwischen den Zeilen lesen, denn der Freiheit-gibt’s-nur-mit-mir-und-die-anderen-sind-doof-Wahlkampf ist extrem populär geworden die letzten Jahre. Ein altes Lied, das den Wählern und Wählerinnen so lange um die Ohren gehauen wird, bis es als Ohrwurm sitzt.

Sich selbst würde Manfred Weber wohl als Konservativen beschreiben. Ich selbst nenne solche Leute hingegen: Freiheitspopulisten.

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Freiheit rauben immer nur die anderen.

Der Freiheitspopulismus zeichnet sich vor allem durch eine so simple wie gefährliche Parole aus: Meine Freiheit Ja, deine Freiheit Nein. In diesem doch sehr unterkomplexen Weltbild mischen sich konservative Ressentiments gegen alles Neue – mit einem Freiheitsbegriff, der nur die Individualfreiheit einer privilegierten Minderheit meint. Man holt die Leute ab an ihrer Angst vor Veränderung und malt zugleich ein düsteres Bild der Zukunft. Noch ein paar mal „Verbotspolitik!!!“ schreien und voilà, beim Publikum steigt der Blutdruck.

Mit seinem Freiheitspopulismus steht Manfred Weber in bester liberal-konservativer Tradition und Gesellschaft. Auch Markus Söder ist ein Perpetuum mobile der Angstmacherei. Fleischverbot, „Genderzwang“, Weltuntergang durch Cannabislegalisierung – der bayrische Ministerpräsident feuert vor allem auf Instagram bundesdeutsche Urängste an. Söders Freiheitspopulismus treibt regelmäßig lächerliche Blüten. Während Söder anderen gerne „Ideologie“ und einen Hang zu Verboten unterstellt, wurde an bayerischen Schulen, Unis und Behörden nun das Gendern verboten (Öffnet in neuem Fenster). Die Psychologie kennt das als Projektion (Öffnet in neuem Fenster): Den anderen das vorwerfen, was man selbst tut. Um diesen logischen Widerspruch aufzulösen, reicht keine Sternchensprechpause aus. Die Södersche Dialektik macht nur Sinn, wirft man jede Logik über Bord. An ihre Stelle treten Opportunismus, Stimmenfang und Biertischbespaßung.

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Ideologie haben immer nur die anderen ;)

Diese vulgärpopulistische Entwicklung ist keineswegs neu. Schon 2019 gab uns Christian Lindner, damals in seiner viel parodierten Schwarz-Weiß-Foto-Serie, mit: „Der Kulturkampf gegen das Auto (Öffnet in neuem Fenster) und die individuelle Mobilität muss aufhören!“. Das Framing so clever wie perfide – was aufhören muss, muss es geben. Was aufhören soll, muss bereits angefangen haben. Autofahrer aller Länder, vereinigt euch!

In Wahrheit gibt es natürlich weder Genderzwang noch Kulturkampf gegen das Auto. Was es hingegen gibt, sind Menschen, die sich nicht „mitgemeint“, sondern inkludiert fühlen wollen. Was es gibt, ist kein brutal ansteigender Auto-Hass, sondern eine Klimakrise, die uns eine Verkehrswende und ein Umdenken abnötigt. Ob wir wollen, oder nicht. Aber auch hier wird abgewunken: Meine Freiheit ja, deine Freiheit Nein. „Weiter so” um jeden Preis!

Mit einem haben diese Freiheitspopulisten ja recht: Soziale Themen sind oft Freiheitsthemen. Und es ist vollkommen legitim, über Freiheitsthemen zu reden, über Gemeinwohl, über die eigene Idee des Guten. Darin liegt nicht der Populismus. Populistisch wird es durch die Art und Weise, wie diese Freiheitsthemen von den Verantwortlichen – oder besser: Unverantwortlichen – erzählt werden. Der Populismus liegt also im Wie, nicht im Was.

William Wallace im Freiheitskampf gegen Wurstverbot, Weed und Windrad. Die Älteren erinnern sich.

Das populistische Wie zeichnet sich durch mehrere Merkmale aus. Populisten – sei ihr Thema Freiheit oder ein anderes – nutzen gern folgende Mechanismen und Stilmittel. Erstens eine starke Trennung zwischen „Wir“ und „Die“ (auch bekannt als Tribalismus; Freund-Feind-Schema oder Ingroup-Outgroup-Denken), zweitens ein dystopisches Bespielen kollektiver Ängste (vor Überfremdung, Freiheitsverlust, Veränderung oder ähnlichem; der Gegenstand der Angst ist sekundär; Hauptsache man gibt dem Wähler etwas zu fürchten), drittens greifen sie zu Verschwörungserzählungen und Halbwahrheiten, um das Gefahrenzentrum ihres Publikums zu mobilisieren. Viertens erzählt man sich als Retter – nicht als irgendeinen Retter unter vielen und die eigene Partei als ein Angebot im demokratischen Spektrum, nein: Man ist DER Retter, der einzige; und die Partei, zu der man gehört, natürlich die einzige, die die Gesellschaft vorm kollektiven Absturz bewahren und in eine glorreiche Zukunft führen kann.

