Die Brandmauer sind wir
Am Wochenende 25.000 in Berlin, 30.000 in Köln - und tausende anderswo (Öffnet in neuem Fenster). Immer mehr Menschen gehen auf die Straße gegen Rechtsextremismus und gegen die rechtsextreme AfD. Es gibt dutzende (Öffnet in neuem Fenster)Demos (Öffnet in neuem Fenster) in den nächsten Tagen und Wochen. Eine gute Entwicklung, die anhalten muss.
„Ich bin kein großer Demogänger, heute ist das anders“, sage ich (Öffnet in neuem Fenster) ins WDR-Mikrofon, während neben mir, hinter mir, an mir vorbei Menschen in Richtung Brandenburger Tor strömen, hunderte pro Minute, schnell sind es tausende. Später bestätigt die Polizei 25.000 (Öffnet in neuem Fenster)Demonstrationsteilnehmer (Öffnet in neuem Fenster) auf dem Pariser Platz und Umgebung – alle versammelt, um gegen eine rechtsextreme Partei zu demonstrieren. Gegen die AfD.
Ein konspiratives Rechtsextremistentreffen hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Wie Correctiv berichtete (Öffnet in neuem Fenster), trafen sich wenige Kilometer entfernt von der historischen Wannseekonferenz (Öffnet in neuem Fenster) der Nationalsozialisten jetzt wieder völkisch gesinnte Rassisten und sinnierten über Reinheit, über Umsturz und Deportationen von Millionen. Die Deportationen, wie sie die Faschisten von heute zukünftig vorsehen, sollen „Remigration“ heißen – ein Wort, das es in kurzer Zeit zum Unwort des Jahres (Öffnet in neuem Fenster) geschafft hat. „Remigration“. Ein Begriff, von dem AfD-Funktionäre und andere Extremisten hoffen, dass er sprachliche Normalität und politische Wirklichkeit wird. Dabei ist er vor allem eines: die alte Idee der Menschenfeindlichkeit in neuem Gewand. Das Gegenteil von allem, wofür unsere offene Gesellschaft, wofür unsere Demokratie steht. Zu Recht kritisiert die Unwort-Jury, der Begriff sei ein Euphemismus, ein „rechter Kampfbegriff, beschönigende Tarnvokabel und ein die tatsächlichen Absichten verschleiernder Ausdruck". Auch dies ein altbekanntes, schon von den historischen Nazis etabliertes Prinzip: Man kleide die Gewalt in schöne Vokabeln, dann tut sie weniger weh. Zumindest den Tätern.
Überhaupt, die Unwörter der letzten Jahre. Sie lesen sich wie die Chronik einer abrutschenden Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die immer neue Kipppunkte erreicht in Richtung Rechtsradikalisierung. Klar, man darf die jährliche Unwort-Aktion kritisch sehen (Öffnet in neuem Fenster) und muss sie auch nicht überbewerten. Der Grat zwischen Ächtung und Popularisierung eines schrecklichen Begriffes ist ein schmaler. Ich für meinen Teil denke, dass ein kritischer Blick auf Sprache und ihre teils wirklichkeitsverdrehende Funktion wichtig und richtig ist; die Unwort-Jury schreit ihre „Unbegriffe“ ja nicht bloß durch ein Megafon, sie begründet ihre kritische Sicht (Öffnet in neuem Fenster) auf das geächtete Sprachmaterial inhaltlich. Die jährliche Aktion gibts übrigens schon über 30 Jahre:
Eine Chronik der problematischen Begriffe findet ihr hier (Öffnet in neuem Fenster). Platz 2 und 3 sind 2023 übrigens „Sozialklimbim“ und „Heizungs-Stasi“.
Zurück zum Pariser Platz. Ich bin wie gesagt wirklich kein großer Demogänger und war es nie. Selbstverständlich verstehe ich das Demonstrationsrecht als große zivilisatorische Errungenschaft. Jeder soll sich versammeln dürfen, um für sein Anliegen zu werben – solang es auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Trotzdem hat es sich mir nie ganz erschlossen, wie sich die politische Wirklichkeit verändert, wenn man ein paar Schilder bemalt und ein paar Parolen skandierend gemeinsam über eine polizeilich abgesperrte Straße marschiert. Ob Traktorparade (Öffnet in neuem Fenster), erster Mai oder Querdenker-Demo – jeder darf mal kurz irgendwas brüllen und am nächsten Tag ist wieder business as usual; das denkt zumindest der Zyniker in mir.
