Bin ich psychisch belastet? – Mit vier Kriterien zur Beurteilung
„Bin ich psychisch belastet?“ – Um diese Frage aus der Sicht einer betroffenen Person zu beantworten, habe ich Doktor Google zur Rate gezogen (wie vermutlich die meisten von uns, die im Internet nach Antworten suchen). Dabei bin ich auf einen Fragebogen gestoßen und nach drei beantworteten Fragen kam heraus: Ich hätte ein Trauma. OHA!! Mensch, da hab ich gestaunt – und wie ich gestaunt habe, davon berichte ich dir gerne in meinem Newsletter (Öffnet in neuem Fenster). Oder in diesem Artikel (Öffnet in neuem Fenster), in dem ich dich davor warne zu viel Glauben in online Tests zu schenken. Aber zurück zum Thema: Eine Antwort fand ich tatsächlich, aber eine kryptische. Ich will es ja immer genau wissen und will mich am Ende gut informiert und aufgeklärt fühlen. Daher informiere ich dich jetzt und kläre dich darüber auf, woran du „Psychische Belastung“ erkennen kannst.
Die Tücken verschleppter Belastungen
Bevor wir uns in die Thematik stürzen, möchte ich ein paar meiner Eindrücke mit dir teilen.
Ich erlebe bei Menschen eine hohe Leidensfähigkeit und beharrliche Ausdauer unangenehme, negative ober bereits belastende Zustände (auch über lange Zeiträume) auszuhalten. Ja, darin auszuharren. Das ist erstaunlich wie erschreckend zugleich.
Auch erlebe ich, dass Menschen sich nicht gerne (und nicht rechtzeitig) mit ihrem eigenen Zustand auseinandersetzen. Und ich meine diese kritische Auseinandersetzung, wenn du merkst, dass etwas nicht mehr stimmt. Dass du dich unwohl, unzufrieden, einsam oder traurig, dauerhaft gestresst, erschöpft, ausgebrannt oder bereits belastet fühlst.
Geringe Selbstwahrnehmung, ausgeprägte Selbstkritik oder hoher Leistungsanspruch an sich selbst, Verdrängungs- und Vermeidungsmechanismen, Angst vor Veränderungen – vielen kann dazu beitragen, warum Menschen nicht rechtzeitig innehalten und sich mit ihrem Befinden beschäftigen.
Negative Zustände werden so über lange Zeiträume verschleppt. Du kennst es von Erkältungssymptomen: Du fühlst dich irgendwie angeschlagen, hast ein paar Symptome, aber eine richtige Erkältung oder Grippe bricht nicht aus. Also lässt du es laufen und kümmerst dich nicht weiter drum. Doch dann führt diese verschleppte subtile Erkältung dazu, dass du früher oder später mit einem dicken und hartnäckigen Infekt flachliegst und es dir so richtig dreckig geht. Schon mal erlebt?
Psychische Belastung ist nicht anders – es ist der Nährboden für weitere ernstzunehmende psychische und physische Belastungen, Beschwerden oder sogar Erkrankungen. Daher besteht allemal die Dringlichkeit, sich mit dem Thema zu beschäftigen.
Wie gehst du mit deinem Befinden um?
Horche an dieser Stelle in dich hinein, ob du ähnliche Sätze/Gedanken von dir kennst:
„Ich bin so erschöpft. Ich brauche dringend Urlaub. Oder eine Auszeit. Dann wird es schon wieder besser.“
„Wenn ich anfange mich mit meinen ganzen Themen zu beschäftigen, dann finde ich immer mehr und mehr und mehr. Am besten ich fange erst gar nicht an.“
„Es hat mich so aus der Bahn geworfen, was passiert ist, aber ich habe keine Zeit zu trauern. Ich muss da einfach durch.“
„Ich kann es mir einfach nicht leisten kürzer zu treten oder mich jetzt um mich zu kümmern. Zu vieles hängt an mir. Wie soll alles weiter funktionieren?“
„Der viele Stress aktuell ist nur eine Phase. Es ist einfach viel los zur Zeit. Das wird schon wieder besser, wenn die Aufgaben und Projekte abgeschlossen sind. Manches muss man einfach aussitzen und aushalten. Da müssen wir schließlich alle durch.“
Ich muss dir nicht ins Gewissen reden, wenn du dich wiedererkennst. Ich bin mir sicher, tief in dir wirst du wissen, was dich weiterbringt oder dich immer tiefer runterzieht.
Definition psychische Belastung
Ich formuliere für dich eine Definition, mit der ich selbst in meiner Praxis arbeite:
“Psychische Belastung ist ein individueller körperlicher, geistiger wie seelischer Zustand, bei dem du merkbar aus deinem Gleichgewicht und Wohlbefinden gebracht bist. Es ist ein sensibler Übergang zur drohenden Entwicklung oder Verschlimmerung weitreichender gesundheitlicher Probleme.”
Wenn du tiefer in die Definition und das Verständnis der dahinterliegenden Prozesse einsteigen willst, biete ich dir an, Mitglied bei HPH-Psychologie (Öffnet in neuem Fenster) zu werden.
Vier Kriterien zur Beurteilung deiner psychischen Belastung
Für das Verständnis von psychischer Belastung ist es wichtig zu verstehen, dass es sich um kein Konzept handelt, in das du und hundert anderer Menschen hineinpassen. Psychische Belastung ist ein hoch individueller Zustand und darf nicht verallgemeinert werden. Die folgenden Kriterien können dir helfen, dich konstruktiver mit deinem Befinden zu beschäftigen und deine psychische Belastung besser zu beurteilen. Um die Kriterien nochmal besser zu verstehen, lade ich dich zu meinem kostenlosen Vortrag ein (Öffnet in neuem Fenster). Du kannst dich unkompliziert eintragen und erhältst sofort Zugriff (Öffnet in neuem Fenster).
Zeitverlauf
Das erste Kriterium beschreibt die Entwicklung deines Wohlbefindens im Laufe der Zeit. Gemeint ist der Prozess, wenn dein Wohlbefinden abnimmt. Zuerst bemerkst du es vielleicht nicht, aber nach gewisser Zeit fällt dir auf, dass du dich unwohl fühlst. Als stündest du neben dir. Oder als wäre dir eine Leichtigkeit abhandengekommen und du würdest dich gedrückt, schwermütig, irgendwie unzufrieden oder unerfüllt und eben belastet fühlen.
Hier ein Beispiel:
Es passiert etwas in deinem Leben, das dich aus der Bahn wirft. Ein Verlust, ein schlimmer Streit, eine Trennung oder eine große Veränderung. Etwas also, das du bewältigen musst, das dich beschäftigt und mitnimmt. Kurz nach dem Ereignis steckst du noch in der Verarbeitung und stehst vielleicht sogar unter Schock. Dennoch machst du erstmal weiter und hältst deinen Alltag am Laufen. Doch auch nach Wochen fühlst du dich nicht deutlich besser oder entlasteter. Es nimmt dich immer noch mit. Du steckst mitten in der Trauer oder in einem anderen Prozess. Du kriegst noch nicht „die Kurve“ nach oben, sondern trittst entweder auf der Stelle oder merkst bereits, dass es dir zunehmen schlechter geht.
Intensität
Das zweite Kriterium beschreibt dein inneres Belastungsempfinden. Nur du weißt, wie es tatsächlich in dir aussieht und kannst am besten beurteilen, ob und wie sehr du dich bereits belastet fühlst.
Psychische Belastung ist nicht gleichzusetzen mit einem doofen Tag oder blöden drei Tagen, sondern beschreibt einen länger andauernden Zustand, in dem du verschiedene emotionale, gedankliche oder körperliche Veränderungen an dir bemerkst, die dich belasten und dein Wohlsein beeinträchtigen.
Wie fühlst du dich?
Was bedrückt dich?
Fühlst du dich vielleicht dauerhaft gestresst, getrieben, angespannt, dadurch ruhelos, zunehmend kraftlos oder unmotiviert? Hast du Schwierigkeiten abzuschalten und tatsächlich in Erholung zu kommen, sodass du das Gefühl hast deine Batterien aufzuladen?
Bist du seit einiger Zeit schneller genervt, schneller gereizt oder ungeduldig? Gehst vielleicht schneller auf Barrikaden und reagierst weniger entspannt, humorvoll oder gelassen, als du es sonst von dir kennst?
Hast du mehr Stimmungsschwankungen, als früher? Oder bist du näher am Wasser gebaut, als sonst? Reagierst empfindsamer? Oder kannst weniger gut mit Kritik umgehen?
Bist du vielleicht besorgter, ängstlicher und unsicherer geworden? Haben sich Zweifel und Sorgen in dir vermehrt und kommst du immer wieder ins ergebnislose Grübeln? Kannst das Gedankenkarussell schlechter oder gar nicht abstellen?
Plagen dich andere unangenehme Gefühle, wie Scham- oder Schuldgefühle, Einsamkeit oder fühlst du dich immer wieder total überfordert oder sogar hilflos?
Gibt es körperliche Beschwerden, die zugenommen haben? Verspannungen, Schmerzen oder Verdauungsbeschwerden? Wie gut schläfst du und ist dein Schlaf erholsam? Bist du anfälliger geworden für Infekte? Oder gibt es etwas anderes, das dir an deinem körperlichen Wohl auffällt und Sorgen bereitet?
Veränderungen
Das dritte Kriterium meint Veränderungen in deinem Erleben und Verhalten. Psychisch belastete Menschen durchlaufen einen individuellen Prozess einer „Wesensveränderung“. Das bedeutet nicht, dass sie zu anderen Menschen werden. Aber wie sie wahrnehmen, bewerten, sich in verschiedenen Situationen verhalten und im Außen wirken, das kann sich verändern. Es ist ratsam, nahestehende Menschen zu befragen, welche Veränderungen an dir ihnen auffallen und natürlich dich selbst zu reflektieren.
Hier ein Beispiel:
Früher warst du vielleicht ein Spaßvogel, eine Person zum Pferdestehlen. Mit dir konnte man immer gut schnacken und du warst äußerst aktiv, viel und gerne unterwegs und dabei immer spontan und offen. Du warst humorvoll, gelassen und dich hat so schnell nichts aus der Bahn geworfen. Nun bist du in letzter Zeit irgendwie ernster geworden. Ja, sogar etwas wortkarg. Du kannst nicht mehr über jeden Blödsinn lachen, bist auch weniger spontan und nicht mehr für jede Verabredung und jede Aktivität zu haben. Du bist vielleicht kritischer geworden und verfolgst viel mehr, als früher, bestimmte Ideale und Vorstellungen. Irgendwie bist du „verhärtet“. Das nehmen auch andere an dir wahr und wundern sich. Es kann sogar sein, dass du anfängst, dich aus deinen Kontakten zurückzuziehen. Oder du beginnst deinen inneren Zustand mit aufgesetztem Verhalten zu überdecken. So nach Motto: „Alles bestens bei mir!“
Unter diese Kategorie fällt auch das Konsumverhalten. Rauchst du mehr als früher oder versuchst du etwas mit Alkohol zu kompensieren? Flüchtest du dich ins Netflix, um dich von etwas abzulenken? Oder tätigst du aktuell mehr „Frust-Einkäufe“, als früher? Wie ist dein Essverhalten? Und wie sieht es mit deiner Sexualität aus?
Alltagstauglichkeit
Das vierte Kriterium meint die Bewältigung deines Alltags und wie gut es dir gelingt, deinem Alltagstrubel gerecht zu werden und deine Aufgaben zu meistern.
Bei psychischer Belastung erleben Menschen ihren Alltag oft als anstrengend und als Belastung für sich. Es kostet sie mehr Überwindung, mehr Kraft oder Zeit Dingen nachzugehen, die früher irgendwie leichter von der Hand gingen. Die Motivation, der innere Antrieb, die Freude oder auch das Sinnempfinden sind nicht mehr so gut spürbar, wie früher.
Hier ein Beispiel:
Wenn du dich psychisch belastet fühlst, kann es sein, dass du das Gefühl, hast weniger Energie zu haben, als früher. Du fühlst dich vielleicht schwerfälliger. Deine Konzentrationsfähigkeit hat nachgelassen und du kannst dir Informationen schlechter merken, bist schneller reizüberflutet und kannst nicht mehr so gut Entscheidungen treffen. Auch deine Arbeitsfähigkeit und deine Leistungsfähigkeit haben abgenommen, jedoch versuchst du alles (und noch mehr), um das alte Niveau aufrecht zu erhalten. Am liebsten würdest du bestimmte Aufgaben liegen lassen und du merkst, dass du immer wieder in die Vermeidung gerätst und prokrastinierst.
Fazit
Psychische Belastungen können jeden Menschen treffen. Die Ursachen können vielfältig sein, genauso wie sich psychische Belastung für jede Person etwas anders anfühlen kann.
Wichtig nun ist zu wissen, dass psychische Belastung einen sensiblen Zustand darstellt. Je länger du in diesem sensiblen Zustand verharrst, desto höher ist das Risiko, dass dein Zustand sich nicht von alleine bessert, sondern du in eine Abwärtsspirale gerätst. Aus einer Abwärtsspirale auszusteigen wird immer schwieriger, je tiefer du fällst. Und die Konsequenzen sind, dass sich aus psychischer Belastung weitreichendere Beschwerden, Probleme oder sogar Erkrankungen entwickeln können. Umso wichtiger ist es, dass du lernst, dich frühzeitig mit deinem Befinden zu beschäftigen und dich mit dem, was du wahrnimmst und was dir Unwohlsein bereitet, konstruktiv auseinandersetzt.
Ich danke dir für deine Zeit und Aufmerksamkeit.
Dieser Artikel erschien auch auf meinem Blog (Öffnet in neuem Fenster). Besuche gerne meine Homepage (Öffnet in neuem Fenster)und lerne mich näher kennen.