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Ein RauschVonPo übers Strandbad(en)
Ich liege auf dem Bauch, schaue Richtung See und sehe – jedenfalls nicht den See. Stattdessen viele Popos in verschiedenen Formen und Farben leuchten oder strahlen sie mir entgegen. Manche sind verpackt in Schlüpfer, andere stecken in Badehosen oder ganz langen Hosen und einige sind auch beinahe nackt. Zwischen den Pobacken nur ein Streifen. Ein sogenannter String. Es gibt einen Unterschied zwischen String und Tanga. Als Jugendliche hab ich solche Schlüpper, sofern man sie denn so nennen kann, auch getragen, damit man in engen Jeans keinen Abdruck hat. Ich nannte diesen Abdruck „Doppelpo“, den galt es um jeden Preis zu vermeiden. Ein String ist nichts anderes als eine Strippe zwischen den Pobacken und hat den Namen Schlüpfer auf gar keinen Fall verdient. Der Hintern ist freigelegt und die Strippe schrubbelt in der Ritze. Es ist mir wirklich schleierhaft, warum manche das zum Baden anziehen.
Ich liege auf den Resten der ehemaligen Badewiese des Strandbads Rahnsdorf – der größte Teil des Rasens ist bereits der sengenden Hitze zum Opfer gefallen – am Berliner Müggelsee, der mit über 7,4 km² Wasserfläche der größte Berliner See ist. Das Strandbad gibt es schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Ich kenne dieses Bad schon seit meiner Kindheit. Die riesige Freitreppe, die einen vom Eingang zum Ufer bringt, hat mich immer schwer beeindruckt. Hätte ich einen Schleier, dachte ich als kleines Mädchen, würde der auf der Treppe hinuntergleiten. In all den Jahren verfiel das Bad immer mehr, die Treppen waren teilweise gesperrt, die Toiletten nicht zugänglich. Seit ich wieder in Berlin lebe, ist es aber geöffnet und der Eintritt ist sogar frei. Man hat die hohen Betonkanten am Ufer entfernt, sodass man auch mit kleinen Kindern gut ins Wasser kommt. Momentan wird wieder umgebaut, die Treppe und die Gebäude sind wieder gesperrt, alles ist irgendwie ausgehöhlt und die Imbisse und Strandbuden, die sich angesiedelt hatten, sind vorübergehend in Container umgezogen. Dicht an dicht reihen sie sich aneinander, riesige Schlangen hungriger Pommes-Williger inklusive.
Auch wir wollen Pommes und beschließen uns anzustellen, also viel mehr Mann und Kind reihen sich ein, ich halte auf unserer Decke Wache und schwitze vor mich hin. Die Plätze unter den Bäumen sind restlos belegt und so haben wir uns einfach in die Mitte fallen lassen, unseren kleinen blau-weiß gestreiften Sonnenschirm in den sehr harten Boden gerammt und uns zu dritt darunter gequetscht. Auf unserem kleinen Schattenplätzchen geht nichts ohne Körperkontakt, aber was solls, ich beschwere mich nicht. Wir sind am Wasser, es gibt Pommes. Wir frönen dem Sommer und sind sehr glücklich. Vor mir nimmt gerade eine Gruppe junger Frauen Platz, vielleicht Anfang 20 und ich muss mich unweigerlich wieder mit Bikinis beschäftigen. Sie haben ihre Badehosen bis zum Bauchnabel hochgezogen und die Pobacken gucken raus. Diese Art habe ich erst kürzlich beim Durchblättern einer Illustrierten (ich liebe dieses scheinbar altertümliche Wort einer fiesen Tratsch-Zeitung) im Supermarkt entdeckt. Ich konnte leider den Text dazu nicht lesen, weil ich direkt darauf hingewiesen wurde, die Zeitung doch zu kaufen. Wollte ich nicht, also musste ich sie ganz schnell wieder ins Regal zurücklegen, in der Hoffnung, dass ich keinen Knick verursacht habe, denn die Verkäuferin schaute gleich nach. „Nächstet mal koofen se die aba!“, rief sie mir hinterher. Ich fühlte mich wie ein kleines Mädchen, dass etwas Verbotenes getan hatte.
