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Die Melancholie der Liebe

Schweiss rinnt über ihre Stirn, während sie kräftig in die Pedale tritt. Ein Tropfen findet seinen Weg über die Schläfe und den Wangenknochen, bis er schliesslich im Mundwinkel zum Stillstand kommt. Wie eine Träne. Und wie Tränen schmecken Schweisstropfen salzig. Tränen, die sie nicht zulassen kann. Also flüchtet sie in die Anstrengung. Ablenkung. Für die einen ist es Alkohol, Zigaretten, zu viel Schokolade… Sie hat sich diesmal für die Anstrengung entschieden.

1’400 Höhenmeter mit dem Bike - wird schon gehen. Die Tourenbeschreibung klang aber auch zu gut: “Nebst einer wirklich tollen, anspruchsvollen Abfahrt bietet diese Tour besondere landschaftliche Höhepunkte.” Von “Panoramen von wirklicher Schönheit” war die Rede und der Krönung mit einem “flowigen, schön langem Singletrail durch den Wald”. Das war nicht zu viel versprochen. Anstrengend, ja, aber auch das schönste Panorama der letzten Touren. Und der Trail durch den Wald war Genuss pur. Flowig. Der Glücksforscher mit dem unaussprechlichem Namen Mihály Csíkszentmihályi definierte Flow folgendermassen: “das als beglückend erlebte Gefühl eines mentalen Zustandes völliger Vertiefung und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit, die wie von selbst vor sich geht”.

Flow ist also ein Glücksgefühl und das hatte sie an diesem Sommertag definitiv. Auch wenn der Anstieg eher einer Tortour glich, der erst einmal alle anderen Gedanken verdrängte. Später, am Abend, sollte sie von diesem Glücksgefühl noch zehren – sie wurde nämlich versetzt. Wegen einem Fussballspiel der Azzurri.

Als sie morgens aufwacht, schmerzen ihre Muskeln. Schön, mal die Muskeln zu spüren und nicht das schmerzende Herz. 'Das Herz ist doch auch ein Muskel' denkt sie sich als sie in die Küche schlurft um Kaffee zu kochen.

Später, auf der Yogamatte, passiert genau das, wofür sie diese Praxis so liebt: durch die achtsame Wahrnehmung ihres Körpers, ausgelöst durch die behutsame Dehnung nach der Anstrengung des Vortages, nimmt sie auch ihre Gedanken und Gefühle langsam wieder wahr. Enttäuschung ist da. Und vielleicht auch ein bisschen Einsamkeit – obwohl das Alleinsein doch etwas ist, das sie so sehr braucht.

Just in dem Moment, als sie ihre Praxis beendet, klingelt es. Der Mann, der diese Gefühle ausgelöst hat, kommt enthusiastisch die Treppe hinauf. “Ich habe Zopf mitgebracht.” Sie schaut ihn skeptisch an. “Wir wollten doch zusammen frühstücken” sagt er. Sie runzelt die Stirn und versucht noch zu protestieren: “Ach komm. Du hast mich gestern Abend versetzt.” Doch als sie seinen Blick sieht, kann sie ihm nicht wirklich böse sein. Und ihr Fussballherz hat sogar ein klitzekleines bisschen Verständnis :-)

Mit einem Abendessen bei ihrer “Nonna” auf dem Balkon, gepaart mit einer ganzen Flasche Prosecco, die viel zu schnell geleert wurde, und Gesprächen sowie Texten über die Liebe endet dieses erste Sommerwochenende.

La stagione dell'amore tornerà
Con le paure e le scommesse
Questa volta quanto durerà

singt Franco Battiato.

Die Saison der Liebe kehrt zurück
mit den Ängsten und den Wetten,
wie lange es diesmal wohl dauern wird.

Vielleicht ist an dem Vergleich mit den Jahreszeiten ja ein Funken Wahrheit. Die Natur hat ihren Kreislauf, der sich nicht verändern lässt. Und so sehr wir es uns manchmal auch wünschen, lässt sich der Winter nicht verkürzen und der Sommer nicht verlängern. Das Einzige, was uns bleibt, ist jede Zeit so hinzunehmen, wie sie ist. Das Beste daraus zu machen und die Vorzüge jeder Saison zu feiern: im Winter wie Kinder durch den Schnee zu toben und im Sommer die langen lauen Abende am Wasser zu geniessen. Im Wissen, dass sie vorbeigehen werden und zu akzeptieren, dass da immer eine gewisse Melancholie mitschwingt – so wie in Franco Battiato's canzone.

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