Und kurz vor Ende ertönt das Olsenbanden-Lied
Viele verbinden Fußballfans aus dem Osten mit Nazis. Das ist in dieser Pauschalität sowieso falsch. Erst recht falsch ist die Zuschreibung in Potsdam. Dort trotzen Stadtteil, Verein und Fanszene dem momentanen Rechtsruck: willkommen in Babelsberg, willkommen bei Babelsberg 03.
Mit Maik besuchte ich das Heimspiel von Babelsberg 03 gegen den BFC Dynamo. Und blicke in diesem Artikel zugleich auf zwei Auswärtsspiele des letztjährigen Sommers zurück: Babelsberg 03 beim Wiener Sport-Club und im Liga-Alltag in Eilenburg. (Fotos von Maik J. und mir)
03.08.2024 Babelsberg 03 gegen BFC Dynamo
Potsdam-Hauptbahnhof: Polizist*innen begleiten eine Gruppe BFC-Fans durch den Bahnhofsgang. BFC? Der berühmt-berüchtigte Mielke-Club. Rekordmeister in der DDR. Bei Fans anderer Vereine verhasst.
Potsdam-Babelsberg, zwischen S-Bahnhof und Karl-Liebknecht-Stadion: „Stinkende BFCer“, sagt ein kleiner Junge und fängt sich ob dieser Wortwahl sofort einen Tadel ein.
Maik und ich folgen dem Strom der Babelsberg-Fans zum Stadion. Maik im 120-Jahre-Trikot von Babelsberg 03, ich im Audiolith-Shirt. Beides passend: Verein und Fans pflegen ein alternatives Image - Fußball, Kultur und Politik gehören fest zusammen. „FC St. Pauli des Ostens“, eine verbreitete Beschreibung. Die Fanszenen jedenfalls mit engen Verbindungen.
Heute also: Der linke Verein aus Babelsberg gegen den Berliner Fussball Club Dynamo, dem der gegenteilige Ruf vorauseilt.
„Man darf nicht alle über einen Kamm scheren“, meint K. über die BFC-Fans. Dieser Spruch mag häufig auf einem typischen Relativierungsreflex beruhen, aber K. ist eine glaubwürdige Quelle. St.Pauli- Tätowierungen, Kenner der Berliner Fußballszene. Und kein BFC-Fan, sondern mit uns im Heimbereich auf der Gegengeraden.
K. erzählt von linken BFC-Fans, die er kennt. Ein Arbeitskollege zum Beispiel. Absolut stabil! K. verweist auch auf „Hoolywood“ - ein linkes Modelabel, das in der BFC-Fanszene verwurzelt ist und sich als „antirassistisch-erlebnisorientiert“ bezeichnet.
Maik schaut skeptisch.
21.07.2023 Wiener Sport-Club gegen Babelsberg 03
„Nordkorea ist ein Arbeiterstaat, der das Recht auf Atomwaffen hat.“
Die Anwohner*innen und Passant*innen in Wien-Hernals blicken irritiert auf die deutlich dreistellige Anzahl an Fußballfans, die vom Bahnhof Hernals über die Hauptstraße Richtung Stadion des Wiener Sport-Clubs ziehen. Und dabei den Verkehr blockieren.
„Babelsberg international“ prangt auf weiß-blauen T-Shirts. Die Fans hochgradig motiviert. Ansonsten auswärts in Altglienicke, Meuselwitz und Eilenburg, heute in der österreichischen Hauptstadt. Lautstark dargebrachte Fanlieder, manche zünden Rauchtöpfe. Die Kiberer überrascht, zu Beginn minimale Polizeipräsenz. Hektisches Telefonieren. Und vermutlich bei Anwohner*innen, Passant*innen und Uniformierten dieselbe Frage: „Who the fuck is Babelsberg 03?“
Wiener Sport-Club gegen Babelsberg 03: Hier treffen zwei antifaschistische und linke Fanszenen aufeinander. Hinter dem Heimbereich des Stadions informiert die Rote Hilfe Wien mit einem Stand, Banner auf der Friedhofstribüne unterstreichen die politische Ausrichtung: “Love Sportclub - Fight Facism”.
Zwei Fanszenen, die ihre Leidenschaft aber höchst unterschiedlich ausleben. Die Babelsberger*innen im Ultra-Stil, die Wiener*innen mit Oldschool-Support. Auch beim Einsatz von Pyrotechnik lassen sich an diesem Tag Unterschiede erkennen.
Die Babelsberger*innen nun im Stadion, rund 500 Fans. Viel mehr als bei den meisten Auswärtsspielen in der Regionalliga Nordost.
Für die Fans ein Erlebnis, auf das sie sich seit Monaten gefreut haben. Und das sie ihr Leben lang in Erinnerung behalten werden. Es war während des unangekündigten Fanmarsches zu spüren, es ist im Stadion mit dem schlichten Namen Wiener Sport-Club Platz zu spüren. Als das Babelsberg-Lied ertönt, kullern bei manchen Anhänger*innen die Tränen über die Wangen. „Gänsehaut“, ruft ein vor mir stehender Fan seinen Umstehenden zu.
Durchgehend Pyrotechnik, durchgehend Fangesänge – ein Auftritt des Irrsinns. Hat jemals eine Fanszene in einem österreichischen Stadion dermaßen viele pyrotechnische Erzeugnisse über die gesamte Spiellänge gezündet? Ich bezweifele dies.
Einziger Störfaktor: Eine kleine Gruppe, die wenige Ränge unter Maik und mir steht, präsentiert eine DDR-Fahne. Maik, in der DDR aufgewachsen, mit Punkrock sozialisiert, schaut wenig begeistert. Viele teilen seinen Ärger.
Hitzige Wortgefechte, Handgemenge. Und dieser Konflikt bricht während den gesamten 90 Minuten immer wieder auf. Über die komplette Spiellänge: Pyrotechnik, Fangesänge, Fans in Ekstase – und Tumulte.
Die Polizei hat die Lage währenddessen analysiert – ihr offenkundiges Fazit: Risikospiel!
Wir verlassen den Gästebereich des Stadions und treffen auf ein erstaunliches Polizeiaufgebot. Uniformierte stehen in Reih und Glied, blockieren den Weg zum Heimbereich. Aufregung nach Ansage der Polizei: Wenn die Babelsberg-Fans wie beim Fanmarsch erneut Fangesänge anstimmen und Pyrotechnik anzünden, droht Zugriff. Explizit auch Fangesänge verboten … Eine Mitarbeiterin des Fanprojekts informiert hektisch die Fans, die gut gelaunt das Stadion verlassen.
„Die haben das Spiel verwechselt“, ist sich ein Fan des Wiener Sport-Clubs sicher. Die Babelsberger*innen aufgrund des Polizeiaufgebots in heller Aufregung. Die beiden WSC-Fans, mit denen Maik und ich vor einer Kneipe nahe des Gästeeingangs sitzen, kann dagegen nichts erschüttern. Diese Kiberer, so ihre in Wienerischem Schmäh vermittelte Botschaft, dumm wie Brot.
https://www.youtube.com/watch?v=ifQKmkzpMS4 (Öffnet in neuem Fenster)03.08.2024 Babelsberg 03 gegen BFC Dynamo
Zurück in Babelsberg, zurück in der Gegenwart. Maik, K. und ich betreten das Karl-Liebknecht-Stadion. Knapp über 3.000 Heim- und Gästefans werden sich heute einfinden. Im Eingangsbereich streckt eine junge Frau eine Spendendose entgegen. Die Babelsberger Fanszene sammelt heute für eine Anhängerin, die unter einem Hirntumor leidet und Geld für ein neuartiges Medikament als letzte Chance benötigt. (Öffnet in neuem Fenster)
Aus den Lautsprechern erschallt das Babelsberg-Lied von Schabulke. Kein Fußballlied, sondern eine Ode an den Stadtteil. Und ein Lied, welches das Lebensgefühl vieler Einheimischer auf den Punkt bringt.
https://www.youtube.com/watch?v=_q7kwODuRy4 (Öffnet in neuem Fenster)Wir sind im Osten. Im anderen Osten.
Im Stadion überall erkennbar, dass sich das antifaschistische und linke Engagement nicht nur auf die Fanszene beschränkt. Trikots mit regenbogenfarbenem Vereinsemblem, 5 Euro pro Trikot spendet Babelsberg 03 an die Amadeu-Antonio-Stiftung. Werbebande der „taz“. Bio-Wurst, vegane Essensstände.
Im Gästeblock sammeln sich mehrere Hundert BCF-Fans. Richtig laut werden sie bei „Ihr seid asoziale Zecken …“ und „Babelsberger Hurensöhne“.
K. wirft ein, dass dieses besondere Spiel beim ”Zeckenverein” verstärkt rechtes Klientel anziehen könnte. Und die linken BFC-Fans eventuell lieber zu Hause geblieben sind.
Maik schaut skeptisch.
Insgesamt aber ein friedliches Ambiente. Die BFC-Fans provozieren, unterstützen aber auch ihre eigene Mannschaft. Nennenswerte Verfehlungen verbaler oder anderer Natur bleiben aus.
Die Stimmung auf Heimseite erinnert eher an ein Freundschaftsspiel. Zumindest an unserem Standort, auf der Gegengeraden, zwischen überdachter Osttribüne und dem Filmstadtinferno, das sich auf der Gegengeraden Richtung Gästeblock postiert.
Ein Funke, der von den Fans auf das Team überspringt? Welcher Funke?
Das liegt vornehmlich an der unglücklichen Situation in der Fanszene sowie der damit zusammenhängenden Auswahl der Standorte. Die engagierten Fans des Filmstadtinferno, die mit Ultrà Sankt Pauli eine Freundschaft pflegen, leiden unter dem fehlendem Dach. Die Gesänge und Anfeuerungsrufe entschwinden in den wolkenlosen Himmel, von dem die Sonne auf das Karl-Liebknecht-Stadion knallt.
Auf der Osttribüne andere Ultra-orientierte Gruppierungen, die sich ebenfalls aufgespalten haben. Eine größere Gruppe Richtung Haupttribüne, eine kleine Gruppierung einige Dutzend Meter entfernt Richtung Gegengerade. Drei Stimmungszentren – eine leicht absurd wirkende Szenerie.
Mein Herz ist beim Filmstadtinferno, mein Kopf bei der überdachten Tribüne.
Das Spiel sorgt derweil nicht dafür, dass die Emotionen auf den Rängen überschäumen. In der ersten Hälfte ist der BFC Dynamo deutlich überlegen und geht in Führung. Die Babelsberger zeigen sich in der zweiten Hälfte besser. In der 89. Minute dann die Erlösung, der Ausgleich. Aus den Lautsprechern ertönt die Tormusik.
Das Olsenbanden-Lied.
Wir sind im Osten. Im anderen Osten.
04.08.2023 FC Eilenburg gegen Babelsberg 03
Eine Woche nach dem Spiel von Babelsberg in Wien fahre ich zum Auswärtsspiel nach Eilenburg. Alltag in der Liga, eine andere Welt. Am Bahnhof in Eilenburg würde der Regionalbus pünktlich losfahren, wenn der Busfahrer das Prinzip des Deutschlandtickets verstanden hätte. Zwei Babelsberg-Fans zeigen ihre Plastikkarte aus Brandenburg vor, der Fahrer scheint überrascht angesichts dieser für ihn exotisch wirkenden Karten. Und zweifelt deren Gültigkeit an.
Die Polizei ist vorbereitet. Am Stadion kontrastiert die beeindruckend große Polizeipräsenz mit der dörflich-friedlichen Atmosphäre. Ein Antifa-Mob aus Potsdam, der Eilenburg in Schutt und Asche legt: So offenbar das Szenario der Staatsgewalt.
Insgesamt 580 Zuschauer*innen, davon mindestens 150 aus Babelsberg. Ich stelle mich seitlich zu Filmstadtinferno und Co., direkt am Übergang zum Heimbereich auf der Haupttribüne. In Eilenburg passen Heim- und Gästefans auf eine Seite, das weite Rund ansonsten leer. Die Polizei auch im Stadion präsent, wenige Meter vom Babelsberger Stimmungsblock und mir entfernt im Heimsektor, konsequent filmend. Ich bekomme davon wenig mit, weil die Babelsberger*innen Sichtschutz angebracht haben. Die Polizei filmt vornehmlich Transparente und Co.
Idyllisches Ambiente, Stimmung nur im Babelsberg-Block. Wie beim Wiener Sport-Club durchgehend, nur ohne Pyrotechnik. Und längst nicht so laut. Das Heimpublikum erstaunt ob des Supports, in der Regionalliga Nordost nicht alltäglich.
Eilenburg ist nicht Wien. Aber Babelsberg ist Babelsberg. Auf den Rängen und auf dem Platz. Wie auf dem Wiener Sport-Club Platz zeigt das Team eine überzeugende Leistung und gewinnt. Die Fans jubilieren.
Ich verabschiede mich und fahre weiter nach Leipzig-Connewitz. Treffe dort Freund*innen im Könich Heinz. Im Osten. Im ganz anderen Osten.
03.08.2024 Babelsberg 03 gegen BFC Dynamo
Das Spiel vorbei, die Pfandbecher gespendet.
Wir sitzen auf Bierbänken vor einem Döner-Imbiss, unmittelbar an der S-Bahnstation Babelsberg. K. beobachtet die Szenerie, will mitbekommen, ob noch etwas passiert. Braucht das Adrenalin, meint er. Als Beobachter, nicht als treibende Kraft.
Zwei BFC-Fans, oberkörperfrei, bestellen Essen im Döner-Imbiss. Unter Argusaugen von zwei Polizisten, die ihnen bis vor die Tür gefolgt sind. Draußen auf den Bierbänken sitzend und daneben stehend vornehmlich ältere, Bier-affine Babelsberg-Fans. Eine kleine Gruppe ebenfalls älterer BFC-Fans passiert die Szenerie, einer klatscht mit einem Babelsberger ab. „So muss das sein“, meint der BFCer. Vereinzelt Anti-BFC-Slogans von anderen.
Überraschend führt die Polizei den großen Pulk an BFC-Fans direkt zum S-Bahnhof Babelsberg. Etwas Unruhe, Uniformierte ziehen einen BFCer heraus und kontrollieren ihn. Unmut bei den wartenden Fans.
Eine Glasflasche schlägt auf dem Asphalt auf. Scherben. Blut. Ein älterer Babelsberg-Fan hat beim Verlassen des Imbisses auf der Stufe sein Gleichgewicht verloren und den Sturz mit der verkorkten Bierflasche in der Hand aufgefangen. Andere eilen zur Hilfe, die Bedienung des Imbisses stellt Pflaster bereit.
Im Osten. Im anderen Osten.
Besucht auch gerne meinen Blog “Krimiperlen”, auf dem ich politisch relevante Krimis vorstelle. Jüngst habe ich einen Artikel über Sara Paretsky veröffentlicht - eine Ikone der feministischen Kriminalliteratur! (Öffnet in neuem Fenster)