Wut und Kleidung
Von Hasnain Kazim - Fastenbrechen / Kleidung / Auto weg / Milliarden / Buchtipp
Liebe Leserin, lieber Leser,
eine anfangs frühlingshafte Woche in Wien und Berlin liegt hinter mir, aus dem Angrillen ist dann aber doch nichts geworden, weil es zum Wochenende hin geregnet hat. Dann vielleicht kommende Woche! Auf die freue ich mich, auch wenn ich wieder viele Stunden in Zügen verbringen werde. Am morgigen Montag lese ich in Aachen (Öffnet in neuem Fenster), übermorgen, am Dienstag, in Wiesbaden (Öffnet in neuem Fenster).
Vergangene Woche war ich vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft zu einem Abendessen eingeladen. Anlass war das Fastenbrechen im Ramadan. Das Ministerium veranstaltet solch ein Essen zum dritten oder vierten Mal, ich war das erste Mal dabei und durfte an dem Abend einen kleinen Vortrag halten. Als Thema wählte ich “deutsche Leitkultur”, was ich von dem Begriff halte, wie ich deutsche Kultur verstehe und was uns als Gesellschaft zusammenhält. Im Anschluss wurde lebhaft diskutiert, kontrovers, aber mit Respekt.
Das Ministerium veröffentlichte von dem Abend ein kurzes Video in den “sozialen” Medien. Bundesminister Cem Özdemir sagt darin: “Jetzt könnte man sich natürlich fragen: Ein säkulares Haus in einer säkularen Gesellschaft, warum macht es so was? Wir machen das ja auch mit den Feiertagen anderer Religionen, dass wir sie begehen, dass wir sie feiern. Und wir nehmen, losgelöst von dem religiösen Hintergrund, den Iftar als den Anlass, sich daran zu erinnern: Es geht ja um Essen und um Trinken, dass wir es mit der Schöpfung zu tun haben, dass wir es mit der Arbeit von Landwirtinnen und Landwirten zu tun haben, dass wir es damit zu tun haben, dass nicht alle gleichermaßen einen gedeckten Tisch haben, dass wir es damit zu tun haben, dass wir gerade in einer Welt leben, wo leider Religion missbraucht wird, um Hass zu schüren, um Fanatismus zu schüren, um Andersgläubige, Andersdenkende zu verfolgen, zu bedrohen, ihr Leben infrage zu stellen. Und umso wichtiger ist es, dass diejenigen, die sich dem in den Weg stellen, und zwar in allen Religionen, dass die das Verbindende in den Vordergrund stellen, zusammenarbeiten. Dem dient es, dem Austausch, dem Zuhören, dem Respekt, der Neugierde, davon brauchen wir heute mehr.”
So weit, so fein. Ich teile jedes Wort.

Was anschließend an Reaktionen kamen, auch gegen mich persönlich, weil ich als Redner erwähnt werde und in dem Video vorkomme, bringt auf den Punkt, mit welchen Auseinandersetzungen ich seit Jahren zu tun habe:
Ganz weit rechts regten sich nicht wenige auf, warum ein deutsches Ministerium ein “islamisches Fest feiert!!!??!” (Dabei hatte Özdemir es doch, siehe oben, ganz gut und nachvollziehbar erklärt. Aber natürlich hatten diese Kritiker das kurze Video gar nicht erst gesehen oder auch nicht verstanden…) Sie sehen die “Islamisierung!!!” weit fortgeschritten und wollen “am liebsten auswandern!!” Ihrer Liebe zum Ausrufezeichen geben sie dabei viel Raum.
Von manchen auf sehr islamischer Seite wurde kritisiert, dass “gar keine Muslime” eingeladen worden seien beziehungsweise “no real Muslims” (ähm… doch, natürlich… Es waren Muslime da und ebenso, wie ich, Nichtmuslime. Abgesehen davon: Was genau ist denn bitte ein “echter Muslim”? Ist das so etwas wie ein “echter Deutscher”? Haben die halbmondförmige Blutkörperchen, so wie “echte Deutsche” schwarz-rot-goldene haben?). Andere beklagten, es seien “nur Islamkritiker” eingeladen worden (na ja, es waren auch kritische Geister dort, denn selbstverständlich lebt eine Demokratie davon, dass Dinge, die zu kritisieren sind, auch kritisiert werden; auch Religion ist davon nicht ausgenommen.) Traurigerweise kam die Kritik: “Wo sind die Muslime?” ausgerechnet auch von einem Vertreter der Ahmadi, einer Minderheit, die in Pakistan vom Staat verfolgt wird und der per Verfassung in Abrede gestellt wird, Muslime zu sein. Wenn man derart diskriminiert wird, warum stellt dann ausgerechnet ein Vertreter dieser Gruppe in Deutschland anderen Menschen in Abrede, Muslim zu sein? Wie kann man so sein?
Und dann kamen die Leute von ganz weit links steil aus der Kurve: Man habe “zwei der größten Islamkritiker Deutschlands” eingeladen, schrieb ein Aktivist, der sich auch “Journalist” nennt, aber “offensichtlich keine religiösen Muslime”. Und dann erwähnte er den Namen eines “Islamkritikers”, der bei dem Abendessen überhaupt nicht dabei war - aber Hauptsache, irgendeinen Quatsch verbreiten. “Muslime werden nicht gehört!”, schrieb ein anderer. “Ein Treffen, um eine Religion zu verhöhnen!”, tönte ein anderer. Natürlich war keiner von denen dabei. Und natürlich hatte keiner von denen mitbekommen, was für ein von gegenseitigem Respekt, Verständnis und dem Willen, Gräben zu überwinden und doch auch Kritik anzubringen, wo Kritik notwendig ist, getragenes Treffen das war.
Vielleicht können Sie erahnen, was es bedeutet, öffentlich als “Islamkritiker” hingestellt zu werden: Mein Postfach war anschließend voll von Beschimpfungen und Bedrohungen irgendwelcher Fanatiker. Das wissen die Leute, die so etwas verbreiten, ganz genau. Es ist ihnen nur egal.
Gefahren werden ja bisweilen gegeneinander aufgerechnet. Ich halte nichts davon, denn: Extremisten sind Extremisten sind Extremisten. Aber wem’s weiterhilft: Die Zuschriften und Kommentierungen von den Linksextremen und Islamisten waren in den zurückliegenden Tagen deutlich schlimmer als der erwartbare geistige Müll von den Rechtsextremen.
Kleider machen… mich fertig
Ein Leser schickt mir ein altes Foto von mir, das mich in Istanbul zeigt. Und er schickt mir ein weiteres, relativ aktuelles Foto. Auf beiden trage ich eine grüne Winterjacke. “Ist das dieselbe Jacke?”, fragt der Leser in seiner Nachricht. “Können Sie sich keine neue leisten?”
Es ist erstaunlich, worüber Menschen sich Gedanken machen. Aber was Kleidung angeht, möchte ich mich gerne äußern. Es ist nämlich so: Es gibt wenig, das ich mehr verabscheue, als Kleidung zu kaufen. Wann immer es möglich ist, mache ich einen großen Bogen um Modegeschäfte. Die Atmosphäre vor Umkleidekabinen ist mir ein Graus. Kleidung finden zu müssen, die mir gefällt, dann auch noch passt (dabei habe ich Standardmaße…), Dinge anzuprobieren, all das: fürchterlich!
Bis vor kurzem habe ich, wenn ich zum Beispiel ein Hemd gefunden habe, das mir gefällt und mir passt, gleich mehrere davon gekauft, damit ich mehrere Jahre Ruhe habe. Socken und Unterwäsche kaufte ich nicht in Stück, sondern in Tonnen.
