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Jede Frau kennt es: ein hartnäckiger Verehrer gibt erst Ruhe, wenn man sagt, dass man einen Partner hat. In einer Zivilisation, die auf der Verteilung von Frauen durch Männer beruht, kein Wunder.

Gestern stieß ich bei Instagram auf einen Post einen Screenshot von einem Tweet von Esther Choo auf Twitter (Öffnet in neuem Fenster), der thematisiert, warum Frauen durch Bezeichnungen wie Mrs. und Ms. (also Frau und Fräulein) als verheiratet und unverheiratet markiert werden. Das löste natürlich gleich einen Flashback zu meinem Buch “Female Choice” aus, in dem ich das Prinzip der weithin sichtbaren Markierung von Frauen behandelt habe.

Weil es angeblich immer noch 2 oder 3 Leute gibt, die dieses formidable Buch nicht gelesen haben, gibt es hier noch einmal eine kurze Rekapitulation des Paarungssystems female choice.

Female Choice

In “Female Choice” (Öffnet in neuem Fenster) habe ich die These formuliert, dass die sesshafte Gesellschaft von Männern unter anderem wegen der evolutionären Eigenschaften der menschlichen Sexualität patriarchal gestaltet wurde. Denn evolutionär kontrolliert das (physisch) weibliche Individuum die Ressource Sex. Die wählerischen Weibchen sind zumeist nur während des Eisprungs überhaupt an Sex interessiert und selbst dann nur an Sex mit den besten Männchen, was dazu führt, dass sich nur wenige Männchen pro Fortpflanzungsperiode fortpflanzen können.

Die female choice ist das, was die Evolution vorantreibt. Das harte Aussieben des männlichen Genpools durch die Weibchen führt zu einer Förderung ganz bestimmter, hervorragend auf die Umwelt angepasster Gene. Aus männlicher Sicht ist sie allerding unfair, weil sie so viele von ihnen leer ausgehen lässt. In der gewissermaßen naturbelassenen Form von Female Choice kann sich pro Fortpflanzungsphase mitunter lediglich ein Viertel der Männchen fortpflanzen. Dem gegenüber stehen weit über 90% der Weibchen, die sich fortpflanzen. Ein Geschlechterverhältnis von grob 1:1 bedeutet eben nicht, dass automatisch jeder Mann eine Frau abbekommt.

Genetische Untersuchungen und physische Gegebenheiten des Menschen deuten daraufhin, dass bei unseren nomadischen Vorfahren ein ähnliches Ungleichgewicht herrschte - dass also die menschliche Sexualität dem Female-Choice-System vollkommen entspricht (wenig verwunderlich: es ist das weitest verbreitete Paarungssystem im Tierreich). Die genuine Bevölkerung Europas hat doppelt so viele weibliche wie männliche Vorfahren. Außerdem muss es um 8000 v. Chr. einen genetischen Flaschenhals gegeben haben, was bedeutet, dass sich nur noch ein Bruchteil der Männer fortpflanzte (auf einen Mann mit Nachwuchs kamen siebzehn Frauen mit Nachwuchs).

So viele Männer ohne Zugang zu Sex bedeuten nicht nur individuelle Einsamkeit, sondern auch soziale Spannungen. In FC-Systemen ist die Konkurrenz unter männlichen Individuen und damit auch die Aggression hoch. In nomadischen Gruppen und bei Tierarten mit natürlich begrenzten Ressourcen werden die Aggressionen schlicht durch den harten Kampf um das Überleben abgemildert. Das gilt jedoch nicht für eine Art, die dank der Entdeckung von Ackerbau und Viehzucht unbegrenzt Nahrung (und damit Energie) produzieren kann und dauerhaft an einem Ort in gemischgeschlechtlichen Gruppen lebt. Für diese Art werden die aggressiven Männer zu einem großen Problem.

Die sogenannte Neolithische Revolution des Menschen, die den Übergang von der nomadischen zur sesshaften Lebensweise markiert, begann vor etwa 11.000 Jahren in der Levante und breitete sich in den folgenden Jahrtausenden u.a. nach Europa aus. Und die Female Choice auszuhebeln war eine der wichtigsten Herausforderungen nach der Sesshaftwerdung. Viele der Strukturen und Traditionen, die wir zumindest in Ansätzen heute noch sehen, sind aus dieser Herausforderung heraus entstanden.

Und damit können wir zurückkommen zu der Markierung von Frauen als verheiratet und unverheiratet.

Verteilte Frauen

Recht schnell nach der Sesshaftwerdung wurde die Frau zu einem Besitz des Mannes, der auch sonst alles besaß: Vieh, Land, Haus, Geld. Er war der Haushaltsvorstand und die Frau war ebenso wie Kinder, SklavInnen und Tiere sein Anhängsel. Bis zur römischen Antike stand eine Frau Zeit ihres Lebens unter männlicher Vormundschaft. Erst unter der ihres Vaters (oder eines anderen männlichen Verwandten) und ab der von ihrem Vater anberaumten Eheschließung ihres Ehemannes. Sie hatte keine eigenständigen Bürgerrechte, wodurch die Männer unbeschränkte Macht über sie hatten.

Die Männer veteilten also die Frauen und damit auch ihre sexuelle Verfügbarkeit und ihre Fruchtbarkeit neu. Natürlich nach männlichen Besitzinteressen, nicht nach einem evolutionären Auswahlverfahren der besten Gene. Die Frauen hatten dabei nichts zu sagen. Die Umverteilung begann nämlich ganz schnöde als Zwangsverheiratung von Kinderbräuten. Das heißt, die Eltern oder häufiger nur der Vater bestimmten einen Bräutigam für ihre Tochter, was unterm Strich nichts anderes bedeutet, als dass der Vater festlegte, mit wem ein Mädchen regelmäßig Sex und Nachkommen haben sollte.

Eine Frau, die als Besitz des Mannes gilt, muss natürlich von außen als solcher zu erkennen sein. Damit ein fremder Mann sehen kann, ob er sich ihr als Paarungsmaterial nähern kann oder nicht. Denn sich einer Frau zu nähern, die einem Ehemann gehört, konnte empfindliche Strafen nach sich ziehen. Diese Art von Vergehen galt als Verbrechen an dem Ehemann, nicht an der Frau selbst. Und aus diesem Konstrukt heraus ist es dann nur noch ein verhältnismäßig kleiner Schritt bis zur Markierung von Mädchen und Frauen.

Von ferne sollt Ihr sie erkennen

Bei den Assyrern, die ab dem zweiten Jahrtausend v. Chr. eine gewichtige Rolle in der Levante spielten, ist die Verschleierung (Öffnet in neuem Fenster) zum ersten Mal erwähnt. Ehefrauen und “versprochene” Töchter mussten sich auf der Straße verschleiern. Sexuell rechtlosen Frauen wie Prostituierten und Sklavinnen war das Verschleiern sogar bei Strafe verboten.

Bei den Hethitern und Babyloniern finden wir weitere Hinweise: dort sind die Strafen bei sexueller Gewalt gegen eine Frau festgehalten. Bei Vergewaltigung einer Jungfrau war für die Strafe des Täters entscheidend, ob sie bereits verlobt, also “versprochen” war oder nicht. Sexuelle Gewalt gegen Sklavinnen wurde als Besitzvergehen gegen ihren “Besitzer” geahndet und mit Geldstrafen belegt. Vergewaltigung einer Ehefrau konnte die Todesstrafe nach sich ziehen (“If the wife of a man be walking on the highway, and a man seize her, say to her ‘I will surely have intercourse with you’, if she be not willing and defend herself, and he seize her by force and rape her, whether they catch him upon the wife of a man, or whether at the word of the woman whom he has raped, the elders shall prosecute him, they shall put him to death.”, Code of Assura, I.12. (Öffnet in neuem Fenster), 1075 v. Chr.). Das ist natürlich keine Kleinigkeit, weshalb es wichtig war, “besetzte” Frauen kenntlich zu machen, so dass jeder Mann schnell sehen konnte, ob ihm bei Annäherung Strafe droht oder nicht.

Sowohl in der Sprache als auch im äußeren Erscheinungsbild wurden Frauen daher gekennzeichnet. Die indogermanischen Sprachen Mitteleuropas unterscheiden alle zwischen Frau und Fräulein (vgl. englisch Mrs/Ms, franz. Mme/Mlle, span. Sra/srta, ital. Sig.ra/Sig.na). Doch auch im Erscheinungsbild gab es weithin sichtbare Zeichen für unbefraute Männern. In der traditionellen Tracht des Schwarzwalds stehen rote Pompoms (Öffnet in neuem Fenster) auf den Hüten für “verfügbare” Frauen, schwarze Pompoms hingegen für durch einen Ehemann “besetzte” Frauen. Die Position der Schleife an bayerischen Dirndl-Kleidern (Öffnet in neuem Fenster) (rechts, links, vorn, hinten) zeigt an, ob man sich einer Frau ungestraft nähern kann. Dass eine Frau bei ihrer Hochzeit traditionell den Nachnamen ihres Mannes annimmt und nicht umgekehrt, ist ebenfalls ein Zeichen, dass sie besetzt ist.

Bis vor wenigen Jahrzehnten hatten in der westlichen Zivilisation ausschließlich Männer Macht, um Traditionen zu gestalten. Und das bedeutet, dass die Insignien, die Frauen an- und umgehängt wurden, von Männern für Männer waren. Ein Mann musste wissen, ob eine Frau Freiwild war oder jemandem gehörte. Die Unantastbarkeit einer Frau - das war keine Sache der Frau, sondern eine unter Männern. Und zwar seit Jahrtausenden. Das prägt.

Unter Männern

Ob der Ehemann der Frau jemandem gehörte, war in dem ganzen Konstrukt der von Männern gestalteten Zivilisation vollkommen irrelevant. Da Frauen ihre männlichen Partner nicht mehr selbst wählen konnten, war es gar nicht nötig, einen Mann als “Herrlein” oder “Herr” zu kennzeichnen.

Diese Umverteilung der Frauen durch Männer ist der Grund, weshalb es bis heute (kleiner Reminder: wir schreiben das Jahr 2024) normal ist, dass man einen unliebsamen Verehrer oft nur durch Erwähnung eines Partners abwimmeln kann, nicht jedoch durch eigenständige Willenäußerung.

Ist das scheiße?

Absolut. Ich habe selbst zigmal einen Partner erfinden müssen, um unangenehme männliche Aufmerksamkeit loszuwerden. Deshalb kommt hier ein Appell an alle Männer, die das Vorhandensein eines männlichen Partners als gewichtiger ansehen als die Entscheidung der Frau.

Egal, wie höflich Ihr einer Frau Eure (erste) Aufwartung macht: mehr als ein (1) Nein ohne Angabe von Gründen sollte es nicht brauchen, damit Ihr sie in Ruhe lasst. Im Fall von unklarer Kommunikation vonseiten der Frau könnt Ihr Euch auch noch ein zweites Nein abholen, wenn Ihr nicht sicher seid, aber danach ist Schluss. Alles, was Ihr danach tut, ist Belästigung und Übergriffigkeit.

Wenn Ihr das Nein ohne Angabe von Gründen nicht akzeptiert, die Erwähnung eines männlichen Partners aber schon, dann seid Ihr genau die Sorte Mann, die bei Internetkampagnen wie #Aufschrei und #MeToo gemeint sind. Denn Ihr glaubt, über den Willen einer Frau könne man sich hinwegsetzen, den Willen eines Mannes jedoch nicht. Ihr glaubt, der Wille einer Frau ist ein geringerer Widerstand als der Besitzanspruch eines Mannes. Eine Frau kann man womöglich doch noch zum Sex drängeln, einen Mann aber nicht dazu bringen, seine sexuelle Resource aufzugeben.

Und genau das macht Euch zu einer Zumutung für Frauen. Nicht, dass Ihr überhaupt Kontakt aufgenommen habt. Nicht, dass Ihr Interesse an ihr habt. Sondern dass Ihr die Frau so behandelt, als müsse man ihre eigene Willenäußerung nicht ernstnehmen. Als sei die Grenzziehung einer Frau weniger Wert als die eines Mannes. Das ist die Quintessenz von Frauenfeindlichkeit. Misogynie.

Also bitte, lasst die überkommene Entmündigung von Frauen hinter Euch und werdet bitte, bitte erwachsen.

(Artikelfoto von Keira Burton (Öffnet in neuem Fenster), Bild Schwarzwaldhut von Baden.de (Öffnet in neuem Fenster), CC BY 3.0)

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Kategorie Feminismus & Patriarchat

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