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Hintergrund: Zehnmal Rätsel der gebauten Umwelt

Die Welt ist bekanntlich voller Dinge, die man öfters sieht, ohne zu wissen, was sie genau sind, wofür sie gut sind oder wie sie heißen, und das gilt für die Welt des Bauens mindestens so sehr wie für alles andere. Ich habe über Monate hinweg Schnappschüsse von solchen Sachen gesammelt und freue mich, euch hier meinen ersten Hingucker-»Listicle« präsentieren zu können – in der Hoffnung, dass wenigstens ein paar Wörter oder Erklärungen für euch neu sind.

1. Die Dübelabdrücke

Dübelabdrücke sind ein bisschen ein Hingucker-Klassiker, da sie in mindestens zwei Videos vorkommen und auch angesprochen werden (in Weimar (Öffnet in neuem Fenster) und in Herford (Öffnet in neuem Fenster)). Sie entstehen bei sogenannten Wärmedämmverbundsystemen, bei denen Dämmstoffe mit Dübeln an einer Wand befestigt wurden, aufgrund von falscher Planung oder schlechtem Material. Der Metalldübel leitet die Wärme besser als der Dämmstoff, daher ist die verputzte und gestrichene Wand über dem Dübel punktuell wärmer als ihre Umgebung und reagiert anders auf Wetter, Schmutz, Staub, Algen und so weiter. Mit den Jahren entsteht ein Fleckenmuster. In besonders schweren Fällen kann man auch die Stoßfugen zwischen den Dämmplatten erkennen.

2. Das Feuerwehrschlüsseldepot

So eine unauffällige Metallklappe gibt es an praktisch jedem größeren öffentlichen Gebäude. Sie wird freigegeben, wenn die Brandmeldeanlage auslöst. Die Feuerwehrleute können ihr die Schlüssel entnehmen, die sie brauchen, um sich im Gebäude zu bewegen. Das in aller Kürze – wenn man sich näher damit beschäftigt, wird es sehr schnell sehr komplex.

3. Der geschlossene Öffnungsflügel

Es gibt Fenster, die man öffnen kann, und feststehende Scheiben, sogenannte Festverglasungen. Feste Scheiben haben verschiedene Vorteile, unter anderem können sie bei schmalerem Rahmen größer sein. Hat man aber eine Festverglasung, braucht man in der Regel trotzdem eine Öffnung zum Lüften, den sogenannten Öffnungsflügel. Der kann aus Glas sein, in den letzten Jahren geht bei vielen profilierten Bauprojekten der Trend aber zu geschlossenen Öffnungsflügeln aus Holz, Metall oder Verbundmaterialien. Ebenso wie gewöhnliche Fensterflügel kann man sie drehen und/oder kippen. (Ich habe die Dinger jahrelang immer »Luftklappen« genannt, aber »geschlossener Öffnungsflügel« scheint fachsprachlich am korrektesten zu sein.) Mein Foto zeigt einen Neubau der Uni Jena. Was man hinter der Steinverblendung nicht sieht bzw. nur erahnen kann, ist, dass die Fenster aus Massivholz konstruiert sind (wenn ich mich recht erinnere, von einer Bauschreinerei aus der Region), ich gehe daher davon aus, dass die Paneele mit den Öffnungsflügeln hier auch aus Holz sind. Ein prominentes Beispiel für geschlossene Öffnungsflügel ist der Neubau des Suhrkamp-Verlags in Berlin, den ich vor einiger Zeit gefilmt habe. (Öffnet in neuem Fenster) Mir wurde berichtet, dass man in den entsprechenden Öffnungen dort regelmäßig Leute rauchen sehen kann.

4. Der zweite Fluchtweg

Nach dem Baurecht aller deutschen Bundesländer brauchen Gebäude, die Räume zum Aufenthalt von Menschen enthalten, zwei unabhängige Rettungswege, über die man sie beispielsweise im Brandfall verlassen kann. Der erste Fluchtweg ist immer ein Treppenhaus, der zweite Fluchtweg kann unter Umständen durch die Feuerwehr über die Fenster gewährleistet werden. Da das Retten von Personen über Feuerwehrleitern aber zeitraubend ist und manche Menschen (wie etwa Kinder, Kranke oder Menschen mit Mobilitätseinschränkungen) gar nicht sinnvoll über Leitern gerettet werden können, muss ggf. ein eigens gebauter zweiter Fluchtweg her. Dies passiert oft dann, wenn ältere Gebäude saniert werden und dadurch der Bestandsschutz erlischt, so dass das Bauwerk auf den neuesten Stand der Vorschriften gebracht werden muss. Und die typische Form ist eine mehr oder minder geschmackvolle, mehr oder minder unauffällige, außen angebaute Stahltreppe.

Wenn man eine solche Stahltreppe an einem Gebäude sieht, kann man praktisch immer davon ausgehen, dass es vor verhältnismäßig kurzer Zeit saniert wurde und dass seine Obergeschosse nicht bloß konventionelle Wohnungen enthalten. Die Bauweise als Wendeltreppe auf dem zweiten Foto ist übrigens meines Wissens nicht überall ohne Weiteres genehmigungsfähig. In Jena gibt es sehr viele davon, was vermuten lässt, dass es hier Leute gibt, die sie gerne planen, Firmen, die sie gerne herstellen, und nicht zuletzt ein Bauamt, das sie akzeptiert.

