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Geiselaustausch und Waffenruhe: Der Deal im Klartext

Palästinenser feiern auf der Straße.

Israel und Hamas haben einen Deal ausgehandelt.

Es steht mir nicht zu, diesen Deal als gut oder schlecht zu beurteilen.
Was ich kritisiere ist die Berichterstattung der Medien, die international den Unterton pflegt, den Deal als etwas Positives darzustellen. Die Details des Deals werden eher nachlässig behandelt. Zumal diese nicht alle öffentlich gemacht wurden.

Ich möchte versuchen, das einmal etwas skeptischer und aus meiner Sicht etwas neutraler darzustellen.

Vorab: Im Oktober 2011 wurde der 2006 in den Gazastreifen entführte israelische Soldat Gilal Schalit gegen 1027 Gefangene ausgetauscht, 1000 Männer und 27 Frauen. Darunter waren auch Führungsköpfe. Unter anderem der inzwischen getötete Yahya Sinwar, der 10/7 maßgeblich mitgeplant hatte, Assis Salha, der einen Soldaten in Ramallah gelyncht hatte und die „Journalistin“ Ahlam Tamimi, die einen Selbstmordattentäter nach Jerusalem gefahren hatte.

Da sich die Medienberichte zu den Details des Deals auffallend ähneln, bin ich recht sicher, diese gehen auf eine gemeinsame Veröffentlichung der Verhandelnden in Katar zurück. Daher muss ich davon ausgehen, dass selbst darüber, was veröffentlicht wird, verhandelt wurde. Die Öffentlichkeit bekommt hier also bereits ein „Framework“.
Selbst die Tagesschau gibt als Quelle andere „Medienberichte“ an. Das ist also alles sehr undurchsichtig.

Rechnerisch befinden sich noch 94 Geiseln in der Hand der Palästinenser. Die israelischen Nachrichtendienste gehen davon aus, dass davon höchstens 60 noch am Leben sind.

In der ersten Phase, die am Sonntag beginnen soll, sollen 33 Geiseln freikommen. „Darunter seien alle festgehaltenen Frauen, Kinder und Männer über 50 sowie Verwundete.“ (Tagesschau) Diese Formulierung ist in allen Medien im Grunde wortgleich. (ZDF heute, Washington Post, Wall Street Journal, etc.) Es gibt also eine einzige, gemeinsame Quelle.

Die Hamas würde auch Tote übergeben, heißt es. Dabei ist unklar, ob diese 33 Geiseln lebende sein sollen und die Toten zusätzlich gezählt werden. Denn die Hamas hat nicht nur immer wieder auch über die Übergabe der Leichname verhandelt, sondern diese als Gleichwertig mit lebenden Geiseln argumentiert. Das war wohl eine der größten Hürden, einen Deal zustande zu bringen.
Man sollte also zumindest darauf vorbereitet sein, bei der Übergabe auch Leichen zu sehen.

Im Gegenzug sollen palästinensische Gefangene ausgetauscht werden. Für Zivilisten jeweils 30 Gefangene, für Soldatinnen jeweils 50 Gefangene. (Das zeigt, auf welchem Niveau die Hamas verhandelt hat.)
Da ausdrücklich von Soldatinnen gesprochen wird, scheinen also keine männlichen Soldaten ausgetauscht zu werden.

Das bedeutet, alleine durch den ersten Austausch kämen zwischen 990 und 1650 Gefangene aus der israelischen Haft frei.
Obwohl auch über bestimmte Personen verhandelt wurde, ist mir keine Angabe dazu bekannt, wer freigelassen werden soll. Es ist davon auszugehen, dass die Hamas zunächst Führungspersönlichkeiten freigepresst hat. Allerdings soll bei langjährigen Insassen vereinbart worden sein, dass diese nicht in die palästinensischen Autonomiegebiete zurückkehren dürfen.

Darüber hinaus müssen die israelischen Streitkräfte sich zurückziehen. Deutsche Medien berichten von einer verbleibenden Pufferzone.
Das Wall Street Journal berichtet jedoch ausführlich darüber, dass die IDF sich lediglich aus einem trennenden Keil in der Mitte des Gazastreifens zurückziehen sollen - ich gehe von der Höhe Chan Yunis bis zur Küste aus - und dem Philadelphi-Korridor, also der Grenze zu Ägypten.
Das ist aussagekräftig. Denn obwohl Ägypten die Grenze zum Gazastreifen stark befestigt hat, war dies immer die Schmuggelroute für die Waffen der Hamas und des Dschihad. Meiner Einschätzung nach hat die Hamas sich hier die Möglichkeit erpresst, wieder Nachschub an Waffen bekommen zu können.

Grenze zwischen dem Gazastreifen (links) und Ägypten.

Foto: Grenze zwischen dem Gazastreifen (links) und Ägypten.

Darüber hinaus sollen bis zu 500 LKW mit Hilfslieferungen täglich in den Gazastreifen gelassen werden. (Derzeit ca. 80, mehr als vor dem Krieg.)
Es wird spannend sein zu sehen, was innerhalb des Gazastreifens mit diesen Hilfslieferungen geschieht.

Damit ist der Krieg nicht beendet.
Sollte der Austausch klappen, und vor allem der damit einhergehende Waffenstillstand, sechs Wochen halten, soll die zweite von drei Phasen beginnen. Diese müsse dann jedoch noch verhandelt werden.

Nachdem der derzeitige Chef der Hamas im Gazastreifen Khalil al-Hayya den Deal öffentlich bestätigt hatte, kam es in Städten im Gazastreifen zu spontanen Feiern auf den Straßen. (Titelbild: Deir el-Balah) Die Palästinenser stellen diesen Deal als Sieg dar.
In Tel Aviv kam es zu einer kleinen, eher zurückhaltenden Kundgebung. Neben der spürbaren Skepsis kam es auch zu kleinen Kundgebungen gegen den Deal.

Kundgebung vor allem von Angehörigen der Geiseln in Tel Aviv.

In diesen Stunden soll der Deal durchs Sicherheitskabinett gehen und dann dem Parlament präsentiert werden. Die ultrarechten Teile der Regierung haben angedroht, die Koalition zu verlassen, wodurch die Regierung Netanjahu nicht mehr regierungsfähig wäre.

Die US-Nachrichtendienste gehen davon aus, dass die Hamas ebenso viele neue Kämpfer anwerben konnte, wie sie verloren hat. Über 400 israelische Soldatinnen und Soldaten haben ihr Leben verloren.

Bisher gibt es keinerlei Aussagen dazu, ob es überhaupt Pläne für danach gibt. Also wie der Gazastreifen zukünftig regiert werden sollte. Da Netanjahu immer eine Regierung durch die Autonomiebehörde ausgeschlossen hat und die Fatah nicht nur keinen Rückhalt hat, sondern es inzwischen auch zu Schießereien zwischen den beiden Gruppen im Westjordanland kommt, sieht es danach aus, dass die Hamas weitermachen wird, wie zuvor.

Kategorie Medien und Politik

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