Den inneren Zyniker habe ich mit aller Kraft zu Hause gelassen, auch als wir anschließend auf dem Pariser Platz standen. Und es gelang mir. Nicht nur, weil Zynismus ein eher schlechter Ratgeber ist und einen nicht unbedingt zu einem glücklichen, zufriedenen Menschen macht. Sondern auch, weil es guttat, so viele Menschen versammelt zu sehen für die gute Sache; Menschen, denen es eben nicht egal ist, wenn Deportationsfantasien wieder en vogue werden; Menschen, die der Aufstieg einer vielerorts laut Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem (Öffnet in neuem Fenster)“ geltenden Partei Sorge bereitet; Menschen, die lieber Mitbürger sein wollen als Wutbürger. (Philosophen und Philosophinnen sprechen, wenn es um Wir-Perspektive geht, übrigens von „kollektiver (Öffnet in neuem Fenster)Intentionalität (Öffnet in neuem Fenster)“.)
Und so waren dann auch die Reden an diesem Tag – gemeinschaftlich; und klar in der Haltung, nicht nur wogegen man ist, sondern auch wofür. Wir sind für eine gerechte Gesellschaft, die nur dann eine gerechte Gesellschaft ist, wenn sie zu allen gerecht ist. Wir sind für ein Deutschland, das Einwanderungsland ist und sein will und Einwanderungsland sein soll; und wir sind für eine Demokratie, die allen einen Platz bietet auf der Basis von Freiheit, Gleichheit und Menschenrechten.
Viele bunte Hinterköpfe, eine Richtung: gegen Rechts.
Klar ist dann auch, wogegen man sein muss. Gegen eine völkisch ausgerichtete, auf imaginäre „Menschenrassen“ ausgerichtete Partei und ihre Politik; gegen eine Gesellschaft, die kulturelle Identitäten nach Wertigkeiten sortiert und jene, deren Religion oder Sprache oder Hauptfarbe oder politische Einstellung den Rechten nicht passt, sonst wohin deportieren (Öffnet in neuem Fenster) will. Letzteres wäre die Gesellschaft, wie die AfD sie sich vorstellt. Eine neofaschistische, wurstdeutsche Autokratie.
Als jemand, der – so glaube ich zumindest und so sagt man mir es nach – halbwegs alle Tassen im Schrank hat, finde ich allerdings: Ein Reinheitsgebot gilt höchstens für Bier (Öffnet in neuem Fenster). (Und selbst da ist es umstritten (Öffnet in neuem Fenster).)
Die Demo selbst verlief ohne besondere Vorkommnisse. Es gab mehr oder minder gute Reden, mehr oder minder originelle Plakate, halbwegs synchron gesungene Sprechchöre. Das Wetter war, deutscher Januar, mehr oder minder arschkalt. Die Bühne war nicht immer zu sehen, die Sprecher:innen aber immer gut zu hören. Das Wichtigste aber: Keiner, wirklich keiner hatte Bock auf die AfD.
Sogenannter Realtalk.
Irgendwann ging es – vom mittlerweile wegen Überfüllung abgesperrten Pariser Platz – für mich wieder nach Hause. Mitgenommen habe ich vor allem den Satz: „Die Brandmauer sind wir.“ Er beschreibt gut, wer jetzt handeln muss. Auf wen es ankommt. Wer den Rechtsruck stoppen kann – wir alle. Wir alle und nur wir alle. Dafür lohnt es sich, Gesicht zu zeigen. Dafür lohnt es sich, rauszugehen. Dafür lohnt es sich, die Zweifel, ob mein kleines Rausgehen und Gesichtzeigen wirklich einen Unterschied macht, zu Hause zu lassen.
Und da kann es nicht aufhören.
Wer demonstriert, muss Ziele haben. Und ein Ziel kann sein, ein Verbotsverfahren (Öffnet in neuem Fenster) gegen die AfD und ihre Politik anzustreben. Umfrageerfolge für eine neofaschistische Partei hin oder her, es ist letztlich, wie Erik Marquardt (Öffnet in neuem Fenster) sagt:
Brandmauer nein, Paywall ja. Wenn du weiterlesen willst, unterstütze mein Schreiben bitte durch ein Abo ⬇️
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