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Juli // Tupoka Ogette

Wenn ich etwas in letzter Zeit bedauere, dann, dass ich diesen Newsletter so spät verschicke - und ich entschuldige mich vielmals dafür und für das lange Warten. Aber es hat mir nur gezeigt, womit ich mich selbst auseinandersetze, sowohl persönlich als auch im weiteren Kontext und warum die Konfrontation mit dem was die Protagonistin des Juli-Kalenders, Tupoka Ogette (Öffnet in neuem Fenster), uns mitzuteilen hat, so schwierig war.

Ich beginne direkt: Ich habe mich nie so weiß und privilegiert gefühlt, wie in dem Moment, als ich begann die Bücher (Öffnet in neuem Fenster) von Tupoka Ogette zu lesen und ihren Podcast (Öffnet in neuem Fenster) zu hören. Ich fühlte mich oft unfähig und war beschämt über meine bisher, wie ich dachte, engagierte, sich aber als oberflächlich herausstellende Haltung.

Rassismus: Was machst du damit und wo hast du ihn vor dir selbst versteckt...? So würde ich aus meiner Perspektive, die unglaubliche und so wichtige Mission von Tupoka Ogette in Kürze und im Wesentlichen beschreiben. Rassistische Haltungen verfolgen, sie in die öffentliche Debatte einführen und sie unverfälscht und ohne Verharmlosung präsentieren. Dekonstruktion rassistischer Haltungen. Ich würde sogar hinzufügen, dass es auch darum geht, das gesamte System und jeden Einzelnen für automatische, schädliche und gedankenlos perpetuierte Haltungen zu beschämen - vielleicht klingt es hier etwas seltsam, aber vielleicht ist es manchmal wirklich wert, genau das zu spüren? Das sind keine großen Gesten, es sind oft unbemerkte Mikrobewegungen, Gedanken, die im Laufe der Jahre ein Bild schaffen - und dieses Bild wiederum bildet die Gesellschaft. Es kann schmerzhaft konfrontierend sein, aber hey, lassen wir uns nicht entmutigen. Wir haben als Gesellschaft in dieser Hinsicht noch viel zu tun, wir stehen noch nicht einmal im Vorzimmer der Sache. Ich werde immer großen Respekt vor denjenigen haben, die die Gesellschaft zur Debatte anregen, konfrontieren, Gespräche provozieren, ohne die Hoffnung auf Dialog zu verlieren.

In jedem Newsletter muss hier eine persönliche Geschichte vorkommen. Ohne persönliche Geschichten, ohne den Fokus auf das, was persönlich und privat ist, haben Worte keinen Sinn und sind nur eine Füllung des leeren Raums.

Mit meiner unbeabsichtigten, aber durch Armut an Erfahrung geprägten Ignoranz gegenüber dem Thema rassistischer Haltungen, hat mich das Leben in beruflichen und privaten Räumen mehrmals konfrontiert, aber an eine Situation davon erinnere ich mich sehr genau und glücklicherweise hat sie meine Denkweise verändert. So bin ich auf der Suche nach einer Vertiefung des Themas, auf die Bücher und sozialen Medien von Tupoka Ogette gestoßen. Als ich 2017 mein Projekt „Follow Women“ (Öffnet in neuem Fenster)startete, realisierte ich alle Porträts formal auf weißem Hintergrund, skizzierte, malte mit Tinte starke Porträts, die mit schwarzen Konturen versehen waren. In der Folge gab es eine gewisse Vereinheitlichung der Figuren und Hautfarben, denn es gab nur eine Dimension: das Weiß des Papiers, auf dem die Zeichnung entstanden ist. Alle waren unvorsichtigerweise, weiß. Ohne Ausnahme. Das war ein unbeabsichtigtes und unbewusstes Verhalten meinerseits. Schlimmer noch: unbewusstes Versäumnis der Verantwortung für die Symbolik dieser Geste! Ich differenzierte nicht, ich erfasste den Menschen nicht als Ganzes, und ich schützte mich mit künstlerischer Freiheit, was mir unbewusst den Prozess erleichterte. Bis zu dem Tag, an dem ich einmal mit dem Kollektiv Kaboom (Öffnet in neuem Fenster) die Ausstellung „Emanzipation“ (Öffnet in neuem Fenster) in der Amerika Gedenkbibliothek in Berlin mitgestaltete und als eine der Teilnehmerinnen sich weigerte, portraitiert zu werden. Sie riss mich aus meiner eigenen Perspektive mit der Frage: Warum sind BIPoC Personen weiß, und weshalb habe ich so weit vereinheitlicht und unifiziert, die Personen die ich portraitierte? Hatte ich jemals den Aufwand betrieben, über das nachzudenken, nicht als mein Recht, meine künstlerische Freiheit, sondern als Mangel an Empathie, Reflexion in Bezug auf die Vertiefung des Themas?

„Alle Personen in Ihren Porträts sind weiß. Ich bin nicht schwarz auf die Welt gekommen, damit Sie mich als weiße Person zeichnen, denn das ist nicht wahr und das beleidigt mich.“

Ich habe diese Worte noch immer in meinen Ohren, nach all den Jahren. Guten Tag in den Realitäten künstlerischer Verantwortung! Das Gespräch dauerte wahrscheinlich eine Stunde und öffnete meinen Kopf und änderte meine Denkweise für immer. Wir versuchten, uns gegenseitig zu verstehen. Ich fühlte mich ertappt in einem Automatismus, der nicht einmal mein eigener war, etwas Kollektives, wofür ich mich sofort zu schämen begann, wurde aufgedeckt. Weißes Papier, schwarze Tinte. Auf den ersten Blick scheinbar harmlose Gesten. Und so waren die damals für mich. So entstehen eben die ersten kindlichen Assoziationen. Ich hörte zu. Ich entschuldigte mich. Und ich wollte dafür Verantwortung übernehmen. Denn ich als Illustratorin beeinflusse das Bild vom Betrachter, ich schaffe neue Assoziationsnetze.

In meinem ersten Impuls wollte ich alles wieder gut machen, alle Porträts korrigieren, anpassen. Stopp! Oh nein, dachte ich: Das ist ein authentischer Beweis für den Prozess, unsere Fehler sind Zeugen unseres Reifens in Bezug auf verschiedene Dinge. Ich kann nicht so tun, als ob das nicht passiert wäre, genauso wie wir nicht die schmerzhaften, großen Abschnitte der Geschichte des Kolonialismus, des Rassismus, des Antisemitismus, des Faschismus und vieler, vieler anderer Missbräuche, die in den Menschen bis heute nachklingen, umschreiben oder ausradieren können. Wir sind uns die Wahrheit schuldig. Es muss präzise genannt sein. So pathetisch es auch klingen mag.

Seitdem habe ich begonnen, mit großer Aufmerksamkeit die Hautfarbe jeder porträtierten Person widerzuspiegeln. Diese Veränderung ist in der Galerie auf meiner Website (Öffnet in neuem Fenster) zu sehen. Und wenn ich meinen jährlichen Kalender drucke, ist mein größter Stress, ob die Druckerei sich treu zu den von mir übermittelten Farbtönen verhält. Wir machen Proben, diskutieren. Es gelingt nicht immer, aber es ist immer im Zentrum meiner Aufmerksamkeit als ein wichtigerer Aspekt.

Ich bin dankbar für diese Situation und dankbar für die Stimme von Tupoka Ogette und all ihre Handlungen, die das oppressive Machtgefüge entlarven, das über den anderen Menschen im Gewand harmloser Worte, Gesten und Assoziationen ausschüttet.

“Denn Veränderungen bedeuten ein Rütteln am Status quo. Veränderung ist Bewegung, sie ist unbequem. Wir müssen uns an Neues gewöhnen und Altbewährtes hinterfragen. Aber genau in dieser Veränderung liegt auch eine große Chance. Unsere Chance. Als Gesellschaft, als Weltbevölkerung und als Individuen.”

― Tupoka Ogette, aus dem Buch: "Und jetzt du. Rassismuskritisch leben” (Öffnet in neuem Fenster)

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