Vor ein paar Jahren habe ich eine Jeans eines kleinen englischen Herstellers ausfindig gemacht, die mir ideal passt, außerdem geeignet ist für Radfahrer (Nähte an Stellen, wo sie nicht scheuern, Schnitt am Knie funktional, hinten etwas höher gezogen, damit man auch auf dem Rennrad nicht den Hintern zeigt etc.) und preislich nicht absurd ist (wie zum Beispiel eine japanische Jeans, die ich kürzlich in einem Laden sah und die 399 Euro kosten sollte; spinnen die?) Aber wie das bei meinem Kleidungsglück beziehungsweise -pech ist, hat der Hersteller dichtgemacht, und nun musste ich wieder eine neue Jeans suchen, die mir passt.
Der Nachteil davon, Kleidung im Vorrat zu kaufen, ist, dass alle paar Jahre wieder so ein Großeinkauf ansteht, der mir schon Wochen vorher die Schweißperlen auf die Stirn treibt. Ich habe mir jetzt also angewöhnt, lieber häufiger, dafür weniger Kleidung zu kaufen, sodass ein regelmäßiger Austausch stattfindet. Mache das jetzt seit einiger Zeit so. Aber ganz ehrlich: Spaß macht mir das nicht.
Aber ja, lieber Herr H., von der grünen Winterjacke habe ich tatsächlich nur die eine. Ich trage meine Kleidung eigentlich so lange, bis sie auseinanderfällt und nicht mehr zu reparieren ist. Meine alten englischen Fahrradjeans zum Beispiel habe ich sogar noch einmal gefärbt, die sahen danach wie neu aus! Als ich neulich las, dass fast 70 Prozent aller Kleidung nach nicht einmal einem Jahr weggeworfen und vieles davon nicht mehr als nur einmal getragen wird, frage ich mich: Warum macht man etwas so Unökonomisches und Unökologisches?
Falls Sie mich also auf unterschiedlichen Events im selben Outfit sehen, bedeutet das nicht, dass das meine “Uniform” oder mein “Markenzeichen” ist, wie ich ebenfalls mal gefragt wurde, sondern weil ich einfach keine Lust habe, Kleidung zu shoppen.
P. S.: Ebenfalls ein Leser schrieb mir, es sei “doch mal an der Zeit, dass Sie Ihre ausgetretenen Sneaker austauschen”. Hierzu merke ich an: Nein, sie sind noch wasserdicht.
Zack, Auto weg!
In Österreich ist es seit dem 1. März 2024 möglich, dass Autos von extremen Rasern an Ort und Stelle beschlagnahmt und in weiterer Folge versteigert werden. Ziel ist dabei, Leute, die rücksichtslos rasen und sich und andere gefährden, zu bestrafen und die Allgemeinheit zu schützen. Vor allem Wiederholungstätern droht diese Enteignung. Es betrifft Fahrer, die innerhalb von Ortschaften 60 km/h und außerdem von Ortschaften 70 km/h schneller als erlaubt rasen.
Diese Woche schreibt die Wiener Polizei: “Wenn Sie bald kostengünstig ein Auto ersteigern können, sollten Sie sich bei zwei führerscheinlosen Herren bedanken, die gestern Abend ihre PKWs extra dafür zur Verfügung stellten. Über 80 km/h zu schnell am Gürtel haben ausgereicht.” Abgenommen wurden die beiden Autos denn Männern an einer Stelle, wo ich häufiger zu Fuß unterwegs bin. Und wo solche Typen öfter Autorennen veranstalten.
Na ja, jetzt diese beiden hoffentlich nicht mehr.
Ich kann mir vorstellen, dass in einem Autoland wie Deutschland der Gedanke daran, der Staat könnte dem freien Bürger mit seiner freien Fahrt das Auto wegnehmen, für Tumulte sorgen kann. Wenn Sie mich fragen: Ich finde es richtig, dass Leute, die ihre Fahrzeuge derart benutzen, dass sie eine Gefahr für andere sind, eben keine Fahrzeuge mehr besitzen.
Milliarden, Milliarden
Zuschriften bekomme ich auch zu den Milliarden, die nun an Schulden aufgenommen werden sollen, um in Militär und Sicherheit zu investieren, in Infrastruktur und in Klimaschutz. Was ich davon hielte, werde ich gefragt. Und warum ich dazu nichts kommentiert habe, weder in den “sozialen” Medien noch in irgendeiner Publikation.
Nun, ich bin, erstens, gerade thematisch ganz woanders. Dazu ein anderes Mal mehr. Es freut mich, dass Menschen meine Meinung, meine Einschätzungen, meine Erklärungen interessieren, aber zu diesem Thema gibt es, zweitens, viele Leute, die sich sehr viel besser mit der Thematik auskennen, weil sie sich viel intensiver damit befasst haben.
Ich selbst habe dazu nur gelesen und gehört und vielleicht mit zwei, drei Beteiligten geredet, weil ich sie persönlich kenne, aber ich kann dazu wirklich keine umfassende Meinung abgeben. Lustigerweise lese ich in allen politischen Lagern Leute, die das Ergebnis entweder verdammen und als Niederlage betrauern oder die es feiern und als Durchsetzung der eigenen Positionen bezeichnen. Offensichtlich sieht jeder es so, wie es gerade in den Kram passt.
Meine oberflächliche Sicht:
1. Ich finde gut, dass in Zeiten der Putins & Trumps & Co. in europäische und deutsche Sicherheit und Verteidigung investiert wird.
2. Ebenso finde ich gut, dass endlich in Infrastruktur investiert wird.
3. Ich finde es richtig, dass die Schuldenbremse nicht grundsätzlich abgeschafft wird, auch nicht durch die Hintertür von “Reformen”.
4. Ich finde geboten, dass auch in Klimaschutz investiert wird. Ich denke, über die Jahre gerechnet ist die - nicht kleine - Summe nicht viel. Passt also, finde ich.
5. Die Frage, ob Klimaneutralität bis 2045 ins Grundgesetz gehört, was ja dort nun reingeschrieben werden soll, sehe ich kritisch. Sich das als Ziel vorzunehmen: prima. Gesetze dazu zu beschließen: na klar. Aber gehört das so in die Verfassung? “Klimaneutralität bedeutet, dass menschliches Handeln das Klima nicht beeinflusst”, heißt es jetzt. In dieser Formulierung halte ich das für eine Illusion. Der Mensch ist nie “klimaneutral”. Es geht darum, so zu leben, dass die Lebensgrundlagen für uns alle nicht zerstört oder bedroht werden. Und was, wenn 2045 das - dann grundgesetzlich verankerte - Ziel nicht erreicht ist? Darf das Bundesverfassungsgericht dann Industrien abschalten?
6. Bei allen Ausgaben erwarte ich, dass genau darauf geachtet wird, wie das Geld wofür ausgegeben wird - also ohne Korruption, ohne irgendwelche schmierigen Deals, ohne Politiker, die irgendwo nebenbei mitmischen, Stichwort: Masken. Und dass es eben nicht darum geht, irgendwelche Klientelinteressen zu bedienen und Wahlgeschenke zu bezahlen und Ideologien eine finanzielle Grundlage zu schaffen, sondern darum, Deutschland und Europa zukuftssicher zu machen, für Sicherheit und Wehrfähigkeit zu sorgen, die Infrastruktur auf Vordermann zu bringen und den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen.
Ich bin dann mal weg…
Die Vorstellung, einfach mal abzuhauen, zu verschwinden, unterzutauchen, mag vielleicht nicht sehr neu sein, ist aber doch immer wieder reizvoll. Gerade in der heutigen Zeit. Derzeit lese ich den Roman “Weit über das Land” von Peter Stamm, in dem ein Mann genau das tut: aufstehen und gehen. Was treibt ihn? Und was denkt seine Frau darüber? Stamm wechselt zwischen den Perspektiven, und ich mag, wie er aus dieser Situation eine Erzählung über das Leben strickt, über das Normale, den Alltag, das menschliche Miteinander.

Ihnen eine schöne Woche und herzliche Grüße aus Wien, vielleicht sieht man sich in Aachen (Öffnet in neuem Fenster) oder Wiesbaden (Öffnet in neuem Fenster),
Ihr Hasnain Kazim
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