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Warum ich klassische Konsumkritik öde finde

Eine Person mit schaumiger Frisur wird eingewickelt von einem schlangenhaften Brauseschlauch (Öffnet in neuem Fenster)

Illustration: Christoph Rauscher (Öffnet in neuem Fenster)

Ich schreibe gerade eine Artikelreihe für das Krautreporter-Magazin, gleichzeitig schreibe ich aber auch ein Buch über das gleiche Thema. Es ist der gigantische Verkrempelungszusammenhang unseres Konsums.

Wenn ich das lese, was gemeinhin “Konsumkritik” genannt wird, langweile ich mich oft, weil ich auf die zwei immer gleichen Erzählungen stoße:

  1. Wir müssen nachhaltiger/weniger/besser konsumieren.

  2. Der Kapitalismus ist schuld.

Die erste Erzählung beauftragt mich mit einer gigantisch schwierigen Aufgabe, denn in meiner Wahrnehmung bin ich es ja nicht, der den Markt macht. Ich will mich aber korrekt in ihm verhalten, obwohl der Markt alles daran setzt, mich daran zu hindern. Die korrekte Wahl ist meist schwieriger zu treffen, teurer, nicht so bequem zu erhalten oder bedeutet schlicht Verzicht. Wenn ich also scheitere, ist es mein persönliches Scheitern, denn ich hätte ja das fairere, nachhaltigere Produkt kaufen können, es war mir nur zu sehr egal.

Die zweite Erzählung dreht den Spieß um: Es ist das System und in ihm ist es einfach nicht möglich, sich korrekt zu verhalten. Es gibt zwei gleichermaßen fatalistische Varianten dieser Erzählung: Entweder ist es (wie Mark Fisher schreibt) einfach nicht mehr vorstellbar, wie eine Welt jenseits des Kapitalismus aussehen könnte; es wird sich also nichts ändern. Oder man ist selber der Kapitalismus und macht mit seinen Konsumentscheidungen den Markt. In dem ich mit Ryanair fliege, schaffe ich das Produkt CO2-Explosion. Und indem ich KFC-Hühnchen kaufe, schaffe ich das Produkt Massentierhaltung. Entweder kann ich nichts tun oder ich bin selber schuld.

Diese beiden Erzählungen sollte ich nicht als Pointen meines Buchs (und der Artikelreihe) dastehen, weil wir sie schon kennen.

Oft heißt es: Erzähl mir das große Ganze, erspar mir die Details. Aber das große Ganze ist eine Erzählung, die notwendig grob und schlicht sein muss, während die Details wahrhaftig und authentisch sind und tatsächlich etwas erzählen. Ich glaube, dass wir den Verkrempelungszusammenhang (und ja, der Begriff ist natürlich ein grober Klotz, aber Texte brauchen halt Titel) besser verstehen, wenn wir uns anschauen, was im Einzelnen konkret passiert, und zwar ausgehend von den Produkten, die auf dem Markt sind. Wie kommen sie in die Welt? Warum und wie werden sie gekauft? Wie werden sie benutzt?

Ich interessiere mich für Zeug, Sachen, Dinge. Im weitesten Sinne habe ich darüber meine Dissertation geschrieben. Und ich habe spannende Gewährsleute für diese Perspektive, zum Beispiel den französischen Philosophen und Soziologen Bruno Latour, der 2022 starb. Er war (zusammen mit Martin Heidegger) einer der Philosophen des 20. Jahrhunderts, der sich nicht nur mit den großen Fragen nach der Zeit, dem Bewusstsein, den Möglichkeiten der Erkenntnis beschäftigte, sondern seine Aufmerksamkeit den Dingen zuwendete: dem Overheadprojektor und der Tafel, aber auch anderen menschengemachten Dingen wie, sagen wir, dem Hochschulsystem. Meinem Doktorvater Graham Harman habe ich diese Perspektive zu verdanken, seine “objektorientierte Philosophie” versucht nämlich genau das: die Welt von den Dingen aus zu denken, wobei Dinge bei ihm sehr weit gefasst sind (und Objekte heißen). Doch dazu zu einem späteren Zeitpunkt.

Der Ausgangspunkt meines zweiten Texts über die “Verkrempelung der Welt” jedenfalls ist ein Duschschlauch (ich wollte eigentlich Brauseschlauch schreiben, aber die Krautreporter-Redaktion fand den Begriff nicht geläufig genug). Ich kaufte nämlich neulich einen solchen Schlauch – und bekam Krempel. Dabei lernte ich eine merkwürdige Lektion: Wer normale Qualität will, muss jetzt Premiumware kaufen. Warum ist das so?

Darum geht es in Teil 2 der “Verkrempelung der Welt” und er ist jetzt online (Öffnet in neuem Fenster). Ich freue mich auf eure Reaktionen!

Herzliche Grüße aus Berlin
Gabriel