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Naked Thursday

Der Sommer kehrt zurück und mit ihm von Kleidung befreite Körper. Die Reiselust steigt ins Unermessliche. Die Corona Zahlen machen es möglich, dass wir vorsichtig an so etwas wie Urlaub denken. Im Zeitungskiosk las ich folgende Überschrift: „In 14 Tagen zur top Bikini-Figur.“ Und ich fragte mich, warum so etwas überhaupt noch gedruckt wird.
Eine Stunde später las ich im Zeit Magazin folgendes Zitat der Autorin Ilona Hartmann:

„Falls sich dieses Jahr noch irgendeine Frauenzeitschrift traut, Tipps für einen „Beach Body“ zu geben, will ich wissen, was die zum Einschlafen genommen haben, um 15 Jahre lange nichts zu merken.“

Ich schreibe diese Woche über ein Problem, das nicht neu ist. Ein altes Thema, das aber gerade bei uns Frauen jedes Jahr für Gesprächsstoff sorgt. Und das nicht nur kurz vor der Bade-Jahreszeit, sondern auch dazwischen und daneben und vor und nach Weihnachten, zu Silvester und zu jeglichen Fastenzeiten: Unser Körper.

Streusel mit weniger Zucker

In meiner Familie geht es häufig um Körper und um Essen, vor allem am Tisch. Wir haben im weiten Familienkreis Übergewichtige, viel zu dünne und vermeintliche „Normalos“. Andere, die ständig trainieren. Bei jedem Familienessen geht es um weniger Zucker, lieber nicht so viel Butter oder irgendwelche Magerstufen. Wer hat wann, warum, wie viel abgenommen? Und dazwischen mein ewig drahtiger Triathlon Mann (Öffnet in neuem Fenster), der essen kann, was er will. Auch das wird häufig ausgewertet.

Ich kann es nicht mehr hören! Und ich habe Angst, dass es irgendwann auf meine Tochter übergreift. Ich recherchierte und fand heraus, dass vor allem bei Töchtern früher oder später eine entscheidende Botschaft ankommt: Nämlich das Essen gefährlich ist und man unheimlich aufpassen muss, nicht dick zu werden und das wäre schrecklich. Ich möchte das verhindern. Essen ist etwas Großartiges, Leidenschaftliches und Genussvolles. Menschen, die nicht gerne essen, finde ich erst mal merkwürdig.

Ich las, das bei Müttern, die selber Essstörungen hatten, das Risiko auch bei Töchtern steigt. Ich kenne so viele Frauen, die in ihrer Jugend vielleicht nicht unter einer ausgewachsenen Essstörung litten, aber genügend, die sich täglich auf die Waage stellten und penibel Kalorien zählten.

Generell sind es nicht nur Frauen, denen die Themen Essen, Gewicht und Körper wichtig sind, aber gesamtgesellschaftlich bilden sie den größeren Anteil. Und das hängt mit unseren Rollenbildern zusammen. Wir bleiben nach der Geburt zu Hause und kümmern uns mehr ums Essen. Gerade nachdem wir Kinder bekommen haben, verändert sich unser Körper. Klar, er kann wieder werden wie vor der Schwangerschaft, aber er bleibt anders. Es gibt Dinge, die dauerhaft anders bleiben. Vor allem Brüste. Brüste sind das Frauensymbol.

Fettfrei und flach

Vor ungefähr zwei Jahren ertastete ich merkwürdige Dinge in meiner Brust. Es war in der Rechten und es fühlte sich nicht gut an. Einige Tage war ich sehr ängstlich und machte mich total verrückt. Dann war ich bei meiner Frauenärztin und sie gab Entwarnung, schickte mich aber trotzdem zur Sicherheit zum Ultraschall.

Der Arzt tastete wieder und schallte alles durch und kam zu folgendem Urteil: „Das ist aber süß, sie haben ja nicht mal Fett in ihren Brüsten.“ Ich war froh und sehr erleichtert, aber auch ein anderes komisches Gefühl hielt Einzug, auf eine ganz befremdliche, eigenartige Weise. Es verging einige Zeit. Ich berichtete Freunden und Familie von meinem Erlebnis, bis ich merkte, welches Gefühl mich beschlich. Ich war stolz. Stolz? Stolz, weil ich kein Fett in der Brust hatte. Das bedeutet, ich bin nicht zu dick. Als ich das begriff, schämte ich mich vor mir selber. „Dein Ernst?“, dachte ich. Geht mein Optimierungswahn offensichtlich so weit, dass ich stolz bin über fettlose Brüste, das heißt nämlich auch, dass sie sehr klein sind. Aber das ist nicht schlimm. Für mich war in dem Moment klar, fettlose Brüste bedeutet wenig Fett am Körper. Warum dachte ich so? Ich glaube kaum, dass es Männer gibt, die ernsthaft stolz sind, weil sie kein Fett an ihrem Penis haben.