Im Strandbad hingegen fühlte ich mich eher wie eine ältere Mutti, denn ich gehöre noch zu der Generation Hüftbikini. Bei mir sitzen die Bikinihöschen Unterkante Vulvahaare – da trug ich als Teenie übrigens auch meine Hosen. Kurze Tops und möglichst viel Bauch musste zu sehen sein. Am besten war es, die Hose stand wegen der hervortretenden Hüftknochen ein bisschen ab. Das ist heute anders, weswegen ich mich sehr alt fühle, denn es fällt mir unheimlich schwer, das andere irgendwie schick zu finden. So haben sich wohl meine Eltern mit meinen tief hängenden „Unterarschhosen“ Mitte der 90-iger gefühlt. Und so haben sich wohl die Großeltern mit den Miniröckchen meiner Eltern-Generation gefühlt. Ach, ist es jetzt schon so weit, dass ich die Trends nicht verstehen kann. Dabei will ich doch unbedingt Verständnis haben. Also schaue ich mir die Mädels noch mal an, jetzt holen sie gerade eine winzige Box aus ihre Tasche, eine fummelt an ihrem Smart-Phone und dann geht es los. ES WIRD LAUT. Nicht nur Bikini-Schulung, sondern gleich noch Musik-Trends dazu.
„Mamaaaaa, du glotzt!!!“, schreit das Kind.
„Wen glotzt sie denn an?“, fragt der Mann.
Ertappt, sie haben mich erwischt. „Ich glotze nicht, ich arbeite“, erwidere ich mit erhobenem Zeigefinger. „Mein Rausch (Öffnet in neuem Fenster) schreibt sich schließlich nicht von allein.“ Dann frage ich mein Mädchen, wie sie die Bikinis findet, die so hoch sitzen. Sie ist bald zehn und springt noch immer oben ohne rum, was mich sehr freut, denn das zeugt davon, dass wir von der Pubertät noch ein bisschen entfernt sind. Vielleicht wird das der letzte Sommer so. Aber eigentlich freue ich mich auf alles, was kommt. Es ist spannend zu beobachten, wie die Dinge wiederkommen und sich doch immer verändern. „Wenn sie es gemütlich finden, ist es doch egal, wie es aussieht. Die wundern sich vielleicht auch über deinen Bikini.“ Ich schaue zu meinem Mann: „Wo sie recht hat, hat sie recht.“, sagt er. Er trägt übrigens eine sehr bunte, sehr enge Schlüpfer-Badehose. Musste ich mich auch erst dran gewöhnen – ging aber ganz schnell, sieht nämlich gut aus! Die Pommes sind großartig, fettig, salzig, knusprig und voller Ketschup.
Neben die Mädels mit der Box gesellt sich jetzt eine weitere Gruppe: diesmal Männer, gleiches Alter, aber andere Badehosen. Ich merke, wie ich schon wieder glotze und denke „Jetzt wird es spannend!“ Dann holen auch sie eine Box raus. Zwei Decken, zwei Boxen, R’nB und Electro. Harte Schule heute. Ich gehe erst mal baden. Als ich wieder da bin, umhüllt die Jungs eine Kräuter-Wolke (verschiedene Gräser und so ;), die Mädels liegen auf ihrer Decke, oben ohne, die Popos blank gezogen. Wir dahinter mit unserem Schirmchen und voller Beschallung von rechts und links. Ich halte das eine ganze Weile aus, dann beschließe ich die Herren zu bitten, ihre Musik leiser zu machen. „Ihr könnt doch die Natur dann besser hören, wenn ihr sie schon raucht.“ Das finden sie witzig, machen leiser und begründen die Lautstärke mit „we are from Ireland“. Sind die immer laut? Die Mädels kriegen das mit und machen auch leise. Das erste Mal betrachten sich die beiden Gruppen gegenseitig und ich freue mich über meinen Einfall. Ha, vielleicht tanzen sie ja später alle zusammen. Das ist bestimmt gut für mein Karma.
Bevor es allerdings zu einer Verbindung kommt, verlassen wir den Schauplatz. Auf dem Rückweg kommt mir eine Frau oben ohne auf dem Rad entgegen, und obwohl ich erst ein bisschen irritiert bin, denke ich danach, kann doch jeder zeigen, was ihm*ihr gefällt und beschließe diesen Sommer auch öfter oben ohne am Strand zu sein. Schließlich haben viele Herren wesentlich mehr Brust als ich. Und die tragen ja bekanntlich auch keinen BH.
In diesem Sinne: Bleibt luftig, leicht&lebendig,
Helen
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Mit einer Illustration von Sophie Schäfer: