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Egal, was andere denken

RauschVonBuch: Mirna Funk „Who Cares“

Während ich die Seiten lese, liege ich noch immer oder schon wieder im Strandbad Müggelsee. Ich beobachte eine große Familie direkt vor meiner Nase. Sie haben Tische und Stühle ans Wasser gestellt, die Kinder springen umher, die Männer rauchen. Alle sind ausgelassen – und in Badesachen. Alle, außer die Frauen. Der Untertitel des Buches, dass ich in den Himmel halte, lautet „Von der Freiheit, Frau zu sein“, und ich stelle mir unweigerlich die Frage, wie frei diese Frauen sind? Andererseits frage ich mich auch, wie frei ich denn bin? Und ob ich denn tatsächlich so frei bin, wie ich mir das immer einbilde?

Ein kleines Buch in pink, mittlerweile gibt es die zweite Auflage – in Lila – in der die Journalistin und Autorin Mirna Funk abrechnet. Abrechnet mit dem Feminismus, mit der Freiheit, die wir uns einbilden zu haben und mit mir, die doch an der einen oder anderen Stelle ihre Gedanken ein bisschen deutlicher hinterfragen sollte. Das hier ist keine Buchkritik, sondern eine ganz klare Kaufempfehlung. Ich habe das Buch gelesen, ohne mir vorher auch nur eine Rezension darüber zu Gemüte zu führen. Allein die wenigen Kapitel (Karriere, Liebe, Sex, Geld, Kinder, Körper) reichten mir aus, um zu wissen, das wird interessant. All die Dinge, die mich und uns tagein, tagaus bewegen. Dass das kleine Werk aus nur 110 Seiten besteht, sehe ich als großen Vorteil. Heißt es nicht, dass das Wichtigste in Kürze abgehandelt wird. Schon in der Schule lernte ich, dass die besten Aufsätze nicht die waren, die unendlich lang sind. Später als Vertretungslehrerin (Öffnet in neuem Fenster) verstand ich, wie gut kurze Abhandlungen sein können. Ist das nicht die Kunst, die wichtigsten Sachen kurz zu fassen? Mirna Funk jedenfalls kann das richtig gut.

Und das, obwohl ich mich an manchen Stellen echt überfahren fühlte. Sicherlich sind einige Gedanken, die Mirna da hegt, anders. Über Frauen, die „mit verschränkten Armen und mauligem Gesicht“ nur zu Hause rumsitzen und jammen, dass ihre Patriarchen nicht gendern wollen, musste ich erst mal nachdenken. Mirna schreibt außerdem:

„Es gibt Entscheidungen im Leben, deren Umsetzung so viel Freiheit fordert, dass sie einen an die Grenzen der Illegalität führen. Und ich glaube, das ist in Ordnung“.

Also damit gehe ich nicht einher. Ich möchte keine Steuern hinterziehen und dann nicht wissen, wie ich aus der Misere jemals rauskomme. Mirna revidiert das auch im nächsten Absatz gleich wieder, aber denkwürdig finde ich das trotzdem. Klar ist ihr Text keine Anleitung zum Nachmachen. Aber ehrlich, beim ersten großen Geldeingang die Sache mit den Steuern einfach mal zu missachten, ist schon verlockend – und dann wird es gefährlich.

Mirna Funks Geschichte beeindruckt mich dennoch an ganz anderer Stelle, denn sie macht sich (scheinbar) keine Platte und kommt aus allem Unglück irgendwie wieder heraus. Sie ignorierte die Fragen nach dem „was kommt denn nach dem Philosophie-Studium?“. Sie dachte darüber gar nicht nach, sondern war einfach nur zufrieden, endlich tun zu können, was ihr Spaß macht. Nur liegt das Problem ja bei vielen nicht darin, mit dem „Haben“ glücklich zu sein, sondern eher darin herauszufinden, was sie glücklich (Öffnet in neuem Fenster) macht. Was mich wirklich nachdenklich gestimmt hat, ist auch Folgendes:

„Karriere ist nichts anderes als weiterzumachen, obwohl man sich sicher ist, man hätte das Ende seiner Fähigkeiten erreicht. Und irgendwann wird aus dieser Art des Weitermachens die eigentliche Karriere, und man begreift plötzlich, dass das Ende nicht kommt, solange man nicht aufgibt.“

Yes Baby, dachte ich beim Lesen. Von mir wurde auch immer eine „Karriere“ erwartet. Ich war eine super Schülerin (bis auf ein paar Hänger zwischen Klasse 9 und 11), marschierte durchs Abi und hatte mit 25 mein Diplom in der Tasche. Ab auf den Arbeitsmarkt, sagte ich mir. Jetzt mache ich Karriere. Und dann fing ich an zu arbeiten und fand das meiste wirklich schrecklich. Ich wechselte den Job, dann kam das Kind und brachte alles durcheinander. Wieder Jobs und immer der Gedanke im Hinterkopf „jetzt machst du endlich Karriere“. Aber was ist das denn? Ich wollte es nicht mehr. Und jetzt, wo ich endlich zufrieden bin mit dem, was ich tue, denke ich, ich brauche doch gar keine Karriere. Aber dann schreibt Frau Funk so etwas. Genau das hier ist meine Karriere. Ganz allein MEINE! Und das lässt sich eben auch nur alleine herausfinden. Und so schließt sich der Kreis, denn das wird im Kapitel Liebe beschrieben:

„Liebe ist, dem anderen die Freiheit zum Selbstsein zu lassen. (…) den anderen schätzen, respektieren und mögen. Völlig zweckfrei. Eigenständig lebend, denkend, handelnd. 

Und ich muss beim Lesen daran denken, wovon auch ich überzeug bin „jeder ist seines Glückes eigener Schmied. Nicht jeder, kann wirklich sein Glück bestimmen, äußere Umstände und familiärer Hintergrund, was auch immer, können eine richtig miese Schmiede sein, aber in Beziehungen gilt es! Ich allein bin dafür verantwortlich, dass meine Beziehung funktioniert.

So und bevor ich jetzt völlig ausarte und alle meine angestrichenen Sätze aufschreibe und meinen Senf dazu gebe, noch eine Sache. Ich finde einiges nicht gut, was Mirna Funk in ihrem Buch schreibt. Aber ich finde, vieles ist diskutierbar und denkwürdig. Genau in diesem Moment gerade sitzen mein Mann und ich (es ist Dienstag 23.10 Uhr) am Tisch und reden gemeinsam über die Themen und Aussagen, die ich ihm so eben vorgelesen habe. Und was soll ich sagen, es ist wunderbar und damit hat dieses kleine, pinke Werk etwas richtig Gutes vollbracht: Nämlich Reden und Austausch, Diskussion und Zustimmung, Nachdenken und Neudenken. Morgen werde ich es einer Freundin leihen, vergangenes Wochenende habe ich es verschenkt. Ich freue mich jetzt schon auf die Rückmeldungen zu diesem RauschVonBuch.

Ich lasse das Buch neben mir auf die Decke gleiten, schließe kurz die Augen und überlege mein Bikini-Oberteil auszuziehen, es drückt so. Als ich in die Sonne blinzele und zum See schaue, laufen gerade die Po-Mädchen (Öffnet in neuem Fenster) an dem Tisch mit den Frauen und den Kopftüchern vorbei. Und ich denke, dass doch jede über ihren Körper selbst entscheiden sollte, es ist egal, was andere denken. Im Bezug auf unseren Körper, unser Leben, die Nachbarn und unsere Partner und Partnerinnen. Manchmal vergesse ich das, aber heute denke ich wieder ganz fest daran! Dank „Who Cares” von Mirna Funk.

Bleibt leicht&lebendig,
Helen

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