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Der Feuergott strahlt ins Klassenzimmer

Eine Ilustration von Schüler:innen, die um ein Feuer sitzen.

Privatschulen sind auch für den Staat trotz seiner Aufsichtspflicht oft eine Blackbox. Die Grenzen zu problematischen Strukturen können verwischen, wie das Beispiel der «Schule Zürisee» zeigt.

Eine Recherche von Tim Haag

Ganzheitliches Lernen mit Körper, Geist und Seele. Verbundenheit mit der Natur. Gemeinschaft und Rituale. Mittagessen gibt es an der Schule, die älteren Schüler:innen kochen, jüngere füttern Hamster und Hühner. Es gibt einen Gemüsegarten, Sitzkissen und ab und an übernachten die Kinder, die hier Kindergarten bis Sekundarschule absolvieren, auch vor Ort.

Es wird gemeinsam am Feuer gesessen und in die Sterne geschaut. Gemäss Selbstbeschrieb setzt die «Schule Zürisee auf Harmonie und Entschleunigung – eine Schule fürs Leben, inspiriert von «Menschen, welche sich für die Würde und die Potenzialentfaltung einsetzen», wie es auf der Website heisst. Zum Beispiel der Dalai Lama oder Frank Eickermann. Frank wer? 

Der Lichtgott aus Bonn 

Frank Eickermann oder Agni, wie er von seinen Anhänger:innen genannt wird, ist ein graubärtiger Endsechziger mit schleppender Stimme. Wer auf Eickermanns YouTube-Kanal «Agnilight» seine aus leichter Froschperspektive gefilmten Prognosen für das Jahr 2025 anhört («Viele Dinge, die wir lange wertgeschätzt haben […], werden aufbrechen […], um Platz für neue Schöpfungsstrukturen zu bilden»), vermutet kaum, dass er die Reinkarnation des vedischen Feuergottes Agni vor sich hat.

https://www.youtube.com/watch?v=u0sY5lCJQyc (Öffnet in neuem Fenster)

Seine Anhänger:innen sind sich aber sicher: Frank Eickermann ist etwas ganz Besonderes. Als ein «Wesen wie den heiligen Geist» beschreiben sie ihn in anderen Videos auf dem Kanal, als einen «Lichtpunkt» oder «zeitlosen Guru», einen der «die Welten neu sortiert» und «aus der Dunkelheit zum Licht führt».

Einige der Videos wurden im «Chateau Amritabha», einem prunkvollen Herrenhaus in den Vogesen gefilmt. Das «Chateau Amritabha» ist das Zentrum von Eickermanns Esoterikbewegung. Hier lösen sich die Anhänger:innen Agnis von irdischem Ballast und legen ihr wahres, spirituelles Selbst frei. Gelingen soll  das durch ein Potpourri aus esoterischen Methoden wie der fernöstlichen Chakrenlehre, ausserwissenschaftlichen Ansätzen wie der «Neurolinguistischen Programmierung» und schamanischer Praxis, gewürzt mit der Verehrung Jesu als personifizierte Liebe.  

Business-Agni

Mit seiner Lehre verdient Frank Eickermann gutes Geld. Die «Welt» zeichnete ihn schon 2008 als millionenschweren Ex-Heilpraktiker, der zwischen Florida und Vogesen hin- und herjettet. Wo immer seine Kurse stattfinden, strömen Anhänger:innen zusammen und zahlen hohe Summen, in schwärmerischer Hingabe für den Feuergott mit dem lichten Haar. Für manche geht das gut, andere berichten laut «Welt» von zerbrochenen Familienbanden und leeren Konten.  Auf seiner Internetseite bewirbt Eickermann eine breitgefächerte Auswahl an Kursen, die für «Investitionen» zwischen ein paar hundert bis zu rund 90'000 Franken zu haben sind. Im teuersten Kurs nimmt das eigene «Herz Chakra» über neun Monate «wöchentlich Kontakt» zu Agni auf. «In dieser Zeit verbinden sich unsere Herzen», heisst es in der Kursbeschreibung. Für rund 500 Franken können Interessierte auf einen Sofort-Energieschub «für einen bestimmten Lebensbereich» zurückgreifen. Das funktioniert unkompliziert: «Nach der Buchung ist es nicht erforderlich, mit Agni eine bestimmte Uhrzeit festzulegen. Die Energie wird bereitgestellt, wenn du bereit bist.» 

Kern von Eickermanns Lehre ist der «Weg ins Licht». Julia Sulzmann, stellvertretende Leiterin von Relinfo, der kirchlichen Fachstelle für Religionen, Sekten und Weltanschauungen, beschreibt den Kurs als «vielfältigen Mix von Meditation, Selbstfindung und Ritualen, oft an neu interpretierten schamanischen Praktiken orientiert».

Streng genommen, so Sulzmann, scheine es bei der Selbstfindung nicht um das Selbst zu gehen: «Es ist nie wirklich nur die eigene Perspektive, sondern es ist immer auch diejenige von Eickermann, die einen prägen soll.»

Ein Blick in Eickermanns Glaubensschrift, «Leben im Feuer»: «Der Lehrer ist der Eingeweihte, der das Göttliche Wissen trägt», heisst es da etwa. Die Schüler:innen würden kein «ich will» kennen, denn: Er als Lehrer verkörpere «die Allmacht Gottes». Mehrfach der Aufruf, «alle Menschen und alle Bindungen» hinter sich zu lassen, um dem göttlichen Plan zu folgen.

Kritikverbot als Red Flag

«Was Eickermann vermittelt, ist ein Guru-Weltbild, in dem er als unfehlbarer Lehrer gilt und man alles machen muss, was er sagt. Das ist aus unserer Sicht heikel – vor allem, weil Kritik nicht toleriert wird», sagt Julia Sulzmann. Dieses Kritikverbot sei eines der wichtigsten Merkmale problematischer Gruppierungen. 

Ein:e Schüler:in Eickermanns zu sein, sei «anspruchsvoll», weiss Georg Otto Schmid, ebenfalls von Relinfo. Als Richtwert für Bewegungen dieser Art gelte, dass etwa 80 Prozent der Interessierten wieder ausscheiden. Auch darum sei die Bewegung in der Schweiz überschaubar. Schmid spricht von «schätzungsweise ein paar dutzend bis ein paar hundert» aktiven Anhänger:innen von Agni.

Lichtnetzwerk

Absolvent:innen des «Weg ins Licht» gründen nicht selten eigene Lichtzentren (einige davon gibt es auch in der Schweiz, wie das A-R-A-Lichtzentrum bei Biel), bleiben gemäss Julia Sulzmann aber stets in engem Kontakt mit dem Guru: «Eickermann hält die lokalen Leiter:innen indirekt an sich gebunden. Schon während der Ausbildung vermittelt er, dass sie ihn für immer als höhere Kraft respektieren und in allen Lebensentscheidungen konsultieren sollen.» 

Der einschneidendste Schritt auf dem «Weg ins Licht» stellt das Ablegen des irdischen Vornamens und die Annahme eines spirituellen Namens dar. Gemäss Julia Sulzmann stehe diese Zäsur symbolisch für das Loslösen vom vorherigen Leben: «Die Betroffenen sollen sich von all jenen distanzieren, die ihr neues Weltbild nicht teilen. Es entsteht eine bewusste Abgrenzung, die sich auf das gesamte Umfeld auswirkt. Wir hören immer wieder von Angehörigen, die sagen: ‹Ich habe jemanden verloren, weil ich dessen neue Ansichten nicht teile.›» 

Am «Kraftort Schule» sei nichts spirituell 

Auch Aruna Brunner (Name durch die Redaktion geändert) und Muran Müller, die die Schule Zürisee gegründet haben und leiten, haben ihre bürgerlichen Namen abgelegt. Im kantonalen Privatschulregister Zürichs legen sie ihre Verbindungen offen: «Frank Eickermann, ‹Der Weg ins Licht› und weitere, teilweise schamanische Vereinigungen.» 

In diesem Register müssen gemäss Volksschulamt «die ideellen Verbindungen sowie die religiöse, weltanschauliche und pädagogische Ausrichtung» von Privatschulen deklariert werden. Anders als andere Kantone ist der Kanton Zürich betreffend religiösen und weltanschaulichen Einflüssen sehr liberal. 

Muran Müller, der 2023 für die Post-Corona-Partei «Aufrecht» Zürcher Kantonsrat werden wollte, ist im Expertenrat des «Bildungsforum Schweiz», das sich vorrangig für den Ausbau von alternativen Schulen sowie Homeschooling engagiert und bei dem zahlreiche Fäden aus der Post-Corona-Szene zusammenlaufen. 

