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Was ist aus der Kulturrevolution der Väter geworden?

Meine Elternzeit gehört zu den wertvollsten, wichtigsten und lehrreichsten Phasen meines Lebens. Deshalb ist mein Blick auf das gerade so intensiv diskutierte Elterngeld eher positiv gefärbt. Wahrscheinlich geht es nicht nur mir so, denn das Elterngeld wird regelmäßig als Erfolgsgeschichte erzählt. Erst vor wenigen Monaten meldete das Statistische Bundesamt einen weiter gestiegenen Väteranteil (Öffnet in neuem Fenster), nämlich auf 26 Prozent. „Der kontinuierliche Anstieg des Väteranteils hat sich damit fortgesetzt“, heißt es in der Pressemitteilung vom März 2023. Bereits 2017, zehn Jahre nach der Einführung, bilanzierte das Bundesfamilienministerium: "Die Einführung des Elterngeldes löste unter den Vätern eine kleine Kulturrevolution aus."

Diese Erfolgsgeschichte, das zeigen die Diskussionen der vergangenen Tage, hat Risse bekommen. Es geht längst nicht mehr nur um die Frage, bis zu welcher Einkommenshöhe die Leistung ausgezahlt werden sollte. Die Kritik richtet sich mittlerweile auf das Instrument selbst.

Zur Erinnerung: Das Elterngeld wurde 2007 eingeführt, um Anreize für Väter zu schaffen, mehr Betreuungsarbeit zu übernehmen und die Erwerbsbeteiligung von Müttern zu erhöhen. Es handelt sich also nicht um eine sozialpolitische Maßnahme, sondern um ein Gleichstellungsinstrument. Das Elterngeld wurde deshalb als Lohnersatzleistung konzipiert. Das bedeutet, die Höhe der Leistung bemisst sich am Einkommen vor der Geburt des Kindes.

Ist die Ungleichbehandlung beim Elterngeld gerecht?

Das führt dazu, dass manche Eltern 300 Euro Elterngeld im Monat bekommen, während Besserverdienende bis zu 1800 Euro erhalten. Dem Staat ist die Sorgearbeit der Eltern demnach unterschiedlich viel wert. Um diese Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, müsste das Elterngeld dann eigentlich das Versprechen einlösen, die Gleichstellung zu fördern.

Doch daran bestehen Zweifel. In der erwähnten Mitteilung des Statistischen Bundesamts ist zu lesen, dass die durchschnittliche Elterngeld-Bezugsdauer bei Männern im Schnitt 3,6 Monate beträgt. Dieser Wert ist zuletzt sogar leicht gesunken. Im Großen und Ganzen gibt es hier seit Jahren eine Stagnation. (Zum Vergleich: Frauen beziehen im Schnitt 14,6 Monate Elterngeld.)

Ein Hinweis darauf, dass mehr als die Hälfte der Väter überhaupt keine Elternzeit nimmt, fehlt in der amtlichen Mitteilung ganz. Ebenfalls unerwähnt bleibt, dass die überwiegende Mehrheit der Väter, die in Elternzeit geht, nur die beiden Partnerschaftsmonate nimmt. Das verrät erst der Blick in eine Sonderauswertung der Elterngeldstatistik, aus der auch hervorgeht, dass sich der Elterngeldbezug der Väter meist mit dem Bezug der Mutter überschneidet.  

Das ist nachvollziehbar und schön für eine Familie, wenn sie eine gemeinsame Auszeit nach der Geburt des Kindes nehmen kann. Ob diese Zeit allerdings zu einer gleichberechtigten Elternschaft beiträgt, ist eine andere, nicht ganz unerhebliche Frage.

Die Antwort lautet eher: nein. Mit Blick auf das langfristige Engagement der Väter macht es keinen Unterschied, ob sie gar keine Elternzeit oder zwei "Vätermonate" genommen haben. In beiden Konstellationen wenden sie durchschnittlich etwa zweieinhalb Stunden für Kinderbetreuung und eine Stunde für Hausarbeit auf, wie aus einer Analyse des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (Öffnet in neuem Fenster)aus dem Jahr 2022 hervorgeht. Die Hauptlast tragen also die Mütter. Eine weniger ungleiche Arbeitsteilung lässt sich erst beobachten, wenn Väter mindestens drei Monate Elterngeld beziehen. Das macht aber nun einmal nur etwa jeder zehnte Vater.

Titelbild: Lena Nikcevic

Der Politik fehlen die Mittel, um finanzielle Abhängigkeiten zu verringern

Man muss es schon sehr gut mit den Vätern meinen, um all diese Befunde in eine Erfolgsgeschichte zu verwandeln oder gar eine "Kulturrevolution" zu konstruieren. Tatsächlich entfaltet das Elterngeld in Bezug auf die Gleichstellung nur sehr begrenzt Wirkung. Es verstärkt sogar die finanzielle Abhängigkeit der Frauen, weil sie durch die längere Elternzeit deutlich höhere Einkommensverluste erleiden. Während Mütter auf ein durchschnittliches Elterngeld in Höhe von 790 Euro zurückfallen, erhalten Väter im Schnitt 1300 Euro – um dann nach der kurzen Pause meist in Vollzeit weiterzuarbeiten.

An dieser Rollenverteilung hat das Elterngeld bisher wenig geändert. Es sind vor allem Frauen, die berufliche Nachteile haben, weil sie ihre Erwerbsarbeit unterbrechen. Während Männer so Karrierevorteile erzielen, steigt auch ihre finanzielle Macht in der Partnerschaft. Der Politik fehlen bisher die Mittel, um diese finanzielle Abhängigkeit zu verringern.

Die geplanten Einsparungen beim Elterngeld betragen 290 Millionen Euro. Sie sind im Vergleich zu den fehlenden Mitteln für die Kindergrundsicherung kaum der Rede wert. Der eigensinnige Protest der wohlhabenden Gruppen, die künftig vom Elterngeld ausgeschlossen werden sollen, hat vom ungleich größeren Problem der Kinderarmut abgelenkt. In dem sehr lesenswerten Interview, das die frühere Familienministerin Renate Schmidt der Süddeutschen Zeitung gegeben hat (Öffnet in neuem Fenster), sagt sie: "In den Sechzigerjahren lebten 125.000 Kinder in der damaligen Bundesrepublik von Sozialhilfe. Heute sprechen wir von 2,9 Millionen armen Kindern. Natürlich sind die Zahlen nicht vergleichbar. Aber selbst wenn man sehr großzügig rechnet, ist das mindestens eine Verfünffachung der Kinderarmut, das ist skandalös!"

Schmidt merkt zurecht kritisch an, dass die heutige Bundesfamilienministerin Lisa Paus von den Grünen nicht konkret durchgerechnet hat, wofür sie die 12 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung genau braucht. Da nützt es ihr wenig, dass schon diese Summe ein Kompromiss war und Armutsexpert*innen noch deutlich mehr Geld für die Kindergrundsicherung fordern. Aber noch sind die zwei Milliarden, die jetzt im Bundeshaushalt vorgesehen sind, nur ein Platzhalter. Deshalb darf diese Diskussion keineswegs abgeschlossen sein. Lisa Paus kämpft jetzt nach eigener Aussage um sieben Milliarden Euro für Kinder, es gibt also noch Spielraum.

Das Elterngeld gehört auf den Prüfstand, weil es seine Wirkung verfehlt

Aber dennoch ist es genauso richtig, jetzt über das Elterngeld zu sprechen. Doch die Kritik sollte nicht auf die geplante neue Einkommensgrenze abzielen, sondern auf das gesamte System. Das Instrument des Elterngeldes gehört auf den Prüfstand, weil es seine Wirkung offensichtlich verfehlt.

Zu einer umfassenden Reform gehört, dass zwei Partnerschaftsmonate zu wenig sind. Immerhin das hat die Bundesregierung selbst erkannt. Die Ausweitung auf drei Partnermonate ist im Koalitionsvertrag vorgesehen. Das sollte sie nun schnell umsetzen. Getan ist es damit noch nicht. Die Sätze müssen dringend angepasst werden. Seit der Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007 gab es keine Erhöhung, als hätte es nie eine Inflation und steigende Mieten gegeben. Insbesondere der Mindestsatz von 300 Euro monatlich ist schlicht zu wenig. Die Ampel spricht im Koalitionsvertrag davon, den Basis- und Höchstbetrag beim Elterngeld zu dynamisieren. Diese Dynamisierung äußert sich nun in einer Einsparung von 290 Millionen Euro, die aber nicht den Ärmeren zugutekommt, sondern anderswo gebraucht wird.

Neben einer Ausweitung der Partnerschaftsmonate und einer Erhöhung des Elterngeldes würde eine wirklich ambitionierte Lösung aber die Väter noch stärker in die Pflicht nehmen. Wie ein umfassendes Konzept aussehen könnte, hat die SPD vor wenigen Wochen unter der Federführung der Parteichefin Saskia Esken skizziert:

"Um noch stärkere Anreize für Väter zu setzen, deren Verhandlungsposition am Arbeitsplatz zu stärken und Familien in der frühen Phase besser zu unterstützen, ohne ihnen Wahlmöglichkeiten zu nehmen, streben wir ein 6+6+6-Modell und eine Dynamisierung des Elterngeldes, des Mindest- und Höchstbetrags, an“, schlägt die Partei vor. (Öffnet in neuem Fenster) Jeder Elternteil soll demnach Anspruch auf sechs nicht übertragbare Monate Elterngeld haben. Die restlichen sechs Monate können frei zwischen den Partner*innen aufgeteilt werden.

In den frei verteilbaren Monaten soll der Betrag des Elterngelds auf 80 Prozent des entgangenen Nettoeinkommens erhöht werden, wenn sie zu gleichen Teilen von beiden Elternteilen in Anspruch genommen werden. Außerdem sollen beide Elternteile künftig nur für maximal drei Monate gemeinsam Elterngeld in Anspruch nehmen können, "da mit der alleinigen Übernahme familiärer Verantwortung über einen nennenswerten Zeitraum langfristig eher mit einer fairen Verteilung von Sorgearbeit zu rechnen ist", heißt es im Vorschlag der SPD.

Vielleicht müsste man die Partei jetzt nur noch daran erinnern, dass sie gerade als stärkster Partner die Bundesregierung anführt. Als eine "Koalition voller Platzhalter" hat die FAZ gerade die Ampelregierung beschrieben (Öffnet in neuem Fenster). Unübersehbar hat Olaf Scholz Unverbindlichkeit und fehlende Präzision zur Kunstform erhoben. Ich wünsche ihm und seiner Fortschrittskoalition jetzt jedenfalls eine gute Sommerpause, in die ich mich nun auch zurückziehen werde. Ich glaube, die Bundesregierung hat sie noch etwas dringender nötig als ich.

Eins sollte dem Bundeskanzler und dem Finanzminister nun aber klar sein: Familienpolitik ist kein Thema mehr, das sich länger als Gedöns abtun lässt. Die Intensität der Diskussion zeigt, dass es möglich ist, die dringend nötige Aufmerksamkeit auf das Thema Gleichberechtigung, Familie und Kinder zu richten. Wer hier glaubt seine Anstrengungen reduzieren zu können, erzeugt Widerstand.

Das mit dem Gedöns stellt Renate Schmidt im SZ-Interview übrigens auch etwas anders dar: Gerhard Schröder habe das zwar gesagt, "aber er hat nicht so gehandelt. Als ich 2002, bevor ich Ministerin wurde, den Leitantrag zur Familienpolitik geschrieben habe, war er der Einzige des gesamten Parteivorstands, der bis zum Schluss wie festgeklebt auf seinem Stuhl saß. Das hat ihn wirklich interessiert." Den Beweis, dass es ihn wirklich interessiert, muss der heutige Bundeskanzler noch erbringen.

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