Dieser populistische Vulgärliberalismus ist keineswegs auf die Politik begrenzt. So hat beispielsweise Elon Musk mittlerweile wenige anderen Themen als den vornehmlich in seiner Fantasie existierenden „woke mind virus“. Musk ist der irrigen Meinung, das Thematisieren von Ungerechtigkeiten bzw. der Gerechtigkeitsdiskurs insgesamt stürze „die Zivilisation in Richtung Selbstmord (Öffnet in neuem Fenster)“. Und retten kann sie, na klar, nur Fremdscham-Elon mit seiner Trollfabrik Twitter und einem Freiheitsverständnis, das allein die eigene Freiheit fördert.

Zurück nach Deutschland. Wer zum Beispiel angesichts der offenbar bald anstehenden Cannabisteillegalisierung nicht bereits eine Apokalypse à la Walking Dead am Horizont sieht, gehört ganz offenbar zu den linksgrünversifften Kräuterlingen (Bayern soll „Kein El Dorado für Kiffer“ (Öffnet in neuem Fenster) werden, sagte der bayerische Staatskanzleichef Hermann neulich; ganz so, als stünde weniger eine zögerliche Teil-Legalisierung für erwachsene Konsumentinnen im Raum und vielmehr die allgemeine Machtübernahme militanter Kifferkommandos, inklusive Kiffzwang). Gegen Cannabislegalisierung – ergo Konsum-Freiheit – zu wettern ist wiederum keine Verbotspolitik. Denn Verbotspolitik machen nur die anderen. Oder so.

Alles klar, Hubsi.

Freiheitspopulisten profitieren von einem logischen Fehlschluss. Freiheit wird im ersten Schritt ausschließlich als Individualfreiheit gedacht. Und zweitens als die Individualfreiheit einiger weniger. In dieser doppelten, meist parteitaktisch motivierten Verkürzung freiheitlicher Ideen liegt die eigentliche Gefahr. Wer alles, was nicht die eigene Freiheit ist, zur Unfreiheit (oder Verbotspolitik) deklariert, ist blind für die vielen Freiheiten, die den eigenen Tellerrand übersteigen.

Dabei stimmt es: Subjektive Freiheit ist wichtig. Fokussiert man sich aber nur aufs Individuelle, bleibt das Gemeinwohl außen vor. Reden wir z.B. über Fleischkonsum, reden wir über Tierethik; und ebenso über die immer weiter eskalierende Klimakrise (und somit wieder: das Gemeinwohl aller). Reden wir über eine mögliche Verkehrswende, zum Beispiel forciert durch eine neue politische Schwerpunktsetzung wie in Paris, wo Fahrradverkehr forciert wird und SUV mehr Parkgebühren (Öffnet in neuem Fenster) zahlen müssen, dann ist das kein Auswuchs illiberaler Verbietungsgeilheit und PKW-Feindschaft, sondern schlichtweg ein Versuch, die Stadt als Lebensraum lebenswerter zu gestalten; und zwar für alle. Dass SUV-Fahrerinnen dabei nicht in Jubel und Konfettiwurf ausbrechen, ist klar. Weil Freiheit für viele eben auch bedeutet, dass einige, die bisher profitiert haben, zukünftig zurückstecken müssen. Eine weitere Differenzierung, die uns die Freiheitspopulisten verschweigen.

Was Letztere bieten, ist eine höchst reduktionistische Sicht auf das Gemeinwohl. Im Sinne von: Gemeinwohl lasse sich als unendlich viele Individualfreiheiten ausdrücken. Es entstehe summativ. Und lasse sich, ebenso wie es entsteht, von kollektiver Ebene jederzeit wieder aufs Individuum reduzieren. So jedenfalls das individualistische Märchen. Wenn jeder nur fest genug an sich denkt, ist an alle gedacht.

Dass dieses Modell scheitert, nein, schon tausendmal gescheitert ist, ist offenkundig. Würde Freiheit auf magische Weise entstehen, indem alle einfach wie verrückt ihre Ego-Show durchziehen – dann würden bereits himmlische Zustände herrschen.

Freiheitspopulisten wie Weber, Söder und Lindner verkaufen uns den Status Quo als gottgegeben und das Problem als Lösung. Diesen Etikettenschwindel nicht mitzumachen, sondern aufzudecken, ist insbesondere vor der Europawahl elementar. Das Motto muss lauten: Durchschaut Freiheitsbullshit! Fallt nicht auf falsche Bedrohungsszenarien herein! Deine Freiheit Ja, selektive Freiheit Nein!

Jan (Öffnet in neuem Fenster)

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Lust auf noch mehr Kritik am Freiheitspopulismus? Die EWS Schönau hat mich neulich zu einem Online-Workshop eingeladen. Meine Präsentation, die ich vor über 170 Leuten gehalten habe, ist jetzt auf Youtube:

https://www.youtube.com/watch?v=7DvhvL4LXew (Öffnet in neuem Fenster)

Du würdest gerne weiterlesen zum Thema? Gute Nachrichten! Rein zufällig habe ich ein ganzes Buch über Freiheit geschrieben. Es heißt „Wenn jeder an sich denkt, ist nicht an alle gedacht“ (Öffnet in neuem Fenster) und hat den Untertitel „Streitschrift für ein neues Wir“. Auf Steady erhältst du es, zusammen mit meinen Artikeln, natürlich auch signiert.

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