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30.04.2021 Opfer zweiter Klasse? Betroffene schwerer Verkehrsunfälle fordern bessere Hilfe

Sind die Opfer von fahrlässigen Straftaten wirklich "Opfer zweiter Klasse"? Während es bei vorsätzlichen Taten wie Mord, Totschlag oder Terrorismus für die Leidtragenden inzwischen eine Fülle von Hilfsmöglichkeiten gibt, scheinen beispielsweise die Angebote für Eltern, deren Kinder unter ein Auto geraten und den Tod ihres Liebsten in ihr restliches Leben integrieren müssen, unzureichend: ihr Kind stirbt und sie müssen monatelang warten, um ihr Trauma mit Psycholog*innen bewältigen zu können... Warum wird die Hilfe für Opfer und Hinterbliebene nicht auch bei fahrlässigen gravierenden Straftaten ausgedehnt? Gerichtsreporter Morling spricht mit betroffenen Eltern und einer Frau, die sich überwiegend allein durchkämpfen muss, nachdem ein LKW sie mehrfach überrollt hatte. Der Zustand sei "nicht fair", sagt auch Berlins Opferbeauftragter.

Nur Opfer von Straftaten können wissen, was ihnen fehlte, als sich ihr Leben dramatisch bis heute änderte: "Jemand muss sie an die Hand nehmen!", sagt Julia S., die auf dem Weg zur Schule hinter ihrem siebenjährigen Sohn fuhr, bevor ein LKW beim Rechtsabbiegen ihn tödlich überrollte.

https://www.berliner-zeitung.de/mensch-metropole/mutter-spricht-ueber-den-verkehrstod-ihres-sohnes-li.3612 (Öffnet in neuem Fenster)

Trotz der oft tödlichen Folgen bei "fahrlässigen Tötungen" werden die Opfer und Angehörigen oft schlechter gestellt als bei vorsätzlichen Taten wie Mord oder Terroranschlägen - obwohl die Folgen oft zumindest ähnlich sind.

Beate Flanz überlebte das Überrollen durch einen LKW. Sie ist ist seitdem schwerst behindert, bis zum Herbst 2017 war sie aktive Sportlerin und Radfahrerin. Am 25.Oktober 2017 wurde sie mit ihrem Rad vom Auflieger eines LKWs mit mehreren Rädern überrollt, als er rechts abbog.

https://www.tagesspiegel.de/berlin/ungewoehnliches-urteil-nach-abbiegeunfall-lkw-fahrer-zu-bewaehrungsstrafe-verurteilt/24962302.html (Öffnet in neuem Fenster)

Fahrlässig soll auch Fabien Martini getötet worden sein. Sie war 20, als ein Polizist im Einsatz mit fast 100 Stundenkilometern in ihren Kleinwagen raste, als sie in der Nähe des Alexanderplatztes in Berlin gerade einparken wollte. Auch hier soll eine fahrlässige Tat des erfahrenen Polizeibeamten vorliegen, obwohl er viel zu schnell vor. Die Eltern Fabiens, Britta und Christian quälen sich fast drei Jahre mit ihrer Trauer und Verzweiflung, bis endlich der Prozess gegen den Polizisten stattfindet wegen fahrlässiger Tötung ihrer Tochter.

Der Polizist wird wegen fahrlässiger Tötung zu einer Bewährungsstrafe von 14 Monaten verurteilt.

https://www.tagesspiegel.de/berlin/prozess-im-fall-fabien-martini-polizist-peter-g-zu-14-monaten-haft-auf-bewaehrung-verurteilt/26720122.html (Öffnet in neuem Fenster)

Wie viele Opfer und deren Anghörige irrten die schwer traumatisierten Opfer, deren Angehörige, die Eltern und Geschwister durch ihr Leben nach den fahrlässigen Taten auf der Suche nach professioneller Unterstützung, sie hofften daruf, dass die Institutionen des Staates sie an der Hand nahmen in einer Situation, die niemand erleben möchte. Während Opfern und Angehörigen bei Mord, Totschlag und Terror inzwischen ein relativ breites Netz an Hilfe zur Verfügung stünde, ist es nach den Folgen fahrlässiger Taten, weitgehend anders: es gäbe Opfer 1. und zweiter Klasse, so der Opferbeauftragte von Berlin in einem Artikel für den Tagesspiegel. Roland Weber:

https://www.tagesspiegel.de/berlin/zwischenruf-des-berliner-opferbeauftragten-verletzte-und-hinterbliebene-koennen-nicht-auf-die-verkehrswende-warten/26702726.html (Öffnet in neuem Fenster)

Bundesweit nimmt 2020 die Zahl der bei Verkehrunfällen getöteten Radfahrer zwar ab, im Vergleich zu den getöteten Autoinsassen (-14,2 %) und Fußgängern (-9,8 %) ist die Abnahme der Getöteten bei Radfahrenden aber deutlich geringer (-4,3 %), so das Statistische Bundesamt im April 2021. Danach starben im letzten Jahr 2020 im Straßenverkehr insgesamt 2.719 Menschen, davon allein 426 Fahrradfaher*innen.

U.a. in Berlin ist der Trend im Coronajahr 2020 allerdings umgekehrt: dort starben beispielsweise dreimal mehr Radfahrende als im Vorjahr: statt sechs Radfaher*innen starben 2020 von insgsamt fast 50 Todesopfern allein 17 Radfahrende - eine Steigerung um das Dreifache. Für den Opferbeauftragten Berlins sind die Opfer fahrlässiger Straftaten im Straßenverkehr auch als Opfer viel zu wenig geschützt: sie seien Opfer zweiter Klasse. Der Staat müsse sich besser um diese Opfergruppe kümmern, klagen die Opfer und ihre Angehörigen, Verbände und der Opferbeauftragte Berlins gemeinsam.

Das Statistische Bundesamt meldet über die Unfallzahlen von 2020:

https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2021/04/PD21_198_46241.html;jsessionid=CF5D416AB7AA1B2EE884293AE859967D.live741 (Öffnet in neuem Fenster)

Nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt  an der Berliner Gedächtniskirche waren bundesweit die Opfer und deren Angehörige ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Und: der Staat und staatliche Hilfsorganisationen kümmerten sich um die 67 zum Teil Schwerverletzten und die Angerhörigen der elf Ermordeten der vorsätzlichen Terrortat. Nach dem in Berlin ein mutmaßlich psychisch kranker Attentäter mit seinem Auto auf der Stadtautobahn vier Männer bewusst  von ihren Motorrädern stieß, war Berlins  Justizsenator Dirk Behrendt von den Grünen sofort bereit, zu helfen. Sicherlich angemessen für die Opfer und Angehörigen: die nach dem Terroranschlag an der Gedächtniskirche ins Leben gerufene Opfer-Anlaufstelle würde auf die Opfer zugehen, kündigte er an. Ein lobenswerter Umgang, der für die Opfer fahrlässiger Taten im Straßenverkehr bisher weitgehend fehlt. 

Neben der wichtigen Hilfe für die Opfer schwerer Straftaten des Terrors und von Mord und Totschlag könnte nun politisch angeschoben und festgeklopft werden die ausreichende Hilfe für Opfer von fahrlässigen Verkehrsstraftaten beispielsweise.

Die Forderungen des ADFC bezüglich der Rechtsabbiegeunfälle von LKWs:

https://www.adfc-nrw.de/aktuelles/aktuelles/article/forderungspapier-zu-lkw-abbiegeunfaellen-adfc-und-b.html (Öffnet in neuem Fenster)

Der Opferbeauftragte Berlins Roland Weber  regt im Superwahljahr 2021 an, die Opfer und Angehörigen von Verkehrsstraftaten besser zu unterstützen. Er ist seolbst Anwalt und hat in seiner Funkion viel Kontakt zu Opfern und deren Angehörigen. Er präferiert eine Koordinierungstelle, die die verschiedensten Bedürfnisse der Opfer nach dramatischen Straftaten erkennt und versucht, bei der Lösung zu helfen. Der Staat wäre gefordert...

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