Dieses Engagement zeigt sich auch in verschiedenen Auftritten von Brunner und Müller. 2023 hielten sie zum Beispiel einen Vortrag über das Thema «Kraftort Schule» beim «Bildungskongress» der Post-Corona-Bewegung Graswurzle.

Auf Anfrage dementiert Muran Müller, dass die Schule Zürisee eine spirituelle Schule sei. «Bei Anstellungen interessiert uns die fachliche Qualifikation und nicht ein religiöser Glaube», sagt er. «Unser Team repräsentiert mehrere verschiedene Glaubensrichtungen.» Mit diesem «nachweislich heterogenen Hintergrund» eine spirituelle Schule zu sein, sei «schlicht unmöglich».

Engel als Heilquelle für Kinder

Das Team mag heute heterogen aufgestellt sein, bis vor kurzem traf diese Aussage aber nicht zu: Zwischen Herbst 2022 und Sommer 2024 gehörten drei von fünf Personen, die gemäss Selbstauskunft der Schule dort arbeiteten, der Lichtzentren-Bewegung an. Die Anhänger:innen des Feuergottes unterrichteten in dieser Zeit alle Fächer ausser Französisch und Musik.

Im Konzept, das die Schule 2015 beim Volksschulamt einreichte und das dieser Redaktion vorliegt, ist zu lesen, dass «viele Kinder» einen «Zugang zu Naturwesen und/oder Engeln» hätten. Und weiter: «Können sie diesen Kanal lebendig und offen halten, so erhalten sie dadurch eine wichtige Heilquelle für ihr Wohlbefinden.»

Auch das, so Muran Müller, sei bloss «Teil des persönlichen Weltbilds» von Angestellten und Schüler:innen. Die «Naturwesen» treten aber offenbar auch in der Schule in Erscheinung, zum Beispiel in Form von esoterischen Tierkarten, bei einem Morgenritual. 

Schulreise in die Vogesen

Auch die Verbindungen zu Eickermann «haben keinen Einfluss auf den Schulalltag», sagt Muran Müller auf Anfrage. «Unsere persönlichen weltanschaulichen Hintergründe sind privater Natur.» Es gibt allerdings einige Hinweise, die dafür sprechen, dass Feuergott Agnis Lehre doch bis ins Schulgeschehen strahlt. 

Das Feuer scheint eine wichtige Rolle bei Schulaktivitäten zu spielen. Und auf einer mittlerweile gelöschten Webpräsenz der Schule berichteten Schüler:innen 2022 von einer Schulreise zu den Vogesen.

Die Fotos im Bericht zeigen das Château de Saint-Ulrich und den Tour des Cigognes, die beide in der Gemeinde Ribeauvillé liegen. In Ribeauvillé  steht auch das «Chateau Amritabha» des reinkarnierten Feuergottes Agni aka Frank Eickermann. Vom Tour des Cigognes zum «Chateau Amritabha» sind es zu Fuss zwanzig Minuten, die Wanderung zur Ulrichsburg dauert eine gute Stunde. Gemäss Schüler:innenbericht war ein Thema der Reise  die  «Magie und Welt der (Edel-)Steine».

Workshop mit «Heilerin und Frau der Steine»

Um die «Magie der Steine» ging es an der  Schule Zürisee mehrfach. «Mutter oder Vater mit Kind» wurden 2023 eingeladen, um durch Edelsteine «Ruhe und Ausrichtung» zu «tanken». Die Kursleitung übernahmen  Co-Schulleiterin Aruna Brunner und eine «Meisterin» und «Mutter der Steine». 

Auf ihrer Website schreibt die «Mutter der Steine»: «Heute bin ich einfach nur glücklich, wenn Menschen sich in meinen Einzelsitzungen selbst näherkommen, ich sie zur/m Kristallheiler/in ausbilden und durch den Weg ins Licht […] führen darf.»

Die auf der Website angebotenen Kurse finden zu grossen Teilen im «Chateau Amritabha» statt – etwa das Seminar «Das Licht der Steine». Dieses Seminar wurde  mit demselben Foto beworben, wie der Workshop der «Mutter der Steine» für «Kids & Teens» an der Schule Zürisee im Jahr 2022. Auch auf der Facebookseite des «Chateau Amritabha» tritt die Frau regelmässig per Videobotschaft in Erscheinung. 

Eine Schulreise ins Eso-Schloss?  Muran Müller verneint auf Nachfrage: «Mit der Schule waren wir zu keiner Zeit im Chateau Amritabha.»

Die Eltern scheinen zufrieden

Eine Mutter, deren Kind die Schule Zürisee besucht und die im Rahmen dieser Recherche kontaktiert werden konnte, sagt, ihr sei eine Verbindung zur Lichtzentren-Bewegung nicht bekannt: «Von einer angeblichen Verbindung haben wir von Ihnen zum ersten Mal gehört», schreibt sie. Es seien ihr «keinerlei Anzeichen aufgefallen», die auf Verbindungen zur Lichtzentren-Bewegung hindeuten.

Die Mutter zeichnet ein positives Bild der Schule: «Wir konnten Ansätze von Steiner und Montessori erkennen, die Kinder wurden unserer Ansicht nach ganzheitlich, empathisch und ressourcenorientiert begleitet und es wurde sehr viel Zeit in der Natur verbracht.» Persönliche Anliegen seien stets aufgenommen worden und die Schulleitung habe pädagogisch fundierte Tipps und Hilfsmittel gegeben.

Auch auf den – mittlerweile gelöschten – Social-Media-Präsenzen der Schule Zürisee sind die Rückmeldungen durchwegs positiv. Und Muran Müller betont: «Es gibt zahlreiche Schülerinnen und Schüler, welche (wieder) Boden unter den Füssen bekommen haben, welche mit Freude in die Schule kommen, welche an gehassten Fächern wieder Gefallen finden, wo es auch zu Hause wieder entspannt ist, welche sich in allen Bereichen weiterentwickeln.»

Zur Recherche

Im Gegensatz zu anderen Kantonen ist es im Kanton Zürich nicht per se verboten, dass spirituelle Einflüsse in den Unterricht von Privatschulen einwirken. Warum dann dieser Text? Kinder haben in der Schweiz ein verpflichtendes Recht auf Bildung. Diese Bildung muss gewissen Standards entsprechen. Diese Standards sind mit wissenschaftsfernen bis -feindlichen Praktiken und Inhalten von denen nicht abschliessend klar ist, in welchem Ausmass sie in den Unterricht der Schule Zürisee einfliessen nicht vereinbar. Privatschulen sind, wie dieser Text zeigt, oft ein geschlossener Kosmos, in den Aussenstehende, teilweise sogar die Eltern der Schulkinder, kaum Einsicht haben. Das gilt auch für die zuständigen Aufsichtsbehörden, nicht nur im Kanton Zürich. Und wenn der Staat nicht willens oder in der Lage ist, seine Aufsichtspflicht über die Umsetzung von Menschenrechten und Gesetzen wahrzunehmen, ist das relevant.

Im Milieu der Gegenöffentlichkeit 

Auch Angebote der Schule Zürisee ohne Bezug zum «Chateau Amritabha» geben Anlass zur Kritik. Wie anfangs erwähnt, ist die Schule Zürisee gut vernetzt mit verschiedenen Akteur:innen der Post-Corona-Bewegung, die in Teilen als wissenschafts- und demokratiefeindlich gilt.

Dieses dichte Netzwerk beschreibt der Sozialwissenschaftler und Experte für Verschwörungserzählungen Marko Kovic als «Milieu, das seit der Pandemie eine Gegenöffentlichkeit bildet». Durch Abkapselung bestehe in diesen Netzwerken die Gefahr der Radikalisierung, und dass fragwürdige Ideen unwidersprochen wachsen können.

Innerhalb dieses Netzwerks agiert auch der Verein «Graswurzle», der das Ziel verfolgt, Parallelstrukturen mit beispielsweise eigenem Bildungs- und Gesundheitssystem zu etablieren. Im Rahmen dieser Bemühungen lud der Verein zweimal den selbsternannten  Bildungsexperten Ricardo Leppe zu einem Vortrag ein.

Rechtsesoterik und konspiratives Treffen

Leppe, gelernter Zauberkünstler aus Österreich, propagiert in seinen YouTube-Videos pseudowissenschaftliche Inhalte wie die antisemitische «Neue Germanische Medizin», weshalb er 2023 nach einem öffentlichen Aufschrei von der Rednerliste eines Zürcher Esoterikkongresses gestrichen wurde. In Deutschland gründen seine Anhänger:innen Schulen und Lerngruppen ohne Bewilligung. Die staatliche Schule verblöde die Kinder vorsätzlich. So könne die Gesellschaft besser kontrolliert werden. Leppe gilt als Vertreter der rechtsesoterischen, verschwörungsideologischen, rassistischen und antisemitischen Anastasia-Bewegung. In diesen Kreisen wird die «Pädagogik nach M.P. Schetinin» propagiert.

