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11.06.2021 Irakischer Kindersoldat zu knapp sechs Jahren wegen Beihilfe zum Mord verurteilt

Schuld und Sühne: Deutsches Strafrecht gegen Terror

Gilt die UN-Kinderrechtskonvention von 1989? Oder im Fall von Abbas, zur Tatzeit mutmaßlich 15 Jahre alt, das deutsche Strafrecht? Oder beides? Abbas soll an einer Hinrichtung des IS im Irak aktiv beteiligt gewesen sein. Das Berliner Kammergericht verurteilte ihn zu knapp sechs Jahren Jugendstrafe, sein Vater wurde wegen Mordes zu lebenslanger Haft  verurteilt.

"Ich halte es für ein falsches Urteil. Wir sind davon überzeugt, dass unser Mandant, so wie das Gericht es festgestellt hat, nicht beteiligt war.", sagt Verteidiger C. Mark Höfler. Er hält das Urteil des 1. Strafsenats des Berliner Kammergerichts für falsch. Weil die beiden Angeklagten an einer Hinrichtung durch den IS als Mitglieder der Terrororganisation teilgenommen haben sollen  im Irak im Jahr 2014, muss der 45-jährige Vater lebenslang hinter Gitter, u.a. wegen Mordes. Der zweite Angeklagte, sein 22-jähriger Sohn,  muss eine Jugendstrafe absitzen von fünf Jahren und 10 Monaten. Er soll Beihilfe zum Mord des Opfers geleistet haben. 

https://www.berlin.de/gerichte/presse/pressemitteilungen-der-ordentlichen-gerichtsbarkeit/2021/pressemitteilung.1092334.php (Öffnet in neuem Fenster)

4000 Kilometer von Berlin entfernt ist es passiert. Eigentlich eine Errungenschaft des deutschen Rechtsstaates, dass man inzwischen auch zum Beispiel in Berlin aburteilen kann schlimmste Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen. Kein Täter kann sich mehr sicher sein. Im Januar 2014 gab das Bundesministerium der Justiz den deutschen Ermittler*innen und Gerichten die Ermächtigung, Mitglieder und Unterstützer des IS zu verfolgen. Zweieinhalb Jahre lang und 164 Verhandlungstage dauerte der Prozess gegen die beiden Iraker. Die fünf Berufsrichter sahen die Schuld der Beiden als erwiesen an: sie sind Vater und Sohn, sie kamen mit ihrer Familie im Frühjahr 2015 nach Deutschland aus der irakischen Stadt Mossul, 4000 Kilometer entfernt. Nach der Eroberung Mossuls durch den IS sollen die angeklagten Vater und Sohn in der zweitgrößten Stadt des Iraks bei der Hinrichtung eines Obersten einer paramilitärischen Polizeieinheit mitgemacht haben. Der Sohn, Abbas war damals 15 Jahre alt. Wir haben im Februar in dem Podcast bereits über ihn berichtet. Sein Vater soll einer der maskierten Männer des IS gewesen sein, die durch die ganze Stadt ihr Opfer schleppten: Kahlgeschoren, mit einem weißen langen Gewand, der Dschallabija, bekleidet, mit hinter dem Rücken gefesselten Händen, wissend, dass er nicht mehr lange zu leben hat und hingerichtet werden soll. Vor dem Mord des IS an dem Polizeioffizier war der 15-jährige Abbas auf dem Propagandavideo des IS gut zu erkennen: er beschimpft das später erschossene Opfer und spuckt in Richtung des wehrlosen und hilflosen Mannes.

"Hundesohn" sagt Abbas und: "Dank des IS haben sie Dich hierher gebracht und werden dich exekutieren! Trottel! Ich spucke auf Dich, Du Hund!" Und Er spuckt auf den Mann, der mit hinter seinem Rücken gefesselten Händen den Tod zu erwarten hat.

Es ist ein Fortschritt, dass Kriegsverbrechen, auch im Ausland begangen, verfolgt und abgeurteilt werden in Deutschland. Oder?

Ein Unbehagen dabei: kann man bei uns in Europa, 4000 Kilometer entfernt, Menschen verstehen und zutreffend be- und verurteilen, die aus einem instabilen Land kommen, das von Krieg  und Bürgerkrieg geschüttelt wurde? Ein Land, in dem bis heute religiös motivierte Morde geschehen und Menschen, die verdächtig sind, beim IS mitgemacht zu haben, oft nicht sicher sind vor Folter und vielleicht sogar Mord? Ein Land, das bis 2003 Diktator Saddam Hussein beherrscht wurde.  

Schuld und Sühne und Bestrafung 4000 Kilometer vom Tatort entfernt. Die Tat ist geschehen unter Umständen die uns fremd sind, wenn es auch noch so viele Sachverständige gibt, die dem Gericht und uns die nötige Sach- und Fachkunde geben sollten, um das, was passierte, vorurteilsfrei und angemessen zu be- und verurteilen. Die erschütternde willkürliche Hinrichtung eines Menschen - egal, was er zuvor gemacht haben mag. Es geht für alle Beteiligten, Täter und Opfer um Menschenrechte, aber auch u.a. um Kinderrechte , die für alle Kinder gelten, egal wo sie auf der Welt leben und was auch immer sie tun, also auch für Abbas, der im strafrechtlichen Sinn Täter geworden sein soll. Menschenrechte sind unteilbar, ob die des Opfers der Hinrichtung, oder die der Täter, die ihn hingerichtet haben sollen. Schwer zu akzeptieren vielleicht, aber so ist es.

Über dieses Spannungsfeld zwischen Schuld und Sühne und dem Gedanken der "Erziehung", die für den zur Tatzeit 15-jährgen Abbas wegen der Anwendung des Jugendstrafrechts gilt, wollte ich mit u.a. mit dem Vertreter der Bundesanwaltschaft im Prozess, Hannes M. sprechen. Doch auch nach zweieinhalbjährigem Prozess hat er nur eine kurze Erklärung zu verlesen. Der Öffentlichkeit wird außer im Prozess nicht berichtet über die schwierigen Ermittlungen im Ausland in diesem Fall, den religiösen blutigen Kämpfen zwischen Schiiten und Sunniten, Bundesanwalt M. will keine Fragen beantworten, obwohl vor Monaten bereits angekündigt wurde. dass man um ein Interview bitte. Hannes Meyer-Wieck verliest das, was wohl für ihn vom Prozess nach dem Urteil die Essenz ist.

"Eine Verschwörung gegen die Angeklagten schließt der Senat sicher aus!", sagt der vorsitzende Richter im Urteil. Die Verteider hatten im Prozess immer wieder darauf hingewiesen, dass die beiden Angeklagten Sunniten sind und die, die vor Gericht gegen sie aussagten, Schiiten seien. Sogar in mindestens einem Prozess wurden von anderen Richtern einige der Zeugen gegen Abbas und seinen Vater -jetzt rechtskräftig- als unglaubwürdig eingeschätzt. Die Belastungszeugen hingen beiden Richtungen des Islam an, hieß es im Urteil jetzt, man könne sich also auf sie stützen, um eine sichere Überzeugung zu gewinnen.

Nach Überzeugung des Kammergerichts war die Familie der Angeklagten eng mit dem frühreren Diktator im Irak, Saddam Hussein, verbunden. Es gab mindestens einen Minister, den die Familie der Angeklagten stellte. Der angklagte Vater soll Leibwächter im Büro Husseins gewesen sein. Abbas besuchte eine christliche Privatschule. Nachdem Saddam Hussein seine Macht 2003 verlor und im Irak Bürgerkrieg herrschte, gab es einen wichtigen Einschnitt: auf Abbas Vater wurde im Goldgeschäft der wohlhabenden Familie ein Attentat verübt. Trotz Kopfschuss überlebte er und hielt sich seitdem verborgen. 2014 habe er sich dem IS angeschlossen: als Sunnit habe er endlich die jetzt herrschenden Schiiten bekämpfen können. Aus "Opportunitätsgründen" hätten sich der Vater und sein 15-jähriger Sohn dem IS angeschlossen und an der Hinrichtung teilgenommen, nicht aus islamistischer Überzeugung.

Der Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof, Hannes Meyer-Wieck, hatte außer am ersten Prozesstag in dem zweieinhalbjährigen Prozess der Presse gegenüber geschwiegen und ein Statement zum Ende des Prozesses versprochen. Nach dem Urteil verliest er ein kurzes Statement, ohne Fragen zu beantworten.

Auch der vorsitzende Richter hatte im Urteil betont, dass die Belastungszeugen sowohl Sunniten, wie die Angeklagten, als auch Schiiten gewesen seien. 20 Zeugen allein aus dem Irak, seien gehört worden. Allerdings waren sie allesamt als Flüchtlinge nach Europa gekommen, kein Zeuge wurde im Gegensatz zur Beweisaufnahme in anderen Prozessen, direkt aus dem Irak in den Zeugenstuhl im Kammergericht gebeten oder per Videovernehmung im Irak vernommen. Teilweise gab es heftige Auseinandersetzungen und Wortgefechte zwischen den Angeklagten und den Zeugen. Die Zeugen seien teilweise bedroht worden, hieß es in der Urteilsbegründung, einige hätten sichtlich Angst gehabt auszusagen, so der vorsitzende Richter.

Beide Angeklagte hatten jeweils zwei Verteidiger, die allesamt zu den renomiertestens Strafverteidigern zumindest Berlins gehören. Walter Venedey vertrat den angeklagten Vater von Abbas, der als maskierter IS-Kämpfer bei der Hinrichtung neben dem Todesschützen gestanden haben soll. Er übt fundamentale Kritik an dem Schuldspruch und der zweieinhalbjährigen Beweisaufnahme: Verteidiger Venedey:

Beweisanträge, konkrete mögliche Entlastungszeugen für die beiden Angeklagten direkt aus Mossul im Prozess zu hören, wurden von den Richtern zuletzt abgewiesen mit der Begründung, dass lediglich Schutzbehauptungen aufgestellt würden von der Verteidigung,  denen der Senat keinen Glauben schenke, weil der Tatverdacht gegen Vater und Sohn sich immer weiter verdichte. Doch wie hat das Gericht, den maskierten IS-Mann neben dem Opfer im Video  als den Vater von Abbas erkannt? Ein Sachverständiger hatte im Prozess bekundet, dass die Identifizierung des heute 45-jährigen "nahezu nicht möglich", aber "nicht ausgeschlossen"  sei. Unter den vier zusätzlichen Belastungszeugen befand sich u.a. ein Iraker, der Monate vor der Hinrichtung des Polizeioberst geflüchtet war aus dem Irak und gehört haben will, dass der Vater Abbas einer der maskierten Schergen des IS gewesen sei. Aber auch Abbas trug wohl zur Überzeugungsbildung bei den Richtern bei. Laut Zeugen soll er beim Anschauen des Hinrichtungsvideos auf den rechts neben dem Opfer stehenden und vermummten IS-Mann gezeigt und stolz verkündet haben, dass das sein Vater sei. War das pubertäre Prahlerei, oder ein unbefangenes Geständnis? Auch nach dem Urteil geht die Verteidigung davon aus, dass Abbas vom IS gezwungen wurde, an der Hinrichtung teilzunehmen. Gleichzeitig soll von der wohlhabenden Familie, die bereits mit Saddam Hussein verbunden war, ein Lösegeld gezahlt werden, damit Abbas vom IS freigelassen würde. Sein Vater habe sich in jener Zeit versteckt gehalten. Nach einem Attentat auf ihn mit Kopfschuss im Jahr 2008 habe er als oft den Wohnort gewechselt, auch zu Zeiten des IS. Viele der möglicherweise entlastenden Beweisanträge wurden abgewiesen im zweieinhalbjährigen Prozess. Auch die letzten beiden Anträge, so Abbas-Verteidiger C.Mark Höfler:

Die Beweiswürdigung übliegt dem Gericht im Strafverfahren. Ob dabei das recht falscht angewendet wurde, muss nun der Bundesgerichtshof in der angekündigten Revision klären. Die Länge des Strafprozesses gegen Vater und Sohn hat aber noch eine weitere Dimension:  wird der zur Tatzeit 15-jährige Abbas in der Untersuchungshaft auch wirklich so behandelt, wie  im Jugendstrafrecht festgelegt: wird er dort erzogen und auf das Erwachsenenleben vorbereitet? Abbas Untersuchungshaftzeit ist der traurige Rekord in der Jugendstrafanstalt Plötzenssee in Berlin. Seit über vier Jahren sitzt Abbas in dort Untersuchungshaft. Der Leiter der JSA, Bill Borchert:

In vier Jahren Untersuchungshaft erlangte Abbas den mittleren Schulabschluss. Wegen zwei Prozessterminen wöchentlich und wegen der Sicherheitsauflagen bei einem mutmaßlichen IS-Terroristen  hat Abbas weder Ausbildung noch weiter die Schule suchen können. Nur die deutsche Sprache konnte er schon kurz nach seiner Ankunft in Deutschland nahezu perfekt. Vor einem Jahr beging er einen ernsthaften Suicidversuch laut Jugendstrafanstalt. Seine beiden kleinen Brüder und seine Mutter sieht er selten und durch eine Trennscheibe. Der Erziehungsgedanke stehe bei ihm nicht mehr leitend im Vordergrund, so der vorsitzende Richter im Urteil. Nach über vier Jahren Jugendlichen-UHaft ist er inzwischen 22 Jahre alt. In der Urteilsverkündung heißt es, dass Abbas ein -Zitat- verfesttigter Krimineller sei, obwohl es kein rechtskräftiges Urteil gegen ihn gibt und er als unschuldig zu gelten hat nach unseren Rechtsnormen. Er bleibt auch nach dem Urteil weiter in Haft, obwohl er bereits über vier Jahre Untersuchungshaft hinter sich hat. Das Gericht spricht von  Verdunklungs- und Fluchtgefahr, trotz Vater, Mutter und seiner kleinen Brüder in Berlin. Darüberhinaus droht seine Abschiebung, auch wenn das Urteil über ihn noch nicht rechtskräftig ist.

Trotz seines Alters von 15 Jahren zur Tatzeit sei Abbas auch kein Kindersoldat gewesen, so der 1. Strafsenat des Kammergerichts im Urteil. Denn es gäbe keine Anthaltpunkte dafür, dass er vor seinem  15.Geburtstag mit dem IS zu schaffen gehabt habe. Abbas Fall wird inzwischen vom UN-Kinderrechtsausschuss begutachtet. Denn das "Deutsche Bündnis Kindersoldaten", vertreten darin die größten Kinderrechtsorganisationen Deutschlands betont, dass nach dem Völkerrecht alle unter 18-Jährigen Mitglieder bewaffneter Gruppen und Armeen Kindersoldat*innen seien, dies bei der Beurteilung von möglichen Straftaten berücksichtigt werden müsse und ihnen eine angemessene Behandlung zustünde. Henriette Hänsch von Terre des Hommes:

"Für bewaffnete Gruppen und Milizen, wie das beispielsweise der IS wäre - das ist ja keine staatliche Armee- ist die Rekrutierung unter 18-jährigen verboten. Das ist definitiv völkerrechtlich so festgelegt. Das ist dann ein Kindersoldat. Auch diese Frage, was ist denn, wenn unter 18-jährige sich freiwillig bewaffneten Gruppen anschließen? Die gelten trotzdem als Kindersoldaten, weil das Element der freiwilligkeit doch sehr, sehr schwer zu fassen ist. Wenn es nicht staatliche Armeen sind, für die es bestimmte Ausnahmen gibt unter bestimmten Voraussetzungen, ist das freiwillige Anschließen  zu bewaffneten Gruppen nichtstaatlicher Armeen verboten. Diese Kinder gelten auch als Kindersoldaten."

Bisher untersagte das Berliner Verwaltungsagericht, dass Abbas in den Irak abgeschoben wird. Die Gefahr, dort gefangengenommen und hingerichtet zu werden, sei inzwischen ausgeräumt durch Versicherungen des Irak, heißt es in den Entscheidungen. Falls der Irak ebenso glaubhaft versichern sollte, dass Abbas nicht gefoltert wird, stimmte seiner Abschiebung nichts mehr im Wege- vorbehaltlich der verwaltungsrichtlichen Entscheidung. Wann der Bundesgerichtshof über die Revision von Vater und Sohn entscheidet ist unklar. Zuerst muss das Kammergericht das Urteil schriftlich verfassen. Das allein kann Monate dauern, die Entscheidung des BGH, was aus den beiden mutmaßlichen IS-Mitgliedern werden soll, noch viel länger.

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