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„Remigriert euch ins Knie!”

Berlin, Hamburg, Frankfurt, Münster. Ebenso Braunschweig, Nürnberg, Heidelberg, Stuttgart, München – auch allerlei kleinere Orte (Öffnet in neuem Fenster) versammeln sich dieser Tage. Die deutschlandweite Demowelle gegen Rechts hört kaum auf. Aber: Ist der Protest nachhaltig?

Es gehört zum Playbook der Populisten, sich als Sprachrohr einer schweigenden Mehrheit zu inszenieren. „Die blöden Eliten da oben haben verlernt, euch, dem Volk, zuzuhören – aber keine Sorge, jetzt sind wir ja dafür da!“. So lautet länderübergreifend das populistische Credo, von Trump über Geert Wilders, von Le Pen bis zur AfD.

Selten sieht man so deutlich wie dieser Tage, was davon zu halten ist: Wenig. Es ist eine Täuschung. Desinformation. Während die Rechten hin und wieder ein paar Demonstranten versammeln und auch die Landwirte neulich (Öffnet in neuem Fenster) nicht ohne völkische Leitsätze und Elitenfeindlichkeit auskamen (bis hin zu DIY-Bastelgalgen), sehen wir an den aktuellen Anti-AfD-Protesten, wer wirklich mobilisiert.

Volk, Volker, am Volksten

Es ist das breite Bürgertum, das auf die Straße geht. Es ist die Bevölkerung. Es ist das Volk. Viele von ihnen, viele von uns, demonstrieren selten oder zum ersten Mal.

„Menschenrechte statt rechter Menschen“, „Vielfalt statt Einfalt“, „Remigriert euch ins Knie“. Wohin man sieht: Plakate, die sich gegenseitig an Pointen überbieten. Populisten wollen doch immer, dass das Volk sich endlich laut erhebt – aber wenn es schließlich geschieht, ist es ihnen auch nicht recht. Im nationalistischen Spektrum kursieren die ersten Verschwörungstheorien, die versuchen, die bürgerlichen Massenproteste ins radikale Weltbild zu rationalisieren. Von „mit Bussen hingekarrten (Öffnet in neuem Fenster) Demonstranten“ ist die Rede, von gesteuerten Protesten (Öffnet in neuem Fenster). AfD-Hassprediger Björn Höcke versucht gar KI-Bildmanipulation (Öffnet in neuem Fenster) verantwortlich zu machen für Fotos, auf denen man tausende Demonstranten, aber keinen einzigen Quadratmeter Boden mehr sieht. Die DPA widerspricht (Öffnet in neuem Fenster) umgehend: Am Bild manipuliert ist natürlich nichts. Und was die gekauften Demo-Teilnehmer angeht, ist das wohl – mal wieder – ein astreiner Fall von Projektion. So war es nämlich ein Landesverband der AfD, der Demonstrantinnen mit Geldgeschenken lockte (Öffnet in neuem Fenster); bereits im Jahr 2018.

Björn: So siehts halt aus, wenn Deutschland aufsteht

Aus AfD-Perspektive muss es befremdlich sein, was gerade passiert. Das Volk erhebt sich – aber gegen die Völkischen (Öffnet in neuem Fenster). Nach Jahren der permanenten Weitung der Grenzen des Sagbaren, Jahren der Normalisierung extremistischer Gedanken, war es die Correctiv-Recherche über die Möchtegern-Wannseekonferenz, die bei einer breiten Öffentlichkeit Empörung und Protest gleichermaßen auslöst. Ein Protest, der sich folgerichtig ausdehnt auf jene, die hinter diesen Einstellungen stehen; auf alle, die ihre faschistischen Deportationsfantasien schönschmücken mit Begriffen wir „Remigration (Öffnet in neuem Fenster)“. Eine Protestbewegung gegen alle, die daran arbeiten, das auf die Zwanzigerjahre wieder die Dreißiger folgen.

History doesn't repeat itself, but it often rhymes.” Foto: Malwina Stuttmann (Öffnet in neuem Fenster).

EkelhAfD

Ein Protest gegen die AfD also.

Und eine Bewegung, die ihr Selbstverständnis eben nicht nur in gemeinsamer Abgrenzung aus dem ableitet, was sie ablehnen. Demo gegen die AfD, ja, natürlich, was sonst; aber auf den Straßen zeigt sich, mittlerweile täglich, gleichzeitig ein Fest der Toleranz, eine Apologie der Demokratie; Hunderttausende nehmen Teil. München musste abgebrochen werden wegen Überfüllung, ebenso die Versammlung in Hamburg. Zu groß der Menschenandrang. Hunderttausend in Düsseldorf (Öffnet in neuem Fenster), bundesweit geht es weiter (Öffnet in neuem Fenster).

Als Beobachter muss man aufpassen, den ernsten Anlass nicht zu vergessen bei diesem Wohlfühlfest der Weltverbesserung. Der Anlass sind Deportationsgedanken, Umsturzpläne, völkische Menschenverachtung – jene rechtsextreme Ideologie also, die als langsames Gift über Jahre in den Blutkreislauf unserer Gesellschaft getröpfelt ist.

Und jetzt die Entgiftung.