Ich verbannte diesen Gedanken und beschloss, meine Brüste jetzt noch mehr zu mögen, einfach weil sie gesund sind. Bis zu einem bestimmten Abend, es ist noch gar nicht lange her. Da saß ich an einem Donnerstag mit Freundinnen zusammen, so richtig in echt und es war fantastisch. Ich konnte ihre Falten sehen, sie berühren, wenn ich wollte und Tränen in den Augen waren auch sichtbar. Wir hatten alle unter Corona gelitten, waren älter geworden und viel zu häufig online. Wir saßen also an unserem runden Tisch und unterhielten uns über unsere Brüste. Wir sind alle recht flachbrüstig unterwegs, was grundsätzlich bei keiner einer Problem ist. Aber wenn Frauen mit kleinen Brüsten, die normalerweise wie kleine Äpfelchen stehen und von Schwerkraft keine Spur ist, Kinder stillen, dann blasen sich diese winzigen Brüste auf ein Vielfaches auf.

Als ich stillte, waren meine Brüste so groß wie eine mittlere Melone. Sie standen wie silikoniert ab und strahlten jeden an, der sie betrachtete. Sie taten einen wunderbaren Job und produzierten Milch, mit dessen Mengen ich drei Kinder hätte nähren können. Ich bin ihnen immer noch sehr dankbar. Aber nachdem ich fertig war mit stillen, wurden sie ein bisschen kleiner, hingen nach wie vor nicht, aber die Form war verändert. Schwer zu sagen, was anders war, aber so war es.

Veränderte Körper akzeptieren

Meine Freundinnen, wir haben alle Kinder, erzählten dasselbe. Die eine hatte nur noch Nippel und die anderen beschrieb, dass ihre Brüste oben platt geworden sind. Sie hätte vielleicht eine Lösung, sagte sie. Es ist wohl möglich, sich sein eigenes Fett spritzen zu lassen. Ich horchte auf, Fett in den Brüsten, das kannte ich doch. War es nicht das, was uns zeigte, dass unsere Körper der gängigen Norm entsprechen. Wir sind so darauf getrimmt, vermeintlich „perfekt“ auszusehen, dass wir völlig den Bezug zur Realität verlieren. Dünne Körper haben in der Regel auch dünne Brüste. Wie soll also eine schlanke, sportliche Frau üppige runde Brüste haben, frage ich mich.

Warum können wir unseren Körper nicht lieben, wie er ist? Der gerade 80 Jahre alt gewordene Psychologe Wolfgang Schmidbauer sagt, wenn man nicht an das „Früher“ denke, sei man in einer Art zeitlosem Zustand seiner Persönlichkeit, die auch mit 18 nicht anders war. Wir müssen also am Körper auch nicht aussehen, wie mit 18. Mensch Ladys, wir haben Kinder geboren, haben etwas erlebt, gelebt, wir sind doch dieselben. Es ist nicht schlimm, wenn unsere Körper sich verändern. Denn vom Gefühlsleben her und von der Art, wie man die Welt beurteilt, gibt es einen Kern, der sich nicht verändert, der bleibt.

„Eine der ältesten Weisheitslehren lautet, die Welt so anzunehmen wie sie ist“, sagt Schmidbauer und weiter „und dabei ist der Respekt vor der Realität ein sehr mächtiger Verbündeter.“

Ich beschließe mit meinen Freundinnen, dass wir beim nächsten runden Tisch den ganzen Abend mit freiem Oberkörper sitzen. „Naked Thursday“ sozusagen. Und dann erzählen wir uns in Dauerschleife, wie schön unsere Brüste sind, während wir lecker kochen und ordinäres Bier trinken.

Wir müssen Frieden finden mit unseren Körpern. Wir brauchen kein Eigenfett, nur damit die Form wieder stimmt. Damit die Form eurer Brüste welcher Norm Bitteschön entsprechen soll? Seid zufrieden mit euren Körpern, er gehört euch. Nur euch! Pflegt ihn, hegt ihn, nährt ihn, verwöhnt ihn, ihr habt nur den einen.

Umarmt euch mal selber, geht Eis essen (ja drei Kugeln in der Waffel mit Sahne!) und bleibt stets leicht&lebendig, Eure Heli

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