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Dieses Fotobuch offenbarte mir die Magie der Schwarzweiß-Fotografie

Wer mich ein bisschen kennt, weiß von meiner Leidenschaft für Fotobücher.  Heute stelle ich euch das erste vor, das ich mir zu Beginn meiner Foto-Karriere kaufte und das ich auch heute zu meinen liebsten zähle. 

Eigentlich dürfte mir dieses Buch nicht gefallen

„Die Kunst der Schwarzweiß-Fotografie: Architektur“ – diesen Titel tragen viele Fotobücher, die ich in Händen hielt. Doch keines bewegte mich so sehr, wie dieser Sammelband, den der Fotojournalist Terry Hope herausgab. Dabei dürfte es mir eigentlich gar nicht gefallen. Warum? 

Erstens: Es ist ein Sammelband mit Bildern unterschiedlichster Fotografen. Und meistens sind Best-Of-Bücher – besonders im Genre der Wildlife-Fotografie – nicht mehr als Ramsch unglücklich zusammengestellter, ausperfektionierter Aufnahmen. Schon beim Blättern in solchen Wälzern wandern meine Gedanken ab. 

Zweitens: Das Genre des Bandes ist die Architekturfotografie. Ich interessiere mich null für Architektur und auch nicht für die dazugehörige Fotografie. Denn ein Großteil des Genres prahlt mit glattgephotoshopten, superhellen und kühlen Bildern. Oder mit – auf der anderen Seite – überbearbeiteten Aufnahmen sogenannter Lost-Places, deren HDR-Look sehr schnell auf die Nerven geht. 

Doch dieses Buch ist anders. 

Warum das Buch mich heute noch bewegt

„Ogott, dass kann doch nicht wahr sein!“. Das war mein erster Gedanke, als ich dieses Werk, das ich ahnungslos bestellt hatte, in Händen hielt. Die harten Kontraste, die – im Gegensatz zu zeitgenössischer Architekturfotografie – düstere Stimmung und die fantastischen Bildkompositionen begeisterten mich sofort. 

Einige Fotos sind so gestochen scharf, dass ich mir eine Lupe wünsche. Wie diese Aufnahme von Tom Baril, der mit einer Linhof 4 x 5-inch-Kamera das Chrysler Building in New York City fotografierte. 

Schwarzweißfotografie ist mehr als das Schwelgen in der Vergangenheit

Die englische Originalausgabe des Bandes erschien 2001 und deshalb sind alle Aufnahmen analoger Natur. Warum aber schwarzweiß? Terry Hope schreibt im Vorwort: „Immer wieder vermittelt eine Schwarzweißaufnahme eine Stimmung und Atmosphäre, die ein Farbbild trotz aller seiner Wirklichlichkeitsnähe nicht zum Ausdruck bringen kann.“

Vielleicht sei dies der ausschlaggebende Punkt: In der Fotografie gehe es um so viel mehr, als um die schlichte Abbildung der Welt vor der Linse. „Wir möchten das Leben interpretieren, und dabei steht uns die Farbe manchmal im Weg.“

Über die folgende Aufnahme dachte ich wortwörtlich mehrere Wochen nach. Die blaugrüne Tonalität, der beinahe schwarze Himmel und die harten Schatten begeisterten mich. „So was will ich auch mal machen“, dachte ich. 

Der Fotograf John Claridge schreibt: „Dieses Bild entstand auf einer Aussichtsplattform eines alten Glockenturms, und ich bin mir sicher, dass vor mir jahrelang niemand mehr dort oben war, weil alles, von Spinnweben überzogen, in völliger Dunkelheit lag.“ 

Eigentlich habe er ein Werbefoto für eine Autofirma machen wollen. Mit seinem Assistenten stand er nun dort oben. „Bei einbrechender Dunkelheit ändern sich die Lichtverhältnisse besonders schnell und wir konnten zusehen, wie die Schatten länger und dunkler wurden.“ 

Bei der Aufnahme richtete Claridge die Kamera auf die Sonne und achtete darauf, das Objekt etwas schräg zu halten, um Streulicht zu vermeiden. Und dennoch ist dieses Bild für mich ein unlösbares Rätsel, da ich den Eindruck nicht loswerde, dass das Licht von oben senkrecht auf die Dächer strahlt. 

Wir sehen die Aufnahme, die auf dem Cover des Buches zu sehen ist. Ich weiß nicht, was dieses Bild bei euch auslöst, aber ich denke an diese Worte: Besser geht es nicht. 

Die Fotografen Anderson & Low schreiben: „Bei Innenräumen legen wir großen Wert darauf, nach Möglichkeit – wie hier – das natürliche Licht zu nutzen, das durch Oberlichter und Fenster einfällt.“ Die Beleuchtungseffekte müssten unbedingt berücksichtigt werden, da ein guter Innenarchitekt bei der Planung sicherlich bedacht habe, wie der Raum auf das einfallende Licht reagiere. 

„Wenn man den Raum mit künstlichen Lichtquellen ausleuchtet, zerstört man damit vielleicht die Atmosphäre, die so wesentlich für den Charakter eines Gebäude ist“, so Anderson & Low. 

Auch dieses Bild stammt aus dem Hause Anderson & Low. Es erstaunt mich, wie sie den Himmel in allen Details abbildeten und die Wand des Hauses wie ein weißer Strich das Bild aufteilt. Sie schreiben: 

„Bei diesem Bild hatte die Sonne den höchsten Stand erreicht und warf Schatten, die die Umrisse der Wand definierten und die graphischen Eigenschaften hervorhoben.“ Diese Qualitäten wollten die Beiden bestmöglich nutzen und wählten dazu einen Kamerastandort, bei dem links im Bild nur ein Teil der Wand als bildbeherrschendes Element zu sehen war. 

Dies schuf einen dramatischen Vordergrund, der fast an einen diagonalen Pinselstrich auf einer Leinwand erinnert. Und das sei ihre bevorzugte Arbeitsweise bei Aufnahmen von Gebäuden. „Sie ähnelt auf gewisse Weise unserem Ansatz in der Portraitfotografie: Wir wollen etwas vom Charakter einer Person zum Ausdruck bringen und nicht einfach nur ein Abbild schaffen.“ 

Der Architektur- und Landschaftsfotograf Simon Norfolk schreibt: „Oft begreifen die Betrachter den Sinn meiner Aufnahme erst, wenn sie den Aufnahmeort erkennen. Dann trifft sie die Botschaft umso intensiver.“ So ging es auch mir. Denn auf den ersten Blick sah ich hier nur eine Treppe. Gut fotografiert, durchaus, aber es ist eigentlich nichts Besonderes. 

Dann las ich, wo diese Treppe aufgenommen wurde: In Auschwitz. Norfolk schreibt, er habe in dem Bereich, der heute als Museum dient, diese ausgetretenen Stufen gefunden, die er auf Anhieb aussagefähig fand. „Kein Mensch ist in Sicht und doch fragt man sich bei der Aufnahme, wie viele nackte Füße darüber gegangen sein müssen, um die Steintreppe derart abzunützen.“

Das letzte Bild könnten ein paar Leser:innen schon kennen. Es ist das Flatiron Building am Abend von Edward Steichen, das er 1906 fotografierte. Leider steht im Buch nicht, wie Steichen zu dieser Aufnahme kam. 

Übrigens: Ich war mir unsicher darüber, ob ich euch dieses Fotobuch zeigen soll. Denn es ist nicht mehr mit einem Klick über Amazon zu kaufen, was sehr schade ist. Allerdings habe ich auf Ebay ein paar Ausgaben gesehen. Wer es also unbedingt haben will, wird es auch bekommen. 

„Die Kunst der Schwarzweiss-Fotografie“ gehört zu den Büchern, die ich mit auf eine einsame Insel nehmen würde. Die Aufnahmen haben sich tief in mein Unterbewusstsein eingegraben und so denke ich oft an sie, wenn ich statt Farbe lieber ohne fotografiere.