Unsere Recherche zeigt: Ein «Bildungsforschungstag nach M.P. Schetinin» fand 2022 an der Schule Zürisee statt. Organisatorin: Die ISKA-Akademie, eine «private Initiative», die ein «neues Bildungssystem» etablieren will. Der genaue Veranstaltungsort wurde den angemeldeten Teilnehmer:innen erst  kurz vor Beginn mitgeteilt.

Gemäss Marko Kovic ist das eine typische Vorgehensweise von Gruppierungen mit problematischen Ansichten. Und er sieht darin ein Indiz dafür, dass ISKA selbst weiss, wie umstritten ihre Ausrichtung sein könnte: «Nach aussen heisst es, man wolle ungestört arbeiten. Doch wenn man nur pädagogische Inhalte vermitteln würde, müsste man das nicht derart verheimlichen.»

Viele Teilnehmende kennen Hintergründe nicht

Co-Schulleiter Muran Müller hingegen schreibt dazu: «Der Seminartag von ISKA beschäftigte sich mit didaktischen, mathematischen Methoden. Ideologische oder andere Hintergründe standen nicht zur Sprache.»  

Hinter der beworbenen Schetinin-Pädagogik steht ein russisches Schulmodell, das ursprünglich von Michail Petrowitsch Schetinin erdacht wurde. Im Kern besteht sie aus Epochenunterricht – das heisst, während eines bestimmten Zeitraums wird in der Schule durchgehend ein einzelnes Fach gelehrt. Der Epochenunterricht ist auch aus Steinerschulen bekannt. Dazu kommt: Durch Vernetzung beider Gehirnhälften und «rhythmisiertes Lernen» soll mit der Schetinin-Pädagogik innert Tagen der Schulstoff von mehreren Jahren verinnerlicht werden können.  

Julia Sulzmann: «Viele Menschen, die eine Veranstaltung wie den Bildungsforschungstag besuchen, wissen gar nichts von diesen Hintergründen. Sie wollen nur mehr Naturverbundenheit im Alltag oder eine Alternative zur Volksschule.» Genau darin liegt laut Marko Kovic die Gefahr: «Die Inhalte, die an der Schule vermittelt werden, sind ein Sammelsurium aus Humbug.» Dieses Sammelsurium habe aber Berührungspunkte mit viel heikleren Tendenzen, die völkisch oder wissenschaftsfeindlich seien.

Für Kinder kann es gefährlich werden

Kovic betont, dass ein Besuch von ISKA oder die Zusammenarbeit mit Gruppierungen der Post-Corona-Bewegung per se kein Beweis für extremistisches Gedankengut sei, aber: «Wenn man sich grundsätzlich abkapselt und sich für eine Welt öffnet, in der Esoterik, Pseudowissenschaft und Verschwörungsdenken ungefiltert bleiben, kann das für Kinder gefährlich werden.»

Diese Vermischung von Problematischem mit Unproblematischem – ob bewusst oder nicht – zeigt sich auch in anderen Angeboten der Schule Zürisee: So lud Co-Schulleiterin Aruna Brunner im Covid-Sommer 2021 «Kids und Teens» ein, um «das Immunsystem zu stärken, den Geist zu entspannen und den Körper zu trainieren.» Unter anderem mit Kinesiologie. Kinesiologie beruht auf der Annahme, dass sich gesundheitliche Störungen als Schwäche bestimmter Muskelgruppen manifestieren, was durch «Muskeltests» geprüft wird. 

Auch hier zeigt sich das Muster: Schädlich ist Kinesiologie an sich nicht, aber «solche Methoden vermitteln den Kindern ein verzerrtes Weltbild», so Marko Kovic. «Sie können dadurch den Eindruck gewinnen, dass esoterische Ansätze gleichwertig oder sogar überlegen gegenüber wissenschaftlichen Methoden sind. Das ist gefährlich, besonders in einem Bildungskontext.» 

Schulen, so Kovic, sollten den Schüler:innen beibringen, die Welt kritisch und rational zu hinterfragen. «Unwissenschaftliche esoterische Ansätze wie Kinesiologie fördern hingegen irrationale Denkmuster, die Kindern keinen Mehrwert für die heutige komplexe Gesellschaft bieten, im Gegenteil.»  