5. Das Brise-soleil

»Brise-soleil« heißt soviel wie »Sonnenbrecher«. Gemeint ist eine Anordnung von Lamellen, die ein Fenster oder eine ganze Fassade abschattet, wenn die Sonne steil steht, aber tiefstehende Sonne einlässt und die Aussicht nach draußen nicht verbaut. Es gibt unzählige Varianten, vom kleinen Metallrost, der wie ein Kellergitter aussieht, das sich verlaufen hat, bis hin zu riesigen Konstruktionen, die aussehen wie gewaltige Roste aus Beton oder Tankstellendächer, bei denen aus unerfindlichen Gründen die Mitte fehlt. Manchmal denke ich mir, ich sollte darüber mal ein eigenes Video machen.

6. Der Erdwärmetauscher

Viele neue oder energetisch sanierte Gebäude mit Lüftungsanlagen saugen Außenluft nicht direkt irgendwo durch ein Loch in der Wand, sondern durch einen Kanal im Erdreich. Der sogenannte Erdwärmetauscher wärmt die Frischluft im Winter vor und kühlt sie im Sommer ab. Man sieht davon nur einen mehr oder minder geschmackvoll gestalteten Lufteinlass. Die klobige Bauweise, die hier zu sehen ist, stellt sicher, dass ein einparkender Lastwagen den Einlass nicht versehentlich zu Klump fahren kann, was bei innerstädtischen Objekten (vor allem, aber nicht nur, in Bodennähe) ein ständiges Risiko ist.

7. Das Schneefangsystem

Kleine Zäune oder rustikale Rundhölzer auf Dächern, das kennt man: Sie sollen Schnee davon abhalten, in sachbeschädigender bzw. gesundheitsgefährdender Menge vom Dach zu rutschen. Die merkwürdigen Haken im Dach gehören interessanterweise dazu: Sie verankern die Schneeschicht und entlasten so den Zaun. Vorhandensein, Anzahl und Größe der Zäune und Haken haben mit Landesbauordnungen, Höhe sowie vermutlich auch Vorgaben der Gebäudeversicherungen zu tun. Deutschland ist übrigens, wie viele europäische Länder, durch DIN/EN-Norm in mehrere Schneelastzonen eingeteilt, die meteorologische Erkenntnisse und Erfahrungen dazu umsetzen, wie viel Schnee in welchen Landschaften zu erwarten ist.

8. Die Vorstellbalkonanlage

Balkone kennt man, und solche wie auf dem Bild sind auch nicht gerade selten. Das Besondere an den hier gezeigten ist, dass sie nachträglich zum Gebäude hinzugefügt worden sind und auf eigenen Beinen stehen: Die Balkone einer Achse (also einer vertikalen Fassadeneinheit) bilden eine Konstruktion, die nicht am Gebäude hängt, sondern davor gestellt ist – daher »Vorstellbalkone«. Der Anschluss der Stahlkonstruktion an das bestehende Gebäude ist dabei nicht ganz trivial, weil dort starke Wärmeverluste entstehen können.

9. Die überstehende Brandwand

Das hier gehört definitiv zu den Details unserer gebauten Welt, die man ein Leben lang übersehen kann. Aber sobald es einem einmal auffällt, verfolgt es einen, weil man es wirklich an jeder Ecke sieht. Ein Gebäude, das an ein anderes angrenzt, muss nach deutschem Recht mit einer feuerbeständigen Brandwand abschließen, für die bestimmte Anforderungen gelten (z.B. auch so etwas wie eine bestimmte Standfestigkeit, auch nachdem sie dem Feuer ausgesetzt war). Damit diese Wand überschlagende Flammen auch im Dach selbst etwas entgegensetzt, muss sie etwas höher gezogen sein als das Dach selbst (oder sie muss eine beidseitige feuerbeständige Auskragung haben). Wie man hier sieht, gilt das auch, wenn das Nachbargebäude höher ist. Dieser Überstand kann wärmegedämmt sein, hier ist auf jeden Fall Blech als Nässeschutz drüber.

10. Die merkwürdigen Quadrate

Jetzt wird es endgültig esoterisch und das Folgende ist auch nur eine Hypothese – wenn sie falsch sein sollte, sagt mir bitte Bescheid! Ich habe noch nicht einmal herausfinden können, wie diese Steine von den Herstellern benannt werden, aber man sieht sie öfters vor den typischen luftdurchlässigen Türen zu Technikräumen, und zwar in aller Regel nur bei größeren Gebäuden in innerstädtischer Lage. Dort gibt es nämlich keinen Platz, um Trafohäuschen oder unterirdische Trafostationen einzurichten, also gibt es im Gebäude selber einen Transformator zur Stromversorgung. So ein Trafo ist tonnenschwer, bei so einem Traforaum in der Wand eines großen Gebäudes kommt man aber nicht von oben mit einem Kran hinein, und deswegen ist es üblich, die brummenden Dinger auf speziellen Schienen an ihren Platz zu schieben. Damit man den Trafo später wieder herausziehen und reparieren oder ersetzen kann, gibt es (und das ist wie gesagt eine Vermutung, wenn auch eine begründete) Fundamente, um temporär ein Paar Schienen vor der Tür aufzubauen. Interessant bei diesem Foto ist, dass man für so eine Aktion hier offensichtlich nicht bloß die Türen öffnen, sondern auch ein Stück der Metallfassade abbauen muss. Alle paar Jahrzehnte kann man das verschmerzen.

– Das war also das, wenn ich richtig sehe, erste von hoffentlich vielen Hingucker-Hintergrundpostings. Wenn ihr Rückmeldungen oder Ideen für weitere Themen habt, schreibt mir gerne!

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Kategorie Hintergrundwissen

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