Oder zumindest der Versuch.

Wie bei jeder Entgiftung stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit. Demonstrationen für die Demokratie, Menschenketten, Benefizkonzerte – davon gab es schon unzählige. Den Aufstieg der AfD verhindert hat das alles nicht. Die gute Sache kann kein Dauerzustand werden, wenn sie punktuell bleibt. Die Publizistin Jagoda Marinic schreibt (Öffnet in neuem Fenster):

 „Ich freue mich wirklich sehr, dass alle, die in den letzten Monaten meinten, wir müssten mit der AfD leben, weil sie ja irgendwie auch normal sei, jetzt euphorisch Bilder von den Massendemos posten. Die Unverzichtbaren sind aber jene, die konsequent und immer die Grenze ziehen.“

Der Antifaschismus der bürgerlichen Mitte muss Normalität werden. Denn auch das zeigt sich in den Demonstrationen der letzten Tage: Die Vielfalt demonstriert für sich selber. Da läuft der Punk neben dem Versicherungsmakler, die Religionslehrerin neben dem Klimaaktivisten, der Autohändler neben der Richterin. Eine letztere sagte im Interview (Öffnet in neuem Fenster), es sei ihre dritte Demo - überhaupt.

Es ist weniger so, dass sich Menschen urplötzlich politisieren; vielmehr ist es so, dass sich politisierte Menschen zeigen.

Die Deutsche Bahn (Öffnet in neuem Fenster) hat sich geäußert („Heute müssen alle stehen – Aufstehen für die Demokratie“). Kirchen solidarisieren sich. Selbst die Wirtschaft schweigt nicht länger: So warnt Ex-Siemens-Chef Kaeser eindringlich (Öffnet in neuem Fenster): „Wer AfD wählt, entscheidet sich für Wohlstandsverlust“. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist in Gefahr; nicht wegen Migration (wieso auch, angesichts des Arbeitskräftemangels), sondern wegen wachsendem Rechtsextremismus (Öffnet in neuem Fenster).

“Nazipartei” - Klartext versus Keule

CDU-Mann Hendrik Wüst unterstützt die Proteste und nennt die AfD, vollkommen richtig, eine „Nazipartei (Öffnet in neuem Fenster)“. Das mag man für politischen Opportunismus halten und für einen Versuch, sich parteiintern als Anti-Merz zu etablieren. Am Wahrheitsgehalt der Sätze ändert das jedoch nichts.

Der Anti-Anti-Merz selbst sieht das natürlich anders. In Zeiten, in denen Millionen Mitbürger einen erstarkenden Rechtsextremismus mit Sorge betrachtet, sorgt sich Friedrich Merz in der neuen Talkrunde von Caren Miosga vor allem um die AfD-Wähler selbst – man dürfe sie doch bitte nicht per „Nazikeule“ verprellen (Öffnet in neuem Fenster). Auch ein Statement, Herr Merz!

Den Rest des Landes bewegt weniger das fragile Seelenleben der AfD-Wähler und vielmehr die Gegenreaktion darauf, der Antifaschismus.

Antifaschismus also. Ein Wort, bei dem manche an den Schwarzen Block denken, an Molotowcocktails und ersten Mai. Was wir aber dieser Tage auf deutschen Straßen sehen: Einen friedlichen, demokratischen Antifaschismus, trotz Kälte, Eis und Januarwetter. Herzenswärme im Winter.

Ich hoffe inständig, dass wir diese prodemokratische, weltoffene Haltung weiterhin hochhalten, auch in den kommenden Jahreszeiten. Und zwar demonstrativ, jenseits der Ausnahmesituation Demo. Friedlichen, bürgerlich-weltoffenen Antifaschismus sollten wir im Alltag zeigen, immer, täglich. Gegenüber Freunden und Familie; privat wie im Beruf. Gegenüber AfD-Wählern – und allen anderen. Immer im Sinne von: immer.

Das Bekenntnis zu Toleranz und Menschenrechten ist nämlich kein Extra, nicht irgendwie nice to have und optional. Kein Gutmenschentum für jene, die es sich leisten können. Im Gegemteil. Es sind die unverzichtbaren Werte, die – da hat Jagoda Marinic recht – mit Vehemenz und Permanenz unter und zwischen uns sein müssen; nicht bloß auf Demoplakaten, sondern immer. Wir müssen sie leben. In den Privaträumen, in der Politik. Auf dem Marktplatz, in den Büros, in den Kneipen und auch in den Wohnzimmern.

Was die Politik angeht: Der innerparteiliche Druck, den antifaschistischen „Volkswillen“ umzusetzen, muss steigen; ebenso dürfen wir nicht aufhören, unsere demokratischen Erwartungshaltungen zu artikulieren gegenüber unseren Abgeordneten (das geht gut per Mail (Öffnet in neuem Fenster); wirkunsvoller aber per Brief oder im persönlichen Gespräch).

Wie nachhaltig das alles gelingt, ist momentan noch nicht abzuschätzen. Weder können noch müssen wir über Monate täglich zu Zehntausenden auf die Straße gehen. Wichtiger als der Dauerprotest ist ein Paradigmenwechsel der öffentlichen Haltung:

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