Schwachstellen bei staatlicher Kontrolle

Bleibt also die Frage: Sind die gesetzlichen Rahmenbedingungen und die schulischen Kontrollen ausreichend, um gefährliche Entwicklungen in Privatschulen zu erkennen und zu regulieren? Im Kanton Zürich geniessen Privatschulen relativ grosse Freiheiten. Fragen wie Ferienregelungen, Absenzen oder Disziplinarmassnahmen fallen nicht unter die staatliche Kontrolle. Auch die Mitwirkung der Eltern ist unterschiedlich geregelt. 

Privatschulen dürfen religiös oder weltanschaulich gefärbt sein, müssen jedoch eine der Volksschule «gleichwertige» Bildung anbieten. Dafür orientieren sie sich am Lehrplan 21, und die Lehrpersonen müssen «ausreichend qualifiziert» sein. 

Bei der Kontrolle dieser Vorgaben sieht Julia Sulzmann  Schwachstellen: «Die Besuche der Bildungsdirektion, die kontrollieren sollen, ob beispielsweise der Lehrplan eingehalten wird, werden mit Ankündigung durchgeführt.» Gemäss Myriam Ziegler, Leiterin des kantonalen Volksschulamtes, finden solche Besuche alle zwei Jahre statt. «Bestehen Zweifel, ob die Schülerinnen und Schüler einer Schule die Lernziele erreichen oder ob die Bewilligungsvoraussetzungen noch erfüllt sind, kann das Volksschulamt unangekündigte Besuche durchführen und eine externe Beurteilung anordnen.» 

Auf die Nachfrage, ob und wie häufig es zu unangekündigten Kontrollen kommt, lautet die Antwort: «Zu den konkreten Aufsichtsbesuchen an spezifischen Schulen gibt das Volksschulamt keine Auskünfte. Ob und wie oft eine Schule unangekündigte Kontrollbesuche erhält, ist fall- und situationsabhängig.» Auch eine statistische Erfassung der Besuche gebe es nicht. 

Wird der Lehrplan wirklich umgesetzt?

Julia Sulzmann hält es für essenziell, dass «unangekündigte Besuche in auffälligen Fällen zur Regel werden». Denn nur so könne garantiert werden, dass nicht nur die offizielle Fassade, sondern auch der tatsächliche Unterrichtsalltag den Anforderungen entspricht. Denn: «Wir haben den Verdacht, dass bei manchen Privatschulen der Lehrplan nicht so erfüllt wird, wie er sollte.»

Ebenso sei Transparenz über die weltanschaulichen Grundlagen der Schule entscheidend – nicht nur, um potenziell problematische Einflüsse aufzudecken, sondern auch, um Eltern die Möglichkeit zu geben, fundierte Entscheidungen zu treffen. «Schliesslich sind es oft die Eltern, die am wenigsten über die ideologischen Prägungen der Schulen wissen, obwohl ihre Kinder tagtäglich davon beeinflusst werden.» 

Und nicht zuletzt brauche es Offenheit im Umgang mit Kritik. Diese, so Sulzmann, sei bei alternativen Schulbewegungen oft nicht da. So ist auch im Konzept der Schule Zürisee zu lesen: «Da sich das Schulkonzept vom üblichen unterscheidet [...], stossen Eltern immer wieder auf eigene Ängste, Denkmuster und Gewohnheiten. Dies sollte als Einladung zur Reflexion und fürs eigene Wachstum gesehen und benutzt werden.»

Kein Recht auf eigene Fakten

Kritik werde hier als fehlendes persönliches Wachstum umgedeutet, erklärt Sulzmann. «Das erschwert Eltern eine offene Auseinandersetzung.» Eine ähnliche Aussage findet sich in der Einladung zum oben erwähnten ISKA-Bildungsforschungstag: «Prozesse, die durch diese Arbeit ausgelöst werden, können sehr unterschiedlich sein. Wir können euch allerdings versichern, dass alle Prozesse zum Wohle aller sind.» 

«Ob man Esoterik und Spiritualität Quatsch findet, ist letztlich eine Meinung, und das Recht auf eigene Meinung gibt es für alle», sagt Marko Kovic. Was es aber nicht gebe, sei das Recht auf eigene Fakten. «Und dieses beansprucht die Szene, in der sich die Schule Zürisee bewegt, für sich. Das kann gefährlich werden.»

Diese Recherche entstand in Kooperation mit der Zürcher Wochenzeitung P.S. (Öffnet in neuem Fenster)

Unsere Quellen:



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