Zum Hauptinhalt springen

„Ankommen“

Ein Rausch über einen spanischen Küchentresen

Ich stehe am Tresen der Bar. Den rechten Ellenbogen habe ich lässig auf das alte Holz gelehnt. Das hier hat schon viel erlebt. Hier wurde bestimmt ordentlich gefeiert und anschließend alle Glas-Ränder immer wieder neu entfernt. Alles ist alt und sauber. Aber mein Gefühl hier neu und gleichzeitig heimelig. Es gibt keine Stühle und keine Barhocker, mein Knie stößt direkt an das untere Holz. Vor mir steht ein kleines Glas mit einem langen Stil in genau der richtigen Größe. Eine braune, scheinbar dickflüssige, bestimmt süße Brühe darin. Der Typ hinter der Bar schraubt gerade den Deckel auf die Flasche, aus der er eingeschenkt hat. Sehr leise höre ich das Knirschen des getrockneten Zuckers am Schraubverschluss des Flaschenhalses. Ich betrachte den Typen von hinten: Seine Schultern sind nicht so breit, aber schön. Der Po gut geformt und seine Beine, die aus der kurzen Hose herausschauen, schon ziemlich braun. Auch im Nacken ist er dunkler. Ich muss grinsen, ich finde den ganz gut. Von hinten und von vorne.

Jetzt geht er einen Schritt zur Seite, um sich die Hände zu waschen. „Ron Miel“ steht auf der Flasche, ein Papagei und Palmen sind auf das Etikett gezeichnet. Passt natürlich, denn draußen reihen sich auch die Palmen aneinander. Sie säumen die Straßen und Fußwege und dieser Rum hier ist sehr lokal und wird direkt auf den Inseln hergestellt. Die Geräusche der Straße dringen an mein Ohr: Autohupen, knatternde Roller, klingelnde Fahrräder, murmelnde Stimmen, manchmal lautes Geschrei, Hundegebell und ein lautes Schiffshorn – da macht sich wohl so ein fahrendes Hochhaus wieder auf den Weg in die Weiten des Ozeans.

„Prost“, sagt der Barmann hinter dem Tresen und hebt sein Glas. „Salud“ sage und bedeute ihm näher zu kommen. „Ich will einen Kuss!“ Schmatz. „Ist schön hier“, sagt er und trinkt. „Maaaamaaaaa, träumst du schon wieder?“, schreit mein Mädchen und ich verschütte fast den Inhalt meines Glases auf den schönen Tresen. „Du hast einen Glotzanfall“, sagt sie lachend, schüttet sich ihren Apfelschorlen-Drink hinunter und hüpft fröhlich auf den Balkon. An der gegenüberliegenden Hauswand sehe ich den Schatten eines im Wind wehenden Palmblattes und nicke meinem Mann zu. „Ja, es ist schön“, säusele ich ihm nach und lande wieder im Hier und Jetzt.

Wir sind gerade angekommen, haben unsere Rucksäcke noch nicht ausgepackt, aber schon die kleine Probierflasche mit dem kanarischen Rum geöffnet. Süß und klebrig rinnt er meinen Gaumen entlang, hinterlässt ein paar Spuren auf meiner Zunge und sickert dann gemächlich in meinen Bauch. Hier breitet er sich warm aus. Wir sind zwei Wochen auf der Insel und haben nur Handgepäck dabei. Jeder nur einen Rucksack, da ist alles drin. Am Ende werde ich feststellen, dass selbst das zu viel war. Ich hätte noch weniger einpacken können. Ich mag es zu wissen, dass ich nicht viel brauche, um glücklich zu sein.

Wir stapeln unsere kleinen Dinge jeder auf ein Regalbrett in den großen Wandschrank. Eine Seite ist verschlossen, wer weiß sich da drin verbirgt. Meine neugierigen Fingerchen jucken schon, aber ich halte mich zurück. Dann kehren wir in die Küche zurück oder vielmehr an den runden Tisch hinter dem Tresen und widmen uns unseren frischen Bocadillos, die wir unten in der Bar bei Javier gekauft haben. Ich habe auf sein Namensschild geschaut, deswegen weiß ich das. Ich werde in den kommenden Tagen noch viele Namensschilder lesen, mich über einige Namen wundern und noch mehr nicht verstehen, geschweige denn aussprechen können. Auch zu Hause lese ich gerne die Namen der Service-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Manchmal passt der Moment und ich kann mich bedanken und dabei den Namen sagen. Aber nicht immer steht ein Name dran. Hier auf der kanarischen Insel ist das anders. Fast alle Kellnerinnen und Kellner tragen ein Namensschild.

Einmal wird mich ein Kellner ansprechen und fragen, ob er schmutzig sei oder sich bekleckert habe, weil ich ständig auf sein Schild starre. Das wird peinlich, aber am Ende stellt er sich ganz hochoffiziell vor und wir lachen alle. Unsere Bocadillos, die übrigens nichts anderes als frisch belegte Baguettes sind, schmecken köstlich. Sie sind mit Alioli bestrichen, einer cremigen Knaublauch-Paste, an die man sich noch die ganze Nacht und am nächsten Morgen erinnert. Alioli verursacht einen unbändigen Brand, was aber nichts macht, weil es einfach zu lecker ist. Das klassische Bacadillo ist mit „queso y tomate“ belegt. Wir haben noch ein weiteres mit „Tortilla Española“, einer Mischung aus Kartoffeln und Ei. Im Grunde ein kleines, sehr kompaktes Omelett. Das steckt mit der Alioli zwischen zwei Weißbrotscheiben, köstlich in diesem Moment, an diesem Ort – im April.

Ein warmer Wind weht vom Balkon herein, wir haben alle schon unsere kurzen Sachen angezogen. Ich denke daran, wie ich zu Hause schon lange vor dem Wecker wach war, mich hin und her wälzte und dann doch beschloss, einfach schon aufzustehen. Im Zimmer meiner Tochter raschelte es ebenfalls. „Bist du schon wach?“ flüsterte ich, während ich die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf schlich. Sie war wach, obwohl es viel zu früh war.

„Gehen wir jetzt endlich zum Strand?“ Das Bocadillo hat mich müde gemacht, zusammen mit dem Rum könnte ich auf der Stelle einschlafen. „Komm Mama, du kannst am Strand weiterpennen.“ Nagut, Nagut, sie hat ja recht. Ich suche meinen Bikini schnell raus und folge meinen zwei Urlaubern aus der Wohnung. Als wir die Straße betreten, schlägt mir ein warmer Föhn und der Duft von Meer entgegen, Salz liegt in der Luft. Langsam schlendere ich Richtung Strand und genieße die Magie des „Ankommens“.

Bleibt luftig, leicht und genießt den warmen Wind,
Helen

Wenn dir mein RauschVonWorten gefällt, kannst du meine Arbeit gerne hier finanziell unterstützen (Öffnet in neuem Fenster).

Mit einer Illustration von Sophie Schäfer:

0 Kommentare

Möchtest du den ersten Kommentar schreiben?
Werde Mitglied von RauschVonWorten und starte die Unterhaltung.
